Der Klinikarzt 2007; 36(9): 530-531
DOI: 10.1055/s-2007-991023
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Multiresistente Keime sind weltweit auf dem Vormarsch - Welchen Anforderungen müssen neue Antibiotika genügen?

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08 October 2007 (online)

 
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Hartmut Lode, Berlin

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Tobias Welte, Hannover

Nicht allein die Zunahme multiresistenter Bakterien ist der Grund, warum immer wieder der Wunsch nach neuen und effektiven Antibiotika laut wird. In Zukunft werden wir uns auch immer mehr älteren, multimorbiden Patienten gegenüber sehen, bei denen ein bakterieller Infekt - gerade mit resistenten Erregern - die Komplikationsrate rasant ansteigen lässt. Welche Herausforderungen schon heute in der Infektiologie warten und wie darauf am besten zu reagieren ist, darüber haben uns Prof. Hartmut Lode, Berlin, und Prof. Tobias Welte, Hannover, kompetent Auskunft gegeben. Besonderer Fokus liegt dabei auf der ambulant erworbenen und der nosokomialen Pneumonie, die schon jetzt als häufigste, potenziell tödliche Infektionskrankheiten in der westlichen Welt gelten.

? Wie sehen Sie die Resistenzentwicklung bakterieller Erreger in den USA, in Europa und in Deutschland?

Prof. Tobias Welte: Sie ist in den einzelnen Ländern verschieden einzuschätzen. In den USA haben wir eine schon beinahe katastrophale Situation mit mehr als 50 % Resistenzen beispielsweise bei Staphylococcus aureus, mit einer steigenden Resistenzrate bei klassischen Erregern wie E. coli und mit beginnenden Resistenzproblemen bei Keimen wie Streptococcus pneumoniae, die bisher keine Problematik gezeigt haben.

In Europa ist die Lage sehr unterschiedlich. Die nordeuropäischen Länder, Skandinavien, die Niederlande, die Schweiz und auch Deutschland haben moderate bis überhaupt nicht nachweisbare Resistenzraten für diese Erreger, während in Südeuropa Resistenzprobleme anzutreffen sind, die denen der USA gleichen. In Griechenland beispielsweise sind die Probleme noch schwerwiegender als ich sie bisher geschildert habe.

Prof. Hartmut Lode: Problematisch in der Klinik sind vor allem die immer häufiger auftretenden Infektionen mit methicillinresistenten Staphylococcus-aureus-Stämmen (MRSA). Auf deutschen Intensivstationen betragen die MRSA-Raten bis zu 35 %! Andere grampositive Keime, wie zum Beispiel die Pneumokokken sind dagegen hierzulande - anders als in Südeuropa und den USA - noch ein geringeres Problem.

Im gramnegativen Spektrum wiederum sind es polyresistente Pseudomonas-, Acinetobacter- und Stenotrophomonas-Spezies, die uns Sorgen machen, da sie inzwischen auf Intensiv- und Transplantationsstationen weit verbreitet sind. Immer häufiger finden sich auch Betalaktamasebildner ("extended spectrum"-Betalaktamasen, also ESBL, und AmpC-Betalaktamasen) bei den Enterobakterien. ESBL-Gene sind in den Spezies E. coli und E. cloacae, aber auch bei K. pneumoniae und K. oxytoca nachgewiesen worden.

Internationale Studien deuten zudem auf einen Zusammenhang zwischen dem Verbrauch an Antibiotika und dem Anstieg der Cephalosporinresistenz hin. In Deutschland sind zurzeit etwa 5 % der klinischen E.-coli-Isolate betroffen - mit steigender Tendenz.

? Welche Auswirkungen hat dies auf die antibiotische Behandlung?

Lode: Bei anamnestisch zu belegenden Risikofaktoren für resistente Erreger muss bei jedem Patienten zumindest in der Phase der kalkulierten Behandlung zu Beginn der Therapie eine wirksame, zumeist kombinierte Antibiotikabehandlung auf der Basis der gegenwärtigen Leitlinien erfolgen. Dabei ist die lokale Erreger- und Resistenzepidemiologie zu berücksichtigen und nach Erhalt der mikrobiologischen Ergebnisse eine Deeskalation der Therapie auf der Basis des klinischen Verlaufs anzustreben. Auch zu berücksichtigen sind die Komorbiditäten und das Risikoprofil einzelner Patienten.

? Gibt es wichtige Aspekte, die gerade im Fall von Pneumonien neu bedacht werden müssen?

Welte: Ja, durchaus! Beispielsweise hat sich in Deutschland in den letzten Jahren bezogen auf Streptococcus pneumoniae eine nennenswerte Resistenzsituation gegen sogenannte Makrolidantibiotika herausgebildet, die in dieser Situation bisher als Standard galten. Dementsprechend werden Makrolidantibiotika in den 2005 publizierten Leitlinien nicht mehr zur Erstlinientherapie empfohlen. Erste Probleme mit gängigen Betalaktamantibiotika gibt es darüber hinaus bei gramnegativen Erregern wie E. coli, da hier immer mehr ESBL-Bildner zu verzeichnen sind.

Ambulant erworbene, methicillinresistente Staphylokokken (MRSA) sind zwar hierzulande noch kein nennenswertes Problem. Aber aus Erfahrungen mit anderen resistenten Erregern kann man erwarten, dass sie innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre auch in Europa, wie schon jetzt in den USA, schwer behandelbare Pneumonien hervorrufen werden.

? Müssen demnach "alte" antibiotische Therapiestrategien modifiziert werden und wie wichtig ist die Entwicklung neuer Substanzen?

Lode: Der beträchtliche Bedarf an neuen Antibiotika ergibt sich insbesondere aus den Resistenzproblemen in der Klinik - wobei vor allem wirksame Substanzen zur Therapie von Infektionen mit gramnegativen Keimen dringend benötigt werden!

Welte: Momentan können wir in Deutschland bewährte Antibiotika, wie die Penicillinderivate, Cephalosporine und ähnliche so genannte Betalaktamsubstanzen einsetzen. Vorsicht geboten ist allerdings bei den Makrolidantibiotika, wobei dies derzeit aber noch mit klassischen Antibiotika zu kompensieren ist. Spätestens mit der Zunahme der EBSL-bildenden Erreger und vor allem, wenn die ambulant erworbenen MRSA auf uns zu kommen, sind klassische Antibiotika jedoch keine Therapieoption mehr. Dazu brauchen wir neu entwickelte Substanzen, wie zum Beispiel das Tigecyclin.

? Welche Vorschläge würden Sie forschenden Pharmaunternehmen in Hinblick auf die Konzeption klinischer Studien für neue Antibiotika machen?

Welte: Mit Pneumonien, die sowohl im ambulanten Bereich als auch in der Klinik von großer Bedeutung sind, und intraabdominellen Infektionen, die vor allem nach chirurgischen Eingriffen eine wesentliche Rolle spielen, müssen wir uns zwei wichtigen Problemfeldern stellen. Dazu kommt noch die Sepsis, die mit einer hohen Sterblichkeit einhergeht. Ein neues Antibiotikum muss meines Erachtens in einer dieser drei Indikationen seine Effektivität beweisen.

? Publizierte Daten für diese "Problemfälle" gibt es bislang nur für wenige neue Antibiotika. Welche davon sind ihrer Meinung nach in Bezug auf die Pneumonie relevant?

Lode: Zum einen unterstreichen neue Publikationen, dass zumindest bei einer schwer verlaufenden Pneumonie die Kombination aus einem Betalaktamantibiotikum mit einem Makrolid sinnvoll und erfolgreich ist. Bisher nur als Poster stehen jetzt auch erste Ergebnisse mit Tigecyclin bei der ambulant erworbenen Pneumonie zur Verfügung, die auf eine Gleichwertigkeit dieses neuen Präparates im Vergleich zu Levofloxacin hindeuten. Dies ist sehr ermutigend, da in absehbarer Zeit sicherlich auch bei Pneumokokkeninfektionen mit mehr Resistenzproblemen gegenüber derzeit empfohlener Substanzen zu rechnen ist.

Für einige neue Antibiotika wie Tigecyclin, Ceftobiprol und Telavancin gibt es bereits erste Ergebnisse zur sogenannten "hospital aquired pneumonia" (HAP) - oder die Daten werden in Kürze veröffentlich werden. Allerdings ist die Interpretation der Ergebnisse dieser weltweiten multizentrischen Studien trotz ihres randomisierten doppelblinden Studiendesigns nicht einfach. Als Beispiel sei auf die ungewöhnlich hohen positiven Studienergebnisse mit Imipenem in einigen Studienzentren der HAP-Vergleichsstudie zu Tigecyclin hingewiesen.

Eine neue Identität der Pneumonie, ist zudem die HCAP, die im Pflegeheim erworbene Pneumonie. Bis zu 60 % der in die Klinik eingewiesenen Patienten mit einer ambulant erworbenen Pneumonie leiden an einer HCAP. Neueste Studien aus Europa von Carratala J et al. deuten auch in dieser Situation auf Pneumokokken als unverändert am häufigsten involvierte Erreger hin, allerdings werden gramnegative Keime und Legionellen häufiger nachgewiesen als bei Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie. Deutlich erhöht ist zudem die Zahl der Aspirationspneumonien mit dem dort typischen Mischinfektionsbild aus anaeroben und gramnegativen Keimen. Auch hier können neue Therapieoptionen wie das Tygacil eine Alternative sein.

? Die Gründung von CAPNETZ, unterstreicht die Bedeutung der ambulant erworbenen Pneumonie. Welche Ziele setzt sich dieses Kompetenznetz in Deutschland?

Welte: Primäre Aufgabe war es, Versorgungsforschung und Grundlagenforschung sinnvoll zu vernetzen - also niedergelassene Ärzte, Klinikärzte, aber auch Grundlagenforscher. Darüber hinaus bildet das Kompetenznetz inzwischen eine Plattform, auf der die mikrobiologische Entwicklung - Erreger und Resistenzen - studiert werden können. Zudem besteht mit dem etablierten Netz eine Möglichkeit, neue Substanzen im Hinblick auf ihre Wirksamkeit bei Pneumonie in neuen Therapiestudien möglichst schnell zu erforschen. Zum Beispiel hat CAPNETZ viele Patienten in die Zulassungsstudien für einige neue Antiinfektiva eingeschleust. Jetzt muss man auf die Auswertung warten und kann nur hoffen, dass sie den Markt auch in kurzer Zeit erreichen werden.

! Herr Professor Lode, Herr Professor Welte, wir danken Ihnen für dieses interessante Gespräch!

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Problemfall 'Pneumonie'

Ob ambulant oder nosokomial erworben, die Pneumonie ist eine der häufigsten Infektionskrankheiten der Welt. Schon jetzt erkranken in den USA jedes Jahr 1,6 Millionen Menschen an einer ambulant erworbenen Pneumonie (CAP), was Behandlungskosten von rund 7,5 Milliarden Euro nach sich zieht. Die stationäre Behandlung ist dabei mit Abstand der wichtigste "Kostentreiber". In Deutschland kann man die Prävalenz aufgrund fehlender epidemiologische Daten leider nur schätzen, betroffen sind wahrscheinlich mehrere Hunderttausend Menschen.

In Zukunft werden vor allem der Anstieg resistenter Erreger und die demografische Entwicklung die Situation noch deutlich verschärfen. Umso größer wird dann auch der Bedarf an neuen, breit wirksamen und effektiven Behandlungsoptionen werden. Schon heute sprechen viele Pneumonieerreger auf herkömmliche Antibiotika nicht mehr oder nicht ausreichend an. Eine Alternative in dieser Situation könnte bald Tigecyclin sein - zunächst bei der ambulant erworbenen Pneumonie, für die die Zulassung bereits eingereicht ist.[*]

Interessante Option bei der ambulant erworbenen Pneumonie

Denn aktuellen Studiendaten zufolge sind die Heilungsraten unter Tigecyclin mit der CAP-Standardbehandlung mit Levofloxacin vergleichbar [1], [2]. Sprachen 81 % der Patienten auf die Behandlung mit Tigecyclin an, war unter Levofloxacin eine klinische Ansprechrate von 79,7 % zu verzeichnen (klinisch modifizierte Intent-to-treat-Population; c-mITT), so das Ergebnis einer Analyse zweier randomisierter, doppelblinder Multizenterstudien [4].

Interessanterweise profitierten dabei vor allem CAP-Patienten, die zusätzlich unter einer S.-pneumoniae-Bakteriämie litten, besonders von der Gabe von Tigecyclin. Denn ihre Heilungsraten waren unter dem Glycylcyclin mit 81,5 % deutlich höher als unter der Vergleichssubstanz (65,2 %; mikrobiologisch modifizierte Intent-to-treat-Population, m-mITT) [3]. Zudem konnten im Gegensatz zu Levofloxacin in der Tigecyclingruppe keine Risikofaktoren für ein Nichtansprechen auf die antibiotische Therapie identifiziert werden [2].

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Literatur

  • 01 Carratala J . et al . Arch Intern Med. 2007;  167 (13) 1393-1399
  • 02 Dartois M . et al . 17th ECCMID /25th ICC. 2007;  Poster 849
  • 03 Dartois M . et al . 17th ECCMID /25th ICC. 2007;  Poster 848
  • 04 Dikart G . et al . 46th ICAAC. 2007;  Poster L-1450

1 Zugelassen ist Tigecyclin derzeit zur Therapie komplizierter Haut- und Weichgewebeinfektionen sowie kompliziertem intraabominellen Infekt.

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Literatur

  • 01 Carratala J . et al . Arch Intern Med. 2007;  167 (13) 1393-1399
  • 02 Dartois M . et al . 17th ECCMID /25th ICC. 2007;  Poster 849
  • 03 Dartois M . et al . 17th ECCMID /25th ICC. 2007;  Poster 848
  • 04 Dikart G . et al . 46th ICAAC. 2007;  Poster L-1450

1 Zugelassen ist Tigecyclin derzeit zur Therapie komplizierter Haut- und Weichgewebeinfektionen sowie kompliziertem intraabominellen Infekt.

 
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Tobias Welte, Hannover