Der Klinikarzt 2007; 36(10): 600-601
DOI: 10.1055/s-2007-991606
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Mykologie: eine Erfolgsbilanz - Die Geschichte der antimykotischen Therapie tief lokalisierter Mykosen im Licht der DMykG-Tagungen 1961 bis 2006

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31 October 2007 (online)

 
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Die Programme der bisher 40 Tagungen in den 46 Jahren des Bestehens der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft (DMykG) spiegeln eindrucksvoll die Entwicklungsgeschichte jener Antimykotika wieder, die zum Einsatz gegen tief lokalisierte, lebensbedrohliche Mykosen geeignet sind. An dieser Entwicklungsgeschichte hat unsere Gesellschaft mit ihren Tagungen als Forum des wissenschaftlichen, kritischen Erfahrungsaustausches einen gewichtigen Anteil. Ein solcher geschichtlicher Rückblick macht zugleich deutlich, dass es auf diesem Feld Perioden höchst fruchtbarer Kooperationen zwischen den Wissenschaftlern der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft und der pharmazeutischen Industrie gab und immer noch gibt, die für den Therapiefortschritt unabdingbar sind.

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Wie alles begann: Einführung von Amphotericin B

Das erste verfügbare, gegen tiefe Mykosen wirksame Medikament war Amphotericin B. Es wurde 1955 beschrieben und wird seit 1957 zur antimykotischen Therapie eingesetzt - und ist somit sogar älter als unsere Fachgesellschaft. Der erste Produzent war Squibb-von Heyden. Bis heute ist das breite antimykotische Wirkspektrum der Substanz unerreicht. Von Beginn an aber waren die möglichen, schweren Nebenwirkungen ein bedeutendes Handicap im therapeutischen Einsatz. Dennoch gilt das Wort des Basler Mykologen Hans Scholer: "Es sind in den 1960er-Jahren mehr Menschen dadurch verstorben, dass ihnen Amphotericin B aus Angst vor Nebenwirkungen verweigert wurde, als an den gefürchteten Nebenwirkungen selbst!"

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Schnell folgt eine weitere antimykotisch wirksame Substanz

Schon kurz nach der Einführung von Amphotericin B, nämlich 1963, wurde die antimykotische Wirkung des 5-Fluorocytosins (5-FC) beschrieben. Zur klinischen Anwendungsreife gebracht hat die Substanz die Arbeitsgruppe um Hans Scholer von der Firma Hoffmann-La Roche in Basel. Erstmals vorgestellt wurde sie dann 1969 auf der DMykG-Tagung in Krefeld. Schnell hatte sich jedoch ein bedeutender Nachteil von 5-Fluorocytosin herauskristallisiert. Wegen seiner Neigung, in der bekämpften Pilzpopulation 5-FC-Resistenzen zu induzieren, wurde es nur in Kombination mit Amphotericin B eingesetzt.

In dieser Kombination war es aber auch möglich, das Amphotericin B in einer deutlich geringeren Dosierung (der halben Dosis der Monotherapie) zu geben, was die viel gefürchteten Nebenwirkungen deutlich verringerte. Darüber hinaus verminderte das in der parenteralen 5-FC-Zubereitung enthaltene Kochsalz die Nebenwirkungen des Amphoterin B zusätzlich. Dieses Phänomen hat Hugo T. Heidemann, Essen, auch theoretisch untermauert, wofür er 1993 den Forschungsförderpreis der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft (DMykG) erhielt.

Immerhin zwei Jahrzehnte lang war die Kombination aus 5-Fluorocytosin plus Amphotericin B der Goldstandard zur Therapie von Candidosen, Cryptococcosen, Chromomykosen und zum Teil auch Aspergillosen. Ein weiterer Fortschritt des Amphotericin-B-Einsatzes war die Einführung liposomaler Zubereitungen mit ihren vorteilhaften pharmakokinetischen Eigenschaften, die auf der Tagung der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft 1990 in Göttingen ein wichtiges Thema waren.

Mit Hans Scholer und der Firma Hoffmann-La Roche untrennbar verbunden sind die ersten umfangreichen industriegestützten Veranstaltungen zur Weiterbildung in der medizinischen Mykologie. Wurden doch die Therapiefortschritte der 1960er-Jahre deswegen klinisch nicht ausgeschöpft, weil es den Klinikern, die Mykoserisikopatienten betreuten, weithin an mykologischen Kenntnissen und am "mykologischen Bewusstsein" mangelte. Scholer wirkte damals mit seinen Basler Mitarbeiterinnen Annemarie Polak und Hannelene Müller, dem St. Gallener Internisten Theodor Wegmann und Johannes Müller aus Freiburg in zahllosen Weiterbildungsveranstaltungen dieser Unkenntnis entgegen.

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Azol-Antimykotika weckten große Hoffnungen

Mit Clotrimazol präsentierte die Firma Bayer 1969 in Krefeld eine weitere Neuheit: das erste Azol-Antimykotikum. Diese neue Wirkungsklasse sollte die Chemotherapie der Mykosen revolutionieren. Dementsprechend war an Clotrimazol die große Hoffnung geknüpft, auch tiefe Mykosen therapieren zu können. Da dieses Azolderivat jedoch Leberenzyme induziert, welche den Wirkstoff abbauen und so dessen Serumspiegel unter die Wirksamkeitsgrenze drücken, konnte Cotrimazol zumindest diese Hoffnung nicht erfüllen. Dafür aber beherrschte der Wirkstoff jahrelang unangefochten die Therapie der Dermatomykosen und stellte dieses Feld auf eine ganz neue Grundlage. Auch die Firma Bayer hatte unter der Federführung von Manfred Plempel einen bemerkenswerten Anteil an der Förderung der medizinischen Mykologie.

Fast zeitgleich erweiterte die Firma Janssen das Spektrum der Therapeutika gegen tiefe Mykosen mit einem Azol-Antimykotikum. Miconazol, konnte sich mit seinen pharmakologischen Eigenschaften als systemisch wirksames Antimykotikum besser behaupten als Clotrimazol und ging daher als erstes gegen tiefe Mykosen wirksames Azolpräparat in die Geschichte der Mykologie ein.

Zehn Jahre später präsentierte die Firma Janssen Ketoconazol auf der MYK 1980 in Aachen der wissenschaftlichen Öffentlichkeit. Janssen hatte mit dem Einsatz von Azolderivaten bei Parasitosen mit dieser Wirkstoffklasse bereits erhebliche Erfahrung gesammelt, was offensichtlich der Entwicklung von Antimykotika zugute kam. Ketoconazol konnte sich gut fünf Jahre lang als systemisches Antimykotikum behaupten, erwies sich auch als gut wirksam gegen Mykosen bei AIDS und spielt heute noch eine wichtige Rolle als preiswertes Präparat in der Behandlung tropischer Mykosen.

1986, auf der Mykologentagung in Freiburg im Breisgau, kam dann Itraconazol ins Spiel, ebenfalls ein Janssen-Präparat. Dies war das erste Azoltherapeutikum, das auch gegen Schimmelpilzmykosen wirksam war, sodass sich hiermit eine Alternative zum Amphotericin B auftat. Mit der Bewertung der drei Antimykotika Miconazol, Ketoconazol und Itraconazol hat sich auch die Firma Janssen als Sponsor der medizinisch-mykologischen Weiterbildung einen Namen im deutschsprachigen Raum gemacht.

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Ein neues Azolantimykotikum steigt in den Ring

Ein "Paukenschlag" in der Geschichte der Antimykotika war die erste Präsentation von Fluconazol auf der Mykologentagung 1988 in Baden bei Wien. Mit dieser neu eingeführten Substanz bot Pfizer ein Azol mit einer hervorragenden Wasserlöslichkeit und einem exzellenten Verteilungsmuster an - besser als alle anderen Azol-Antimykotika bislang bieten konnten. Für Pfizer war es das erste Antimykotikum in seiner Produktpalette.

Das erklärt wohl die außerordentliche Behutsamkeit, mit der neben den üblichen prospektiven Studien klinische Erfahrungen im Rahmen eines "Compassionate-Usage"-Programms gesammelt wurden, bevor 1990 endgültige Zulassungsanträge gestellt wurden. In diesem Programm wurden Patienten mit tief lokalisierten Candidosen und Cryptococcosen unentgeltlich behandelt und der Krankheitsverlauf umfassend dokumentiert. Im Verlauf dieser zwei Jahre beteiligten sich 180 Kliniker und 50 niedergelassene Ärzte an der Aktion. Die dabei gesammtelten Erfahrungen wurden in einem Workshop in Bad Neuenahr wie auch auf den folgenden DMykG-Tagungen vorgestellt.

Der Wirkungsschwerpunkt von Fluconazol lag bei den Candidosen, der Cryptococcose, den amerikanischen Mykosen durch dimorphe Pilze und bei Dermatomykosen. Rückblickend wissen wir heute, dass sich durch den Einfluss des Fluconazols die Epidemiologie der Candidose drastisch geändert hat. Das nebenwirkungsarme Fluconazol hat auch die jahrzehntelang sehr kontrovers geführte Debatte über die Indikation einer Prophylaxe bei Mykoserisikopatienten auf eine solide Basis gestellt.

Mit der Einführung von Fluconazol begann auch Pfizer, sich im Rahmen der Förderung der medizinischen Mykologie zu engagieren. Denn das beste Therapeutikum nütze nichts, wenn die die Risikopatienten betreuenden Ärzte kein "Mykosebewusstsein" haben, wenn die Labormykologen nicht leistungsfähige diagnostische Verfahren entwickeln und für den diagnostischen Alltag zur Verfügung stellen und wenn das unübersehbar bunte Bild der Mykosen auf dem Hintergrund unterschiedlichster Grunderkrankungen nicht kasuistisch und epidemiologisch ausgewertet wird - so der Gedanke des Unternehmens. Aus diesem Grund geht Pizer mit seiner Wissenschaftsförderung über das unmittelbare therapeutische Anliegen und über das ökonomische Interesse hinaus und schließt alle Bereiche der medizinischen Mykologie in die Förderung ein.

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Die bislang letzten erfolgreichen Antimykotika-Entwicklungen

Diese Förderungsstrategie hat sich für beide Partner ausgezahlt. Pfizer hat mit der Entwicklung von Voriconazol auch in der Behandlung der Aspergillosen eine neue Marke gesetzt. Voriconazol wurde auf der DMykG-ECMM-Tagung 1999 in Dresden erstmals vorgestellt und 2002 eingeführt. Inzwischen ist es zum therapeutischen Goldstandard geworden. Mit dem Posaconazol der Firma Schering-Plough-Essex, das auf der MYK-Tagung 2005 in Leipzig erstmals vorgestellt wurde, geht die Entwicklung bei den Azol-Antimykotika weiter.

Bereits 1988 präsentierte die Freiburger Mykologengruppe auf der Mykologentagung in Baden bei Wien eine antimykotische Substanz einer neuen Klasse: Cilofungin aus der Schmiede der Firma Eli-Lilly war damit das erste Echinocandin. Mit dieser Substanz wurde ein neuer Wirkungsmechanismus therapeutisch nutzbar gemacht. Anders als Amphotericin B und die Azole greifen die Candine nämlich nicht an der zytoplasmatischen Membran an, sondern inhibieren das Wachstum der Pilzzelle, indem sie die Glukansynthese in der basalen Zellwandschicht stören, was eindrucksvoll im elektronenmikroskopischen Bild gezeigt werden konnte. Eli-Lilly gab die Echinocandine allerdings bald ab, und erst 14 Jahre später wurde mit Caspofungin der Firma MSD Sharp & Dohme das erste Echinocandin in der klinischen Praxis verfügbar.

Derzeit werden die Erfahrungen mit den inzwischen zur klinischen Anwendungsreife gelangten Echinocandin-Antimykotika gesammelt und ausgewertet - dem Caspofungin (MSD-Sharp & Dohme), dem Micafungin (Astellas) und dem Anidulafungin (Pfizer).

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Abb. 1 Invasive pulmonale Aspergillose

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Vorsicht: Kein Grund zur Entwarnung

Zwar sehen wir in den letzten beiden Jahrzehnten einen geradezu exponentiellen Zuwachs an Möglichkeiten zur Therapie tief lokalisierter Mykosen. Das ist freilich kein Grund, im weiteren Entwicklungsbemühen nachzulassen. Denn neben der Optimierung der bisher eingesetzten Therapieoptionen bei den inzwischen relativ gut beherrschbaren Mykosen bestehen noch große Problemfelder wie

  • Zygomykosen

  • Amphotericin-B-resistente Mykosen

  • multiresistente Mykosen

  • pharmakokinetisch und pharmakodynamisch schwierige Mykosesituationen - hier sind intelligente antimykotische Kombinationstherapien gefragt.

Es gibt also noch viel zu tun! Packen Sie's an!

Prof. Johannes Müller, Emmendingen

 
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Abb. 1 Invasive pulmonale Aspergillose