Die Schweigepflicht ist ein Dauerbrenner in der medizinrechtlichen Beratung. Ärzte sind sich häufig der enormen Reichweite der Schweigepflicht nicht bewusst. Immer wieder fordern Außenstehende von Krankenhausärzten oder anderen Krankenhausmitarbeitern vermeintlich unverfängliche Angaben über Patienten und deren Behandlung an. Und regelmäßig kommt es zu Fehleinschätzungen, wenn zum Beispiel Behörden oder besonders die Polizei ins Spiel kommen. Ein aktuelles Urteil (Oberlandesgericht Karlsruhe vom 11.08.2006 - 14 U 45/04) bestätigt erneut die weitreichende Bedeutung der Schweigepflicht.
Patient verlangt Auskunft über Mitpatient
Patient verlangt Auskunft über Mitpatient
Die Klägerin (eine Patientin) befand sich in der von der Beklagten betriebenen Klinik - eine Fachklinik für psychogene Erkrankungen -, um sich einer stationären Rehabilitationsmaßnahme zu unterziehen. Im Rahmen dieser Therapie nahm sie an einer ärztlich verordneten Tanztherapie teil. Bei einer Tanzübung, die unter Aufsicht einer Mitarbeiterin der Beklagten durchgeführt wurde, kollidierte die Klägerin mit einem Mitpatienten, kam zu Fall und zog sich erhebliche Verletzungen an einem Bein zu. Wie es zu diesem Unfall kommen konnte, war zwischen dem Krankenhaus und der Patientin streitig.
Die Klägerin kannte lediglich den Vornamen des Mitpatienten, nicht aber seinen Nachnamen und seine Anschrift. Sie klagte daher auf Auskunft darüber, wer sie während der Übungsstunde durch seinen Sturz am Bein verletzt hatte. Sie wollte sowohl das Krankenhaus als auch den Patienten später zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch zu nehmen.
Land- und Berufungsgericht wiesen die Klage ab
Land- und Berufungsgericht wiesen die Klage ab
Die Klage hatte über zwei Instanzen keinen Erfolg. Das Landgericht wies in erster Instanz den Auskunftsantrag gegen das Krankenhaus mit der Begründung ab, das Krankenhaus sei zur Preisgabe von Namen und Anschrift des Patienten nicht verpflichtet. Beide Angaben gehörten zu dem durch § 203 StGB (Schweigepflicht) geschützten Rechtsgut. Nach Auffassung des Gerichts würde sich das Krankenhaus bei der verlangten Auskunftserteilung strafbar machen.
Gegen dieses Urteil legte die Patientin Berufung ein mit der Begründung, das Krankenhaus würde sich mit der Erteilung der verlangten Auskunft nicht strafbar machen. Der Klägerin gehe es nicht um die Bekanntgabe der Patientendaten oder der Krankengeschichte des Mitpatienten. Vielmehr müsse man ihr ermöglichen, gegen ihn Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Nach Auffassung der Klägerin würde eine Abwägung der beiderseitigen Interessen ergeben, dass die Interessen der Klägerin gegenüber dem Mitpatienten überwiegen.
Doch das Oberlandesgericht wies die Berufung der Patientin zurück und bestätigte damit das Urteil des Landgerichts. Dieses habe in erster Instanz zu Recht entschieden, dass das Krankenhaus keine Auskunft über die Identität des in den Unfall verwickelten Mitpatienten geben müsse. Zudem verwies das Oberlandesgericht ausdrücklich darauf, dass bereits der Name des Patienten zu dem durch § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB geschützten Rechtsgut gehöre. Einem Arzt und seinen berufsmäßigen Gehilfen ist es untersagt, ein im Rahmen der Berufsausübung bekannt gewordenes, den persönlichen Lebensbereich betreffendes Geheimnis des Patienten zu offenbaren. Dazu gehört auch der Umstand, dass sich der Patient überhaupt einer ärztlichen Behandlung unterzieht bzw. unterzogen hat.
Zeugnisverweigerungsrecht auch bei Namen und Anschrift
Zeugnisverweigerungsrecht auch bei Namen und Anschrift
Das Gericht zieht hierfür den Vergleich zum Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes heran, wonach dieser auch bezüglich der Identität und der Tatsache der Behandlung des Patienten ein Zeugnisverweigerungsrecht besitzt. Dieselbe Wertung läge auch dem Paragrafen der Schweigepflicht zugrunde. Allerdings wies das Gericht auch darauf hin, dass die Bekanntgabe des vollständigen Namens und der Anschrift des Mitpatienten insbesondere dann zulässig wäre, wenn dieser darin eingewilligt hätte. Eine solche Einwilligung konnte die Klägerin allerdings nicht nachweisen.
Ohne oder gegen den Willen des Mitpatienten wäre die Lüftung des Geheimnisses seiner Identität nach Auffassung des Gerichts im konkreten Fall allenfalls aufgrund einer zugunsten der Klägerin ausgehenden Interessensabwägung bei Vorliegen eines Notstandes gerechtfertigt gewesen. Eine Notstandssituation wird von der Rechtsprechung zum Beispiel dann angenommen, wenn die Geheimnisoffenbarung zum Zweck der Geltendmachung von Honoraransprüchen des Schweigepflichtigen (Arzt) dient. Begründet wird dies nicht nur mit seinen Vermögensinteressen, sondern insbesondere damit, dass er sonst rechtlos gestellt wäre. Darüber hinaus habe der von der Schweigepflicht geschützte Patient den Interessenskonflikt selbst veranlasst, indem er zum Beispiel die Rechnung des Arztes nicht bezahlt hat.
Schweigepflicht hat Vorrang - bei Arzt und auch Verwaltung
Schweigepflicht hat Vorrang - bei Arzt und auch Verwaltung
Die Besonderheit des beschriebenen Falles lag nun darin, dass nicht die typische Abwägung eigener Interessen des Arztes gegen die seines Patienten zugrunde lag, sondern vielmehr die Abwägung zwischen den Pflichten des Arztes gegenüber verschiedenen Patienten, die zudem miteinander kollidierten. Nach Ansicht des Gerichts hat die Verpflichtung zur Wahrung des Geheimnisbereichs des einen Patienten eindeutigen Vorrang gegenüber der nachvertraglichen Nebenpflicht des Arztes zur Hilfe bei der Geltendmachung gegen diesen Patienten gerichteter, etwaiger Schadensersatzansprüche eines anderen Patienten.
Häufig versuchen die Parteien, die benötigten Informationen nicht direkt über die Ärzte oder Krankenschwestern zu erfragen, sondern wählen den Weg über die Verwaltung des Krankenhauses. Aber auch das in den Vertrauensbereich einbezogene interne Verwaltungspersonal ist nach Auffassung des Gerichts an die Schweigepflicht gebunden und kann sich gegebenenfalls strafbar machen.
Schweigepflicht gegenüber Familienangehörigen und Behörden
Schweigepflicht gegenüber Familienangehörigen und Behörden
Zu beachten ist außerdem, dass die Schweigepflicht grundsätzlich auch gegenüber Familienangehörigen und Behörden besteht. Auch bei Polizeibeamten ist Vorsicht angebracht. Besteht zum Beispiel der Verdacht, dass ein Patient eine Straftat begangen hat und die Ermittlungsbehörden fragen im Krankenhaus nach, ob der Betroffene dort behandelt wird oder wurde, darf hierüber zunächst keine Auskunft erteilt werden. Andernfalls läuft man Gefahr, vom Patienten wegen Verletzung der Schweigepflicht angezeigt zu werden. Im Übrigen gilt die Schweigepflicht auch gegenüber ärztlichen Kollegen, es sei denn, die Mit- und Weiterbehandlung erfolgt mit Wissen des Patienten.
Erlaubter Bruch bei Einverständnis oder Notstand
Erlaubter Bruch bei Einverständnis oder Notstand
Ein erlaubter Bruch der Schweigepflicht kommt nur dann in Betracht, wenn entweder eine Einwilligung des Patienten vorliegt bzw. von dieser auszugehen ist oder ein sogenannter rechtfertigender Notstand vorliegt (§34 StGB). In letzterem Fall muss der Arzt abwägen, ob das gefährdete Rechtsgut das Recht des Patienten an der Geheimhaltung überwiegt. Problematisch kann dies sein, wenn zum Beispiel Leib oder Leben des Patienten oder anderer gefährdet sind. Da es sich bei einer Verletzung der Schweigepflicht um ein strafrechtliches Delikt handelt, sollte bei Unsicherheit gegebenenfalls vor der Erteilung einer Auskunft juristischer Rat eingeholt werden.
Schweigepflicht im Mehrbettzimmer
Schweigepflicht im Mehrbettzimmer
Im Rahmen der Krankenhausbehandlung stellt sich die Problematik der Schweigepflicht bzw. der Einwilligung in den Bruch der Schweigepflicht bereits bei einer Krankenbehandlung in Mehrbettzimmern. Äußert der Patient zum Beispiel unter Hinweis auf die Schweigepflicht den Wunsch, bestimmte Behandlungen oder Behandlungsgespräche nicht im Krankenzimmer unter Beisein der Mitpatienten zu führen und der Arzt würde sich darüber hinwegsetzen, läge eine Schweigepflichtverletzung vor, da er nicht von einer Einwilligung des Patienten ausgehen durfte.
Schweigepflicht gilt über den Tod hinaus
Schweigepflicht gilt über den Tod hinaus
Häufig unbekannt ist auch die Tatsache, dass die Schweigepflicht auch dann weiter gilt, wenn der Patient bereits verstorben ist. Häufig werden von Hinterbliebenen Informationen angefordert, deren Preisgabe unter Umständen nicht gerechtfertigt ist. Angehörige müssen immer ein berechtigtes Interesse an der Auskunft darlegen können. Die Schweigepflicht bleibt im Übrigen auch dann bestehen, wenn ein Arzt seine Berufstätigkeit bereits aufgegeben hat.