Prof. Dr. Dr. h. c. C. E. Orfanos
Ehem. Dir. der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Dekan des Medizinischen Fachbereichs II der Freien Universität Berlin.
Die Entscheidungen einer Kommission aus Vertretern der Politik, des Wissenschaftsrates und der DFG die universitäre Spitzenforschung mittels einer Exzellenzinitiative zu fördern, wobei gleichzeitig neun deutsche Hochschulen als „Elite-Universitäten” herausgestellt werden und eine gesonderte Unterstützung vom Bund erhalten, hat in letzter Zeit für Bewegung in der deutschen Hochschullandschaft gesorgt.
Die Bereitstellung von 1,9 Milliarden € für die universitäre Spitzenforschung während der kommenden fünf Jahre wurde als wichtiger Hoffnungsschimmer für die Zukunft gesehen, während in manchen Medien von „Aufbruchstimmung” die Rede war. Ob es wirklich so ist, wird die Zukunft zeigen, ein Fragezeichen wäre dazu angebracht. Kritisieren kann man unter anderem, dass im Vergleich zu den grundlagenwissenschaftlichen, molekularbiologischen und hochtechnologischen Themenkomplexen der „Exzellenzcluster”, die genehmigt wurden, die Geisteswissenschaften nur geringe Berücksichtigung fanden. Jurisprudenz, Geschichte, Sprachwissenschaften, Literatur, Philosophie, Ethik und vieles andere blieben weitgehend auf der Strecke, manche im Ausland werden sich doch über das Land von Kant und Goethe sehr wundern!
Zusätzlich trat bei den Entscheidungen ein Ost-West-Gefälle auf, zumal in den neuen Ländern keine Hochschule den Status einer „Elite-Universität” erreicht hat. Auch der Humboldt Universität in Berlin gelang es nicht, während die Freie Universität ein vielfältiges Netz von Forschungsverbünden und Graduiertenschulen durchbrachte und die Voraussetzungen für eine „Elite-Universität” erfüllte. Immerhin, an der Berliner FU zeichnet sich für die Zukunft ein geisteswissenschaftlicher Fokus ab, für viele ein Lichtblick.
Offen blieb die Frage, ob in den Plänen des Bundes eine Fortsetzung der Förderung über die ersten fünf Jahre hinaus vorgesehen ist. In der Forschung können fünf Jahre allenfalls den Beginn eines Projektes bedeuten, kein vernünftiger Wissenschaftler würde erwarten, innerhalb dieser kurzen Zeit die Spitze zu erreichen oder gar sie zu halten. Ohne Fortsetzung der Förderung hätten die auserwählten Spitzenuniversitäten keine Chance, ihre Projekte zu Ende zu führen. Ebenso wäre ihre Vernetzung und Kooperation mit den erfahrenen und überaus erfolgreichen Großforschungsinstituten auf lange Sicht nicht möglich, wenn sie keine weitere Unterstützung erhielten und nicht von den Fesseln einer bürokratischen Hochschulpolitik befreit würden, die sie seit längerem plagt. Eine „Elite-Universität” kann sich nicht nur auf der Basis der Forschung als solche etablieren, Spitzenforscher und Geldsummen allein reichen dafür nicht aus. Sie braucht auch Spitzen-Lehrer und Spitzen-Studenten, auch wenn man über die Definition der „Spitze” streiten kann. Eine Universitätsreform müsste somit folgen, womit die Universitäten selbst ihren Kurs bestimmen, mit anderen Worten, eine Autonomie der Universitäten wäre notwendig, um das gesetzte Ziel zu erreichen. Alles andere wäre Flickwerk.
Der Berliner Wissenschaftssenator Zöllner hat gleich nach der Entscheidung der Kommission als „Masterplan” für die Zukunft eine „Super-Uni” vorgeschlagen und damit demonstriert, dass die Exzellenzinitiative nicht etwa Eintagsfliege, sondern als Korrektur des bisherigen Kurses verstanden wird. Sie soll die Universitäten in die Spitzenforschung wiedereinführen und langfristig dazu verpflichten.
Als Super-Uni soll in Berlin nach der Vision des Senators ein „International Forum of Advanced Studies” (IFAS Berlin) fungieren, unter Mitwirkung aller drei Berliner Universitäten. Dabei spielen offenbar amerikanische Modelle, wie etwa das von Harvard, in den Köpfen der politisch Verantwortlichen eine Rolle. Doch bei der Vorstellung seiner Pläne während einer Veranstaltung an der FU wurde dem Senator von Seiten der Universitätsvertreter erheblicher Widerstand entgegengebracht und eine Aushöhlung der vorhandenen Universitäten befürchtet. „Administrative Verwerfungen” bräuchten jetzt die Universitäten nicht, sondern Zeit, um die Vorgaben zu realisieren, wurde dem Senator entgegnet. Und wie soll die angedachte Super-Uni mit vorgesehenen 15 Mio. Ausstattung überhaupt Erfolg versprechen? Wie kann man da mit Harvard und Stanford konkurrieren, die jeweils über 2 - 3 Milliarden € pro Jahr verfügen? Allenfalls wäre an einen Verbund zwischen Universitäten und den vorhandenen außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu denken, der über keine formellen Rechte, d. h. Promotions- und Habilitationsrecht verfügt, nicht in Konkurrenz zu den vorhandenen Universitäten tritt, und keine andere Zielsetzung hat als die synergistische Bündelung der Forschungskräfte. Die akademischen Rechte müssten den Universitäten vorbehalten bleiben, wie auch die strategische Forschungsplanung, wenn nicht das System zuungunsten der Hochschulen durcheinander geraten soll.
Doch für uns Ärzte bleibt die wichtige Frage: Wie steht es mit der Hochschulmedizin?
Gerade die Exzellenzinitiative hat gezeigt, dass das bisherige universitäre Spektrum, bestehend aus Bildungsförderung, exzellenter Forschung und Wissensvermehrung, mit dem neu gesetzten Ziel einer wirtschaftlichen Nutzung die medizinisch-ärztlichen Aufgaben nicht abdeckt. Die Medizin befasst sich unmittelbar mit dem Menschen, seinem Gesundsein und seinem Krankwerden. Das Ausarbeiten neuer Forschungsergebnisse und ihre merkantile Umsetzung in Industrie und Wirtschaft liegen fern von alledem.
Zweifellos gilt auch für die Medizin, dass die Grundlagenforschung von heute die Routine von morgen ist, doch die Gesellschaft erwartet von der Universitätsmedizin in erster Linie gute Ärzte aus- und weiterzubilden, solche, die über das notwendige Wissen verfügen, zugleich aber auch die Kraft und das Ethos mitbringen, um die „Hightech”-Gesundheitsmaschinerie, die uns heute bereits zur Verfügung steht, mit allen damit verbundenen Lücken und Tücken zu beherrschen und angemessen beim Menschen anzuwenden.
Also, es kann nicht anders sein, die akademische Lehre ist für die Universitäts-Medizin die Basis der Exzellenz. Je mehr die Naturwissenschaften und die Ökonomie unser Leben beherrschen, desto klarer erkennt man, dass medizinische Hochschulen durchaus die Nähe zu Forschungsinstitutionen benötigen, doch ihre Vernetzung mit dem Ziel der Spitzenforschung nicht das unmittelbare Ziel der universitären Medizin ist. Die medizinischen Fakultäten müssen sich künftig verstärkt, neben der Lehre, um die Krankenversorgung kümmern.
Ein letzter wichtiger Punkt: Beim Küren von „Elite-Universitäten” hat die Exzellenzinitiative die aktuellsten Aspekte der klinischen Medizin außer Acht gelassen, womit eine Schieflage droht. Unter den 36 genehmigten Exzellenzclustern ist nur ein einziges unmittelbar der klinischen Medizin gewidmet („Kardiopulmonale Medizin”, Universität Gießen). Einige andere befassen sich mit molekularer und biotechnologischer Medizin. Brustkrebs, Lungenkrebs, malignes Melanom und sonstige Themen der Onkologie, HIV- und andere Infektionen, die sich weltweit schnell ausbreiten, Depressionen, Drogensucht und psychosomatische Erkrankungen, Demenz, Transplantationschirurgie, Ernährungsstörungen und viele andere aktuelle Themen der Medizin, um nur wenige zu nennen, sind in der Liste der bewilligten Exzellenzcluster nicht als solche vertreten.
Wurden keine derartigen Anträge gebilligt oder lagen keine vor, weil sie in Anbetracht der Erfolg versprechenden „Trends” keine Chance hatten? Wo aber soll die Erforschung dieser hochaktuellen Grundthemen der Medizin stattfinden, wenn nicht in den Universitäten? Und, sollte man demnächst erwarten, dass die exzellente Krankenversorgung sich in den städtischen Großkrankenhäusern konzentriert?
Für die Universitäten gilt es, sich von Trends möglichst fernzuhalten und den Menschen und seine Bedürfnisse in den Vordergrund ihrer Aufgaben stellen. Für die Universitäts-Medizin dürfte die Zeit, in der man sich bemühte, exzellente Lehre mit exzellenter Forschung und exzellenter Krankenversorgung gleichzeitig und gleichwertig zu betreiben, der Vergangenheit angehören. Viele unter den Älteren werden dies bedauern, aber es lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Wenn man aber wählen muss, dann haben die ärztliche Heilkunst und Lehrpflicht die höchste Priorität, gerade an den Universitäten.