Einführung
Die Cheilitis actinica ist eine klinische Variante aktinischer Keratosen am Lippenrot (Übergangsepithel). Häufig können die beiden Hautschädigungen bei demselben Patienten beobachtet werden, wobei offenbar Rauchen und intensive UV-Exposition die Hauptrisikofaktoren für die Cheilitis actinica darstellen. Daher findet sich die Cheilitis actinica in den meisten Fällen an der Unterlippe [1 ]. Wie aktinische Keratosen hat auch die Cheilitis actinica das Potential zur malignen Entartung in ein Plattenepithelkarzinom. Es gibt bislang keine Daten zur Progressionsrate, aber mit einer Inzidenz von 1,8 Fällen auf 100 000 Einwohner pro Jahr ist das Plattenepithelkarzinom der Lippe der häufigste Krebs der Mundhöhle [2 ]. In einer Fallserie von 65 Patienten mit Cheilitis actinica aus der Mund- und Kieferchirurgie in Thessaloniki, Griechenland, zeigten 11 Patienten (16,9 %) bereits histologische Anzeichen eines invasiven Plattenepithelkarzinoms [1 ]. Das klinische Bild der Cheilitis actinica reicht von einem milden Erythem und lokalen oder diffusen weißlichen Belägen bis hin zu fokalen Hyperkeratosen und Erosionen. Da das Plattenepithelkarzinom der Lippe im Gegensatz zum Plattenepithelkarzinom der Haut eine erhöhte Metastasierungsrate aufweist, sollte unbedingt bereits frühzeitig behandelt werden. Wie zur Therapie von aktinischen Keratosen sind bei Cheilitis actinica chirurgische und nicht chirurgische Verfahren verfügbar ([Tab. 1 ]). Aus den oben genannten Gründen haben sich daher vor allem radikal-destruktive Verfahren, wie die Vermillektomie, die Behandlung mit dem ablativen CO2 -Laser, die Kontaktkryotherapie oder die Behandlung mit dem Elektrokauter bewährt [3 ]
[4 ]. Mit dem CO2 -Laser behandelte Patienten zeigten in dieser Studie ein kosmetisch besseres Ergebnis verglichen mit der Exzision, trotz histologisch gesicherter kompletter Abheilung. Interessanterweise schaffte die Behandlung mit 5-Fluorouracil-Creme in dieser Studie keine komplette Abheilung der Präkanzerosen [3 ]. Für die Anwendung von topischem, 5 %igem Imiquimod wurden in einer Studie gute Ergebnisse bei Cheilitis actinica erzielt [5 ], eine andere Arbeitsgruppe beschreibt das Auftreten von aphtösen Ulzerationen durch die starke Entzündungsreaktion im Rahmen der Behandlung [6 ].
Tab. 1 Aktuelle Therapieoptionen bei der Cheilitis actinica
Therapieoption Literatur
chirurgische Behandlung
Vermillektomie Satorres Nieto M, Gargallo Albiol J, Gay Escoda C. Surgical management of actinic cheilitis. Med Oral 2001; 6: 205 - 217, Sarachev EL, Ananostev NH. Surgical treatment of squamous cell carcinoma of the lower lip. Folia Med 2001; 43: 145 - 149
Kryotherapie Terezhalmy GT, Naylor GD. Actinic cheilitis. J Indiana Dent Assoc 1993; 72: 12 - 15
Elektrokaustik Laws RA, Wilde JL, Grabski WJ. Comparison of electrodessication with CO2 laser for the treatment of actinic cheilitis. Dermatol Surg 2000; 26: 349 - 353
CO2 -Laser Zelickson BD, Roenigk RK. Actinic cheilitis. Treatment with the carbon dioxide laser. Cancer 1990; 15;65: 1307 - 1311, Laws RA (siehe oben)
Topische Behandlung „field management”
Imiquimod Chakrabarty AK, Mraz S, Geisse JK, Anderson NJ. Aphthous ulcers associated with imiquimod and the treatment of actinic cheilitis. J Am Acad Dermatol 2005; 52: 35 - 37, Smith KJ, Germain M, Yeager J, Skelton H. Topical 5 % imiquimod for the therapy of actinic cheilitis. J Am Acad Dermatol 2002; 47: 497 - 501
Photodynamische Therapie Hauschild A, Lischner S, Lange-Asschenfeldt B, Egberts F. Treatment of actinic cheilitis using photodynamic therapy with methyl aminolevulinate: report of three cases. Dermatol Surg 2005; 31: 1344 - 1347, Alexiades-Armenakas MR, Geronemus RG. Laser-mediated photodynamic therapy of actinic cheilitis. J Drugs Dermatol 2004; 3: 548 - 551
5-Fluorouracil Epstein E. Treatment of lip keratoses (actinic cheilitis) with topical fluorouracil. Arch Dermatol 1977; 113: 906 - 908
3 % Diclofenac in 2,5 % Hyaluronsäuregel ist in Europa und den USA für die Behandlung von aktinischen Keratosen zugelassen. In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurde eine mit 5-Fluorouracil vergleichbare Wirksamkeit bei aktinischen Keratosen festgestellt, wobei die Therapie mit Diclofenac und Hyaluronsäure aufgrund der besseren Verträglichkeit von den Patienten bevorzugt wurde [7 ].
In dieser nichtverblindeten, unkontrollierten Fallserie haben wir die Wirksamkeit von 3 % Diclofenac in 2,5 % Hyaluronsäuregel bei Cheilitis actinica untersucht.
Patienten und Methoden
Sechs Patienten mit einer histologisch gesicherten Cheilitis actinica wurden mit 3 % Diclofenac in 2,5 % Hyaluronsäuregel (Solaraze®) behandelt ([Tab. 2 ]). Die meisten (5) Patienten litten unter einer aktinischen Schädigung mit der typischen Lokalisation an der Unterlippe; nur ein Patient wies Hautveränderungen an der Oberlippe auf. Vor der Behandlung wurde eine 3 - 4 mm Stanzbiopsie aus klinisch betroffener Haut entnommen, um ein Plattenepithelkarzinom auszuschließen. Die Patienten trugen das Diclofenacgel ein-, zweimal täglich über einen Zeitraum von 6 Wochen auf. Fünf Patienten entwickelten eine signifikante Schwellung der Lippe nach den ersten 1 - 2 Wochen der Therapie, sodass die Behandlung in zwei Fällen auf einmal jeden zweiten Tag reduziert wurde ([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Milde Schwellung der Unterlippe nach einer 2-wöchigen Behandlung mit 3 % Diclofenac in 2,5 % Hyaluronsäuregel.
Tab. 2 Demografie und Behandlungsergebnisse
Alter Geschlecht Lokalisation Anwendungshäufigkeit/pro Tag Nebenwirkungen Behandlungsdauer (Wochen) Klinisches Ansprechen Histologisches Ansprechen
64 W Ober- und Unterlippe 2 Mildes Erythem, leichte Schwellung 6 PA Deutliche Verbesserung mit Resten solarer Elastose
81 W Unterlippe 1 (nach der dritten Woche nur noch jeden zweiten Tag) Mildes Erythem, deutliche Schwellung 6 KA Komplette Abheilung ohne Zeichen einer solaren Elastose
65 M Unterlippe 1 (nach der dritten Woche nur noch jeden zweiten Tag) Mildes Erythem, deutliche Schwellung 6 KA Komplette Abheilung ohne Zeichen einer solaren Elastose
75 M Unterlippe 1 Kein Erythem, leichte Schwellung 6 KA Komplette Abheilung ohne Zeichen einer solaren Elastose
61 W Unterlippe 1 Kein Erythem, leichte Schwellung 6 KA Komplette Abheilung ohne Zeichen einer solaren Elastose
72 M Unterlippe 1 Mildes Erythem, leichte Schwellung 6 KA Abheilung mit Resten einer solaren Elastose
Partielles Ansprechen (PA) = Abheilung von ≥ 75 % der Läsionen. Komplette Abheilung (KA) = 100 %ige Abheilung der Läsionen.
Ergebnisse
Alle Patienten beendeten die 6-wöchige Behandlung. Fünf von sechs Patienten entwickelten eine signifikante, aber schmerzlose Schwellung der Lippe nach den ersten 1 - 2 Wochen der Behandlung ([Abb. 1 ]) - diese Reaktion weist auf eine lokale Immunreaktion gegen die dysplastischen Keratinozyten hin. Es wurden keine Erosionen oder Ulzerationen im Therapieverlauf beobachtet, wie sie für andere Formen nicht invasiver Behandlungen (z. B. Imiquimod, 5-FU) beschrieben wurden.
Nach dem Absetzen des Diclofenacgels nach 6 Wochen hielt die Schwellung der Lippe im Durchschnitt für 2 weitere Wochen an, was möglicherweise die komplette Abheilung der Dysplasie anzeigt. Um eine erfolgreiche Behandlung sicherzustellen, wurden erneut Biopsien entnommen, die eine vollständige Abheilung in 4 von 6 Fällen bestätigten. Damit zeigte sich eine 100 %ige Korrelation zwischen den klinischen und histologischen Befunden. Bei zwei Patienten konnte eine teilweise Verbesserung der aktinischen Dysplasie in der Histologie unter der topischen Diclofenac-Therapie festgestellt werden, welche auch klinisch mit einer nur teilweisen Verbesserung der aktinischen Cheilitis korrelierte.
Wundinfektionen oder Narbenbildungen traten nicht auf; insgesamt kann das kosmetische Ergebnis der Behandlung mit 3 % Diclofenac in 2,5 % Hyaluronsäuregel als sehr gut bezeichnet werden.
Diskussion
Wir konnten zeigen, dass 3 % Diclofenac in 2,5 % Hyaluronsäuregel eine gut verträgliche, effektive Therapiealternative für die Behandlung der Cheilitis actinica darstellt. 3 % Diclofenac in 2,5 % Hyaluronsäuregel ist momentan in Europa und den USA zur Behandlung aktinischer Keratosen zugelassen, es liegen aber auch zwei Fallbeobachtungen zur Behandlung eines Morbus Bowen vor [8 ].
Die Anwendung von Solaraze® für die Behandlung von aktinischen Keratosen wurde bislang in Studien an 364 Patienten dokumentiert; zu einer kompletten Abheilung der Läsionen kam es in ca. 50 % der Fälle und ein teilweises Ansprechen zeigten 79 %. Um diese Ansprechrate zu erreichen, sollte die Behandlung über 90 Tage durchgeführt werden [9 ]. Eine weitere Verbesserung wurde beim anschließenden follow-up nach Therapieende am Tag 120 gesehen [10 ]. Über den genauen Wirkmechanismus des Gels ist dagegen wenig bekannt. Es erscheint auf den ersten Blick widersinnig, einen entzündungshemmenden Wirkstoff aus der Substanzklasse der NSAID (non steroidal anti-inflammatory drug) wie Diclofenac zur Behandlung von Krebsvorstufen einzusetzen. Diclofenac hemmt sowohl die Cyclooxygenase-1 wie auch 2 (COX-2 mehr als COX-1) und blockiert damit die Bildung von Prostaglandinen in einer Menge von patho-physiologischen Prozessen.
Neben der Aktivierung im Rahmen entzündlicher Prozesse wird eine COX-2-Aufregulation auch bei einer ganzen Reihe von malignen Tumoren beobachtet, z. B. beim Lungen-, Blasen- und Ösophaguskarzinom. Daher wurden Studien durchgeführt, um eine Inhibition der COX-2 als mögliche, neue Tumortherapie zu testen [11 ]
[12 ]
[13 ]. Zusammenfassend konnte in keiner dieser Studien gezeigt werden, dass die ausschließliche COX-2-Inhibition zur Behandlung von Tumoren ausreicht. Die Mehrzahl der Studien beschreibt einen positiven Effekt in der adjuvanten Therapie, d. h. in Kombination mit einer Chemotherapie.
Die genaue Rolle von aktivierten oder aufregulierten COX-2-Proteinen während der Tumorentstehung und Metastasierung ist noch nicht verstanden. Studien an humanen Zelllinien zeigen einen kausalen Zusammenhang zwischen der Aufregulation von COX-2 und einer Vermehrung des anti-apoptotischen Proteins Bcl-2 [14 ]. Die Höhe der COX-2-Expression konnte ebenfalls mit der von Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) und der damit verbundenen anschließenden Neo-Vaskularisierung von Tumoren korreliert werden [15 ]. Die Bedeutung von VEGF bei Plattenepithelkarzinomen der Lippen wurde kürzlich nachgewiesen [16 ].
Interessanterweise wurde eine Aufregulation von COX-2 auch bei frühen und fortgeschrittenen Stadien des Plattenepithelkarzinoms und bei aktinischen Keratosen beschrieben [17 ]
[18 ]. Nicht-sonnenexponierte Haut, die in dieser Studie als Kontrolle diente, und Basaliome, obwohl ebenfalls zur Gruppe der nicht-melanozytären Hauttumoren gehörig, zeigten dagegen keine Expression von COX-2 in der Immunhistologie und im Western Blot [19 ].
Ein prinzipielles Ergebnis unserer Studie ist, dass die Wirksamkeit des Gels an eine Immunantwort in Form einer leichten Rötung und Schwellung der Lippe gebunden ist. Offensichtlich ist die Dicke der Hautbarriere ein zweiter wichtiger Faktor für einen guten Therapieerfolg. Trotz der geringen Patientenzahl und der damit verbundenen eingeschränkten Aussagekraft der Studie finden wir in 66 % der Fälle eine komplette Abheilung der Läsionen.
Aber wie kann ein antientzündlich wirkender COX-2-Hemmer eine Entzündungsreaktion fördern? Unsere Ergebnisse zeigen große Ähnlichkeit mit der Behandlung von aktinischen Keratosen und Basaliomen mit Imiquimod. Imiquimod bindet an den Toll-like Rezeptor 7 (TLR-7) auf dendritischen Zellen in der Epidermis und induziert eine T-Zell-mediierte Entzündungsreaktion, die letztendlich innerhalb von 4 - 6 Wochen zur Zerstörung der Tumorzellen führt.
An dieser Stelle ist möglicherweise der zweite Bestandteil des Diclofenac-Gels von Bedeutung. Hyaluronsäure ist ein ubiquitär vorhandener Bestandteil der extrazellulären Matrix, insbesondere der Haut. In normaler Haut dient hochmolekulare Hyaluronsäure zur Wasserspeicherung und Erhaltung der extrazellulären Matrix. In dieser Form, die auch in Solaraze® enthalten ist, ist Hyaluronsäure immunologisch inert [20 ]. Kommt es allerdings zur Entzündung oder bakteriellen Infektion, unterliegt Hyaluronsäure einem schnellen Abbau [21 ]. Die entstehenden niedermolekularen Spaltprodukte der Hyaluronsäure verstärken die Entzündung z. B. durch die Aktivierung von Alveolarmakrophagen in der Lunge oder dendritischen Zellen in der Haut. Vergleichbar mit Imiquimod vermitteln auch hier Toll-like Rezeptoren die Aktivierung, in diesem Fall TLR-2 und TLR-4. Es wurde daher vermutet, dass die niedermolekularen Spaltprodukte ein endogenes Gefahrensignal für den Körper darstellen und das Zusammenspiel der beiden Formen der Hyaluronsäure als eine Art Gewebereparaturmechanismus angesehen werden kann [22 ]
[23 ]
[24 ]
[25 ]. Trotz des kompletten Fehlens von Daten zur immunologischen Wirkung von Diclofenac in Hyaluronsäuregel, ist eine Spaltung des Gels durch Hyaluronidasen aus Streptokokken durchaus vorstellbar, die sich auf den aktinischen Hyperkeratosen befinden. Dies wiederum könnte die in dieser Studie beobachtete Entzündungsreaktion auslösen und gleichzeitig das im Gel enthaltene Diclofenac freisetzen, welches als Adjuvans zur Elimination der Tumorzellen sorgt. Für diese Hypothese spricht, dass bislang keine einzige erfolgreiche Behandlung eines Basalioms mit Diclofenac in Hyaluronsäuregel publiziert wurde, das - wie oben beschrieben - keine COX-2-Überexpression aufweist.
Es sind einige Studien verfügbar, die die Effektivität und vor allem gute Verträglichkeit der Feldbehandlung (field therapy) von aktinischen Keratosen mit 3 % Diclofenac in 2,5 % Hyaluronsäuregel zeigen [26 ]. Trotz der niedrigen Patientenzahl und aufgrund der kurzen Studiendauer begrenzten Aussagekraft zeigt unsere Studie, dass Diclofenac in Hyaluronsäuregel sinnvoll bei der Cheilitis actinica verwendet werden kann. Nichtsdestotrotz sollte trotz aller Vorteile dieser neuen, kosmetisch ansprechenden, nicht-invasiven Therapie immer eine Probebiopsie erfolgen, wenn die Hautläsionen eine gewisse Dicke, Induration oder sogar Ulzerationen entwickelt haben, um ein invasives Plattenepithelkarzinom und das damit verbundene Risiko von Metastasen auszuschließen [27 ].
Insgesamt zeigte sich in dieser Untersuchung, dass 3 % Diclofenac in 2,5 % Hyaluronsäuregel eine gut verträgliche, effektive Therapiealternative für die Behandlung der Cheilitis actinica darstellt. Weitere Studien sind notwendig, um eine optimierte Behandlungsstrategie für die Cheilitis actinica mit Diclofenac in Hyaluronsäure zu entwickeln. Von besonderer Bedeutung wäre unserer Meinung nach die Entwicklung von speziellen Galeniken, die eine Anwendung an der Lippe/Schleimhäuten erleichtern. Nützlich wäre hier z. B. ein Lippenstift, der Diclofenac/Hyaluronsäure enthält und nicht nur zur Heilung einer bereits vollständig ausgebildeten aktinischen Dysplasie eingesetzt werden könnte, sondern ggf. auch zu deren Vorbeugung bei Hochrisikopatienten.