Einleitung
Einleitung
Das Merkelzellkarzinom (MZK), Synonym: „neuroendokrines Karzinom der Haut”, wurde
in den 1970er-Jahren unter dem Begriff „trabekuläres Karzinom” beschrieben [44]. Die Malignität war zunächst unterschätzt worden. Heute weiß man, dass es sich um
eine hochgradig bösartige Geschwulst handelt. Ultrastrukturell und biochemisch ist
das MZK mit den (neuroendokrinen) Merkelzellen der Haut verwandt [31]. Diese gehören dem APUD-System (Amine precursor uptake and decarboxylation system)
an, das auch neuroendokrine Zellen des Gastrointestinal- und Bronchopulmonaltraktes
umfasst. MZK können sich möglicherweise sowohl aus Merkelzellen der Epidermis als
auch (wahrscheinlich häufiger) aus pluripotenten dermalen Stammzellen mit neuronaler
Differenzierung entwickeln [29].
Inzidenz, Ätiologie und Kofaktoren
Inzidenz, Ätiologie und Kofaktoren
Die Inzidenz des MZK ist gering und wird aufgrund epidemiologischer Studien bei der
hellhäutigen Rasse auf 0,28 - 0,3/100 000/Jahr geschätzt [28]. Daraus ergibt sich eine Zahl von ca. 300 registrierten Neuerkrankungen pro Jahr
in Deutschland. Die Dunkelziffer wird vermutlich höher sein. Es handelt sich um einen
Tumor des höheren Lebensalters mit einem Inzidenzgipfel im 6. und 7. Lebensjahrzehnt
(mittleres Alter bei Diagnosestellung 75 Jahre), wenngleich auch über MZK im Kindesalter
berichtet wurde. Fast zwei Drittel der Patienten stellen sich im Stadium I (Primärtumor
ohne Lymphknotenmetastasen) vor, jedoch haben über ein Drittel der Patienten bei Diagnosestellung
bereits Metastasen (ca. 30 % Stadium II, lokoregionäre bzw. Lymphknotenmetastasen,
10 % Stadium III, Fernmetastasen) [36].
Die Ätiologie des MZK ist noch nicht geklärt. Als Risikofaktoren für die Entwicklung
von MZK gelten hohe kumulative UV-Licht-Belastung der Haut (60 - 70 % aller MZK finden
sich im Kopf-Hals-Bereich, 20 - 30 % an den Extremitäten [6]). Entsprechend findet man bei Patienten mit MZK auch eine Koinzidenz mit anderen
lichtinduzierten Hauttumoren. Das Risiko für Immunsupprimierte, an einem MZK zu erkranken,
ist 13-fach erhöht [11]
[40]. Eine chronische Arsenintoxikation wird ebenfalls als Kofaktor für die Entwicklung
von MZK angesehen [25]. Nicht selten besteht bei MZK eine Koinzidenz mit anderen Malignomen (insbesondere
Malignome der Speicheldrüsen und Gallengängen sowie maligne Lymphome) [18]
[28]
[37]. Kürzlich konnte eine klonale Integration eines neu entdeckten Polyomavirus („Merkel
cell virus”) in MZK nachgewiesen werden [51]. Möglicherweise wird das MZK deshalb zukünftig - ähnlich wie bestimmte Plattenepithelkarzinome
- als viral induziert angesehen werden müssen.
kurzgefasst
Das Merkelzellkarzinom ist ein seltener, hochmaligner Tumor des höheren Lebensalters.
Die Ätiologie ist unklar, UV-Exposition und Immunsuppression gelten als Hauptrisikofaktoren.
Klinisches Erscheinungsbild, Differenzialdiagnosen
Klinisches Erscheinungsbild, Differenzialdiagnosen
Das Merkelzellkarzinom entwickelt sich typischerweise auf chronisch lichtgeschädigter
Haut als derber, solider, rot-violetter Tumor von halbkugeliger bis knotiger, seltener
plaqueartiger Form ([Abb. 1]). Auffallend sind die schnelle Entstehung innerhalb von Wochen bis Monaten sowie
der derbe Palpationsbefund, wodurch es sich von benignen Hauttumoren, Basaliomen,
differenzierten Plattenepithelkarzinomen und amelanotischen Melanomen unterscheiden
lässt. Andere Differenzialdiagnosen, wie eine Hautmetastase, ein malignes Lymphom
der Haut, das Keratoakanthom oder Leiomyosarkome, sind dagegen klinisch mitunter schwer
abgrenzbar ([Tab. 1]).
Abb. 1 Merkelzellkarzinome - Klinische Befunde. A Merkelzellkarzinom der linken Wange bei einer 86 Jahre alten Patientin. Der Tumor
hatte sich nach Angaben der Patientin innerhalb von 10 Wochen entwickelt. B Schnelle Entwicklung eines Rezidivs mit Satelliten-Metastase ca. 8 Wochen nach (histologisch
kontrolliert) vollständiger jedoch knapper Resektion eines primären Merkelzellkarzinoms
am rechten Unterarm bei einem 71 Jahre alten Patienten. C Hautmetastase eines Merkelzellkarzinoms am Rumpf bei einer 72-jährigen Patientin.
Sowohl primäre Merkelzellkarzinome als auch deren Hautmetastasen zeigen meist eine
derbe, in die Subkutis einwachsende Infiltration, die in der Tiefe eisbergartig über
den äußerlich erkennbaren Anteil hinausgeht.
Tab. 1 Klinische Merkmale und Differenzialdiagnosen des MZK.
|
Klinische Merkmale
|
| Schnelles Wachstum |
| Derb und verbacken |
| Eisbergartige Verbreiterung in der Tiefe |
|
Klinische Differenzialdiagnosen (schnell wachsende derbe Tumoren)
|
| Lymphome |
| Hautmetastasen |
| Leiomyosarkom |
| Atypisches Keratoakanthom |
Die Epidermis, die den Tumor bedeckt, ist zunächst unauffällig. MZK verbreitern sich
meist eisbergartig in die Tiefe und wachsen häufig kalottenförmig nach außen. Die
intakte Epidermis spannt sich dabei oft über den Tumor, sodass sie glänzend erscheint.
Sekundär können sich im Verlauf Teleangiektasien, Erosionen, Krusten, Ulzerationen,
Blutungen und bakterielle Superinfektionen entwickeln. Das MZK wächst zunächst schmerzlos
und infiltrierend in umgebende Strukturen. Unbehandelt bilden sich oft Satellitenmetastasen.
Nach erfolgter Exzision neigt das MZK zu Lokalrezidiven, zu früher und ausgedehnter
Infiltration in die drainierenden Lymphknoten und zu hämatogener Fernmetastasierung.
Spontanregression von Primärtumor und Metastasen werden nur ausnahmsweise beobachtet.
Das Auftreten mehrerer Primärtumoren nebeneinander ist möglich [49].
Histologie
Histologie
Mikromorphologisch imponiert das MZK als dermal gelegener, asymmetrischer, unregelmäßig
begrenzter Tumor aus strangförmig oder in Nestern angeordneten Tumorzellen ([Abb. 2]). Die Tumorstränge sind von Bindegewebssepten unterbrochen und reichen bis ins subkutane
Fettgewebe, von wo sie sich bei invasivem Wachstum bis ins darunter gelegene Gewebe
ausdehnen können. Eine epidermale Beteiligung ist selten. Die gleichförmigen, runden
Tumorzellen haben ein typisches nukleäres Chromatinmuster. Sie erscheinen hell-großkernig,
mit einem sehr schmalen Zytoplasmasaum, der argyrophile Granula enthält. Atypische
Mitosen und Einzelzellnekrosen finden sich gehäuft [30]
[41]. Es werden drei histologische Bautypen unterschieden [9], die allerdings teilweise nebeneinander im selben Tumor anzutreffen sind: ein seltener
trabekulärer Typ, ein häufiger intermediärer Typ und ein kleinzelliger Typ. Lichtmikroskopische
Differenzialdiagnosen sind Metastasen von kleinzelligen Bronchialkarzinomen, kleinzellige
maligne B-Zell-Lymphome und kleinzellige maligne Melanome. Die Differenzierung erfolgt
durch immunhistochemische Spezialuntersuchungen ([Tab. 2]). Bewährt hat sich eine Kombination von Cytokeratin 20 (CK20, relativ spezifisch)
[32], Neuronenspezifischer Enolase (praktisch immer positiv, relativ unspezifisch), „leukocyte
common antigen” (LCA) (negativ), TTF-1 (meist negativ) und Vimentin (negativ) mit
einem oder mehreren der folgenden Marker: Neurofilament (70 % positiv, relativ spezifisch),
Synaptophysin (50 - 70 % positiv) und Chromogranin A (60 % positiv). Die Expression
von Tenascin-C (Tn-C) scheint mit Tumorgröße und Metastasierungsneigung zu korrelieren.
Tenascin-C wird sowohl von MZK-Zellen im Tumor, als auch von dessen Lymphknoten(LK)-Metastasen
exprimiert und ermöglicht eine bessere Abgrenzung zum gesunden Gewebe im Lymphknoten
als CK20 [20]. Als negative Prädiktionsfaktoren der Prognose wurden bisher einige Matrix-Metalloproteinasen,
der vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktor (VEGF), der Tumorsuppressor p38, der Transkriptionsfaktor
NF-κB, der Chemokinrezeptor CXCR4, und der neuroendokrine Marker Synaptophysin diskutiert
[8]
[45]. Für die immunhistochemische Abgrenzung zum kleinzelligen Bronchialkarzinom eignen
sich besonders Neurofilament und CK20 (spezifisch für das MZK), wohingegen Thyroid-transcription-factor-1
(TTF-1) beim kleinzelligen Bronchialkarzinom stets zu finden ist [3].
Abb. 2 Merkelzellkarzinome - Histologische Befunde. A Übersicht: Die Dermis infiltrierendes basophiles Infiltrat aus dicht gepackten kleinen
Tumorzellen. Zur Epidermis besteht meist eine schmale tumorfreie Zone (Hämatoxylin/Eosin
[HE]-Färbung). B In der höheren Vergrößerung erkennt man zytoplasmaarme monomorphe Tumorzellen mit
zahlreichen atypischen Mitosen sowie pyknotische Tumorzellen (HE-Färbung). C Hoher Anteil der proliferierenden Tumorzellfraktion (MiB-1/Hämatoxylin). D Typische kappenartige Expression von Zytokeratin-20 (Beispielzellen/Pfeile) (Anti-Zytokeratin-20/Hämatoxylin).
E Expression von Synaptophysin (neuroendokriner Marker). (Balken: A, 500 µm, B, 25
µm, C und E, 70 µm D, 50 µm).
Tab. 2 Immunhistologische Differenzialdiagnostik kleinzelliger Tumoren der Haut1.
|
Merkelzellkarzinom |
Hautmetastase eines kleinzelligen Bronchialkarzinoms 2
|
Malignes Lymphom |
Malignes Melanom (kleinzellig) |
| Cytokeratin 20 |
+ |
- |
- |
- |
| Synaptophysin |
+/- |
+/- |
- |
- |
| Chromagranin |
+/- |
+/- |
- |
- |
| NSE |
+ |
+/- |
- |
- |
| TTF-1 |
- |
+ |
- |
- |
| CD45 (LCA) |
- |
- |
+ |
- |
| Melan-A |
- |
- |
- |
+ |
| S 100 |
- |
- |
- |
+ |
| HMB-45 |
- |
- |
- |
+ |
|
1 modifiziert nach [16], 2 ähnliches Muster auch bei anderen neuroendokrinen Tumoren, NSE: Neuronen-spezifische
Enolase, TTF-1: Thyreoidea-Transkriptionsfaktor-1, LCA: leukocyte common antigen,
+ Expression von der Mehrzahl oder fast allen Tumoren, - Expression selten oder nie,
+/- häufige, jedoch unregelmäßige Expression.
|
Bei der ultrastrukturellen Untersuchung (Transmissionselektronenmikroskopie), die
beim MZK mit qualitativen Einbußen auch am formalinfixierten Material möglich ist,
zeigen sich charakteristische zytoplasmatische elektronendichte Granula und quirlartig
angeordnete Intermediärfilamente [12]. Metastasen anderer neuroendokriner Karzinome einschließlich des kleinzelligen Bronchialkarzinoms
können durch die Elektronenmikroskopie nicht abgegrenzt werden [17]
[33].
kurzgefasst
Histologisch finden sich dermal gelegene Stränge bzw. trabekulär angeordnete Komplexe
kleiner Zellen mit typischem nukleären Chromatinmuster. Immunhistochemischische Zusatzuntersuchungen
sind zur Diagnosesicherung und zur Differenzialdiagnose unerlässlich.
Erkrankungsstadien und Prognose
Erkrankungsstadien und Prognose
Die gebräuchliche Stadieneinteilung erfolgt nach klinischen Kriterien und ist entscheidend
für Prognose, Therapie und Nachsorge:
-
Stadium I: Primärtumor,
-
Stadium II: lokoregionäre Metastasen der Lymphabstromgebiete oder Lymphknoten,
-
Stadium III: Fernmetastasen.
Die Prognose des MZK ist schlecht. Die erkrankungsbezogene 5-Jahres-Überlebensrate
wird zwischen 30 und 74 % angegeben [1]
[27]
[42]. Die Gesamtrezidivrate liegt bei 60 %, wobei davon fast 50 % auf Fernmetastasen
entfallen. Bei primärer Exzision in sano verringert sich die Häufigkeit der Entstehung
von Metastasen deutlich (bei Lokalrezidiven um ca. zwei Drittel, Fernmetastasen um
über ein Drittel) [39]. Das rezidivfreie Intervall dauert im Durchschnitt 18,4 Monate (Zeitspanne: 1 -
80 Monate). Im Vergleich zum rein chirurgischen Ansatz kann eine Verdopplung des rezidivfreien
Überlebens durch die Kombination von Operation und Bestrahlung erreicht werden [46]
[47]. Primäre klinische Prognosefaktoren sind in [Tab. 3] dargestellt [21]
[42]. Bei einem nicht unerheblichen Anteil von Patienten mit Lymphknotenmetastasen eines
MZK wird der Primärtumor allerdings nicht gefunden [27].
Tab. 3 Prognoseverschlechternde Faktoren bei primären Merkelzellkarzinomen.
| Hohe Mitoserate |
| Endolymphatische Tumorausbreitung |
| Tumorgröße über 2 cm |
| Kopf-Hals- oder Rumpflokalisation |
| Männliches Geschlecht |
Diagnostik
Diagnostik
Die Diagnosestellung erfolgt histopathologisch (Exzisionsbiopsie). In Anbetracht der
oft explosionsartigen Tumorprogredienz nach unvollständiger Exzision [17] sollten Inzisionsbiopsie und Feinnadelpunktion nur besonderen Indikationen vorbehalten
sein und von einer schnell folgenden vollständigen Resektion begleitet werden.
Im Mittelpunkt der Ausbreitungsdiagnostik stehen bei MZK die Palpation und die Sonografie
der drainierenden Lymphgefäße und Lymphknotenstationen. Vor eingreifenden operativen
Maßnahmen sollten Fernmetastasen ausgeschlossen werden. Hierzu empfiehlt sich die
Computertomografie (CT) des Thorax (gleichzeitig Ausschluss eines Bronchialkarzinoms
- MZK gleichen klinisch und histologisch Metastasen kleinzelliger Bronchialkarzinome!),
eine CT oder Magnetresonanztomografie des Schädels und eine CT des Abdomens. Die Positronen-Emissions-Tomografie(PET)-CT-Untersuchung
kann bei bestimmten Fragestellungen hilfreich sein. Als spezifische Diagnostik neuroendokriner
Karzinome hat die Somatostatinrezeptor-Szintigrafie mit Indium-111-Oktreotid einen
gewissen Stellenwert [22]. Nach gesichertem MZK ist die Bestimmung der neuronenspezifischen Enolase (NSE)
und von Chromogranin A im Serum bzw. Plasma sinnvoll.
Die Untersuchung des Schildwächter-Lymphknotens (Sentinel-node-biopsy) ist beim MZK
diagnostisch wertvoll. Sie ist jedoch in Bezug auf die Verbesserung der Prognose umstritten:
Wichtigstes Argument der Befürworter ist eine Studie, die einen Überlebensvorteil
zeigen konnte, wenn Patienten mit pathologischem Befund im Schildwächterlymphknoten
Lymphknotenstationen einer Strahlentherapie unterzogen werden [10]. Da sich jedoch heute die adjuvante Behandlung der ableitenden Lymphknotenstation
durch eine Radiatio bei allen primären MZK zum Standard entwickelt, besteht für die
Sentinel-node-biopsy nur eine relative Indikation, wenn die Radiatio der lokalen Lymphknotenstationen
ohnehin geplant ist.
kurzgefasst
Eine umfangreiche primäre Ausbreitungsdiagnostik erlaubt die Zuordnung zum Tumorstadium
und die Abgrenzung zu anderen Tumoren, insbesondere den histologisch ähnlichen Metastasen
kleinzelliger Bronchialkarzinome.
Stadienabhängige Therapieoptionen
Stadienabhängige Therapieoptionen
Die Behandlung des MZK sollte dem Alter der Patienten angepasst werden, dabei jedoch
durchaus aggressiv sein. Die Erfahrung zeigt, dass die Erkrankung bei effektiver Therapie
im Stadium des Primärtumors und lokoregionärer Metastasen zu einem beachtlichen Prozentsatz
kurabel, bei Fernmetastasen jedoch meist nur im Sinne einer Palliation beeinflussbar
ist. Operative Strategien haben ihren Platz vor allem in den Erkrankungsstadien I
und II. Die Kombination aus operativer Behandlung und adjuvanter Strahlentherapie
ist im Vergleich zur alleinigen Operation mit signifikant niedrigeren Rezidivraten
assoziiert [24]. Systemische Therapieformen sind in erster Linie dem Stadium III vorbehalten. MZK
sind ausgesprochen strahlensensibel [2]
[27]. Der Trend geht deshalb zur Kombinationsbehandlung unter Einbeziehung von Strahlentherapie
in allen Erkrankungsstadien [4].
Primärtumor und Lokalrezidiv (Stadium I)
Operation: Ein empirisch ermittelter großzügiger Sicherheitsabstand von ca. 3 cm wird bei der
Exzision des Primärtumors oder bei Lokalrezidiven empfohlen. Dabei sollten funktionelle
und kosmetische Gesichtspunkte zur Berücksichtigung kommen. Muskeln und Nerven können
geschont werden, wenn sie nicht durch das MZK infiltriert oder Tumorrand-bildend sind.
Falls eine ausgedehnte Exzision nicht durchgeführt werden kann, ist die mikrografische
Chirurgie indiziert und wahrscheinlich bei nachfolgender Strahlentherapie der ausgedehnten
Exzision ebenbürtig. Allerdings fehlen dazu aussagekräftige Studien. Bei Inoperabilität
ist eine primäre Radiotherapie indiziert [4]. Wichtig ist, schon bei der Operationsplanung die Option auf eine Strahlentherapie
mit einzubeziehen. Auf freie Vollhaut-Transplantate sollte deshalb verzichtet werden
[16]. Die elektive Lymphadenektomie wird heute wegen der Nebenwirkungen nicht mehr empfohlen.
Ob sie einen therapeutischen Vorteil erbringt, bleibt unklar [26].
Strahlentherapie: In einer Studie mit 86 Fällen konnte gezeigt werden, dass weder die weite noch die
mikrografisch kontrollierte Exzision allein ausreichend vor Metastasierung schützen
[34]. Die Kombination von Operation mit Strahlentherapie war in dieser wie auch in anderen
Studien der alleinigen Operation deutlich überlegen [27]. Für primäre Merkelzellkarzinome oder Lokalrezidive wird heute die adjuvante Strahlentherapie
in der Regel empfohlen [13]. Dabei sollten sowohl das Operationsfeld des Primärtumors (mit großzügigem Sicherheitssaum)
als auch das Lymphabstromgebiet und die lokalen Lymphknotenstation(en) einer Strahlentherapie
unterzogen werden [2]
[43]. Geeignet sind Photonen und schnelle Elektronen. Empfohlen werden folgende Dosierungen
[14]: 50 Gy (adjuvant), 60 - 66 Gy (bei Tumornachweis am Schnittrand des Exzidats) oder
bis 70 Gy (bei inoperablen Tumoren) bei einer Fraktionierung von 5 × 2 Gy pro Woche.
Lymphknotenmetastasen und Metastasen der Lymphabstrombahn (Stadium II)
Bei Lymphknotenmetastasen hat sich die Kombination von radikaler Lymphadenektomie
und adjuvante Strahlentherapie bewährt. Auch hier sind jedoch die bisher in Studien
erfassten Fallzahlen klein. Wenig hilfreich ist die Teilresektion von Metastasen,
die beim MZK eine beschleunigte Progression nach sich ziehen kann [17]. Eine zusätzliche systemische Therapie ist vor allem bei jüngeren Patienten und
Patienten in gutem Allgemeinzustand zu erwägen. Lokale Metastasen vor der ersten Lymphknotenstation
(In-Transit-Metastasen) sollten ebenfalls kombiniert operativ-strahlentherapeutisch
behandelt werden. Eine Alternative stellt die für das MZK noch nicht abschließend
beurteilbare hypertherme Extremitätenperfusion mit Melphalan und/oder Tumornekrosefaktor-α
(TNF-α) dar [23].
Fernmetastasen (Stadium III)
Da die Diagnose einer Fernmetastase beim MZK immer das kurzfristige Auftreten weiterer
Metastasen erwarten lässt, kann die Indikation zur operativen Therapie im Stadium
III zurückhaltend gestellt werden. Einer palliativen Strahlentherapie in Kombination
mit systemischer Therapie ist meistens der Vorzug zu geben.
Chemotherapie: In der Literatur dominieren kasuistische Berichte über eindrucksvolle, jedoch kurz
anhaltende Remissionen, die von starker Tumorprogression gefolgt sind. Das MZK ist
chemosensitiv, aber kaum chemokurabel. Eine einheitliche Auffassung zur Chemotherapie
von MZK ist noch nicht in Sicht. Die Mehrzahl der adjuvanten Chemotherapie-Schemata
lehnt sich an dem Vorgehen beim kleinzelligen Bronchialkarzinom an und sollten beim
metastasierten Tumorleiden bereits initial mit zum Einsatz kommen [36]. Interessant ist ein älterer Beitrag von Voog und Team, der alle publizierten Chemotherapieversuche
bei MZK bis 1998 darstelle [48]. Favorisiert wurden das CMF-Schema (Cyclophosphamid/Methotrexat/5-Fluorouracil),
platinhaltige Therapeutika, Etoposid und Cyclophosphamid/Doxorubicin/Vincristin. Eine
Fallkontrollstudie an 120 Patienten der Stadien I (high risk) und II legt nahe, dass
eine adjuvante Chemotherapie mit Carboplatin und Etoposid im Vergleich zur alleinigen
Kombination von Chirurgie und Radiotherapie keinen größeren Einfluss auf die Prognose
hat. Prospektive randomisierte Studien fehlen allerdings [38]. Auffällig ist die Häufung chemotherapiebedingter Todesfälle, die dem Lebensalter
und Allgemeinzustand der Patienten geschuldet sind. Eine Alternative zu aggressiven
Chemotherapie-Schemata könnte sich in einer oralen Niedrigdosistherapie mit Etoposid
(100 mg/d) abzeichnen [7], die auch nach eigenen Erfahrungen zur Kontrolle der Erkrankung führt und für ältere
Patienten geeignet ist.
Therapie mit Octreotid: Die systemische Therapie mit dem Somatostatinanalogon Octreotid kann über eine Stimulation
der Somatostatinrezeptoren der MZK-Zellen zum Wachstumsstillstand und zur Tumorremission
führen [19]. Sie ist eine weitere nebenwirkungsarme Therapiealternative und kann unter der Voraussetzung
des szintigrafischen Nachweises von Somatostatinrezeptoren in den Metastasen angewendet
werden. Ein Dosierungsvorschlag ist: 3 × 500 bis 3 × 1000 µg/d Octreotid (Sandostatin),
kontinuierlich bis zur Tumorprogression [5].
Weitere Therapien: Über erfolgreiche Behandlungsversuche mit subkutanem Interferon-α wurde berichtet.
Die Therapie ist jedoch insgesamt beim MZK als unbefriedigend anzusehen [35]. Unter Therapie mit Rituximab wurde eine rasche Tumorprogression beobachtet [50].
kurzgefasst
Neben der vollständigen Exzision des Primärtumors und etwaiger Lymphknotenmetastasen
sollte in den Stadien I und II eine adjuvante Radiotherapie des Operationsfeldes und
des Lymphabstromgebietes erfolgen. Bei Risikotumoren kann ergänzend systemisch behandelt
werden. Bei Fernmetastasen haben radioonkologische und systemische Therapien einen
palliativen Charakter.
Nachsorge - Posttherapeutische Kontrolluntersuchungen
Nachsorge - Posttherapeutische Kontrolluntersuchungen
Da Lokalrezidive und Lymphknotenmetastasen oft in kürzester Zeit „aufschießen”, sind
engmaschige Nachsorgeuntersuchungen unerlässlich. Innerhalb des ersten Jahres nach
der chirurgischen und strahlentherapeutischen Behandlung von Primärtumor oder Lymphknotenmetastasen
sind klinische Untersuchungen (Inspektion und Palpation der Operationsgebiete, der
Lymphabstromgebiete und aller Lymphknotenstationen sowie eine Inspektion des gesamten
Körpers) und die Lymphknotensonografie in 4- bis 6-wöchigen Abständen zu empfehlen.
Zusätzlich bewährt sich dabei die Bestimmung von neuronenspezifischer Enolase und
Chromogranin A (in Serum bzw. Plasma). Danach kann auf vierteljährliche, nach einigen
Jahren auf halbjährliche Untersuchungsabstände übergegangen werden. Der Nachsorgezeitraum
sollte mindestens fünf Jahre betragen [15]. Aufgrund der schlechten Therapiemöglichkeiten von Fernmetastasen sind ausgeprägte
gerätetechnische Untersuchungen innerer Organe in kurzen Abständen von zweifelhaftem
Wert. Man kann sich durchaus auf regelmäßige Röntgenuntersuchung des Thorax (einmal
jährlich) und die Oberbauchsonografie beschränken, sofern keine auf Fernmetastasen
hindeutenden klinischen Symptome vorliegen [17].
kurzgefasst
Bei der Nachsorge stehen engmaschige klinische Kontrollen des Hautorgans, der lokalen
Lymphknotenstationen und Laborparameter (neuronenspezifische Enolase, ggf. Chromogranin
A) im Vordergrund.
Konsequenz für Klinik und Praxis
-
Das MZK ist aufgrund seines extrem aggressiven Wachstumsmusters mit der Neigung zur
frühen Metastasierung ein hochgradig bedrohlicher maligner Hauttumor.
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Durch seine Seltenheit und sein relativ uncharakteristisches klinisches Bild wird
das MKZ präoperativ meist nicht diagnostiziert.
-
Trotz des oft höheren Alters der betroffenen Patienten sollten nach einer erfolgreichen
Exzision weiterführende Therapien (Strahlentherapie) eingeleitet werden.
-
Die Einbindung eines mit der Diagnose erfahrenen Zentrums ist zu empfehlen.
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Wichtig ist eine gründliche Ausbreitungsdiagnostik mit Ausschluss von differenzialdiagnostisch
wichtigen anderen neuroendokrinen Karzinomen (insbesondere eines Bronchialkarzinoms).
-
Ein aggressives und gleichwohl individuell abgestimmtes interdisziplinäres und multimodales
therapeutisches Vorgehen kann die Prognose für die betroffenen Patienten vor allem
in den Erkrankungsstadien I und II wesentlich verbessern. Die Kombination operativer
Verfahren mit der Strahlentherapie ist dabei einer alleinigen Operation überlegen.
Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen Verbindungen zu Firmen haben, deren
Produkte in dieser Publikation erwähnt werden (oder zu Firmen, die ein Konkurrenzprodukt
vertreiben).