Z Orthop Unfall 2008; 146(1): 10-11
DOI: 10.1055/s-2008-1063041
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Distale Radiusfraktur - Gibt es Risikofaktoren für eine skapholunäre Bandläsion?

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Publikationsdatum:
27. März 2008 (online)

 
Inhaltsübersicht

Intercarpal ligament injuries associated with fracture of the distal part of the radius. J. Bone Joint Surg. 2007:89-A: 2334-2340

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Einleitung

Läsionen des karpalen Bandapparats als Begleitverletzung der distalen Radiusfraktur sind mit stark unterschiedlichen Inzidenzen von 9-98 % beschrieben worden, wobei skapholunäre (SL-) Bandverletzungen generell den Löwenanteil ausmachen [1], [2]. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass bei B- und C-Verletzungen, also intraartikulären Frakturen, karpale Bandverletzungen gehäuft auftreten. Während hinsichtlich der diagnostischen Aussagekraft und der Präzision bei der Schweregradeinteilung heute der Arthroskopie unbestritten im Vergleich mit Stressröntgenaufnahmen, Sonographie und MRT der erste Platz eingeräumt wird, besteht noch Uneinigkeit über die optimale Behandlung parzieller SL-Bandrupturen bzw. von Rupturen mit rein dynamischer Instabilität (Grad I und II-Verletzungen). Bei traumatischen Komplettrupturen des SL-Bandkomplexes (Grad III) resultiert eine statische Instabilität, die unbehandelt längerfristig zum karpalen Kollaps mit posttraumatischer Arthrose (sog. SLAC-wrist) und oftmals erheblichen funktionellen Beschwerden und Beschränkungen führt. Kompliziert wird die Situation dadurch, dass sich mit zunehmendem Lebensalter vorbestehende degenerative SL-Instabilitäten mit den unmittelbar traumatischen Folgen überlagern können [4].

Da zahlreiche Autoren nicht nur über die Inzidenz der karpalen Begleitläsionen berichtet haben, sondern auch je nach Konzept unterschiedliche Behandlungsstrategien zum Einsatz gebracht haben, sind Erkenntnisse über den Spontanverlauf einfacher und mittelgradiger SL-Bandläsionen bei der distalen Radiusfraktur beschränkt.

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Aufgabenstellung

Ziel der vorliegenden Arbeit war es daher im Rahmen einer Beobachtungsstudie die Prävalenz von SL-Begleitverletzungen an einem Patientenkollektiv mit distaler Radiusfraktur systematisch zu erfassen und den Spontanverlauf dieser Entitäten in einem 1-Jahres-Zeitraum zu beschreiben. Patienten mit Osteoporose und einem höheren Lebensalter sollten zur Minimierung des Einflusses degenerativ bedingter SL-Alterationen ausgeschlossen sein.

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Material und Methode

Es wurden insgesamt 51 Patienten (27 Frauen, 24 Männer, Alter (Median) 41 Jahre, Spannweite 20-59 Jahre) mit isolierter dislozierter distaler Radiusfraktur in die Studie einbezogen, wobei der Anteil intraartikulärer Frakturen mehr als 50 % betrug. Bilaterale Standardröngtenaufnahmen wurden präoperativ angefertigt. Alle Patienten wurden von einem einzigen Operateur nach einem standardisierten Protokoll arthroskopiert, der auch die definitive Frakturversorgung vornahm. Keine der arthroskopisch festgestellten karpalen Bandläsionen wurde - über die Frakturversorgung hinaus - behandelt.

Die postoperative Evaluation erfolgte anhand einer Patientenbefragung und -untersuchung mit Erfassung von Ruhe- und Belastungsschmerzen (VAS), der Bestimmung des aktiven Bewegungsausmaßes, der Greifkraft sowie der Bestimmung mehrerer Scores (Gartland-Werley und DASH) unter Hinzuziehung der Standardröntgen- und Stressaufnahmen in Ulnar- und Radialabduktion des Handgelenks nach Jahresfrist.

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Ergebnisse

10/51 Patienten zeigten eine skapholunäre Bandläsion Grad III, während sich bei den übrigen 41 Patienten sich keine SL-Läsion (n=7), eine SL-Bandläsion I (n=11) und eine SL-Bandruptur II (n=23) zeigte. War auf der Unfallröntgenaufnahme ein relativer Ulnarvorschub im Vergleich zur unverletzten Seite manifest, lag das relative Risiko eine gleichzeitige SL-Bandruptur III erlitten zu haben um das 3,9fache höher als bei Handgelenken ohne Ulnarvorschub; bei intraartikulären Frakturen lag das Risiko um das 2fache höher als bei extraartikulären Frakturen. Weitere karpale Bandverletzungen wie eine lunotriquetrale Bandläsion oder eine Verletzung des TFCC waren deutlich seltener als SL-Bandläsionen. Während keine funktionellen Unterschiede bei der 1-Jahreskontrolle der Patienten mit SL-Läsion III verglichen mit dem Rest der Patienten auffällig wurden, fanden sich subjektiv signifikant mehr Patienten mit Schmerzen und radiologischen Auffälligkeiten in der Gruppe mit SL-Bandruptur III (Zunahme der skapholunären Winkeldifferenz im Vergleich mit der gesunden Gegenseite, manifeste dynamische oder statische SL-Instabilität).

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Kommentar

Eine präoperative akribische Röntgenbildanalyse insbesondere im Vergleich mit der Aufnahme des unverletzten Handgelenks liefert hinsichtlich der Kenngröße des relativen Ulnarvorschubs wesentliche Hinweise auf das Vorliegen einer SL-Bandläsion III: eine Zunahme des relativen Ulnarvorschubs um 2 mm besitzt einen positiven prädiktiven Wert von 40 %, was nicht anderes bedeutet als dass 2/5 aller Patienten mit diesem Kriterium eine SL-Läsion III aufweisen. Die Funktion primär unbehandelter SL-Bandläsionen III ist nach einem Jahr nicht wesentlich schlechter als bei den übrigen Patienten, wenngleich röntgenmorphologische Zeichen der karpalen Instabilität bei der Mehrheit der Patienten nachweisbar sind. In Kenntnis weiterer Studien ist ein Follow-up von 1 Jahr sicherlich zu kurz, um bei zahlreichen Patienten mit kompletter SL-Bandruptur ein fortgeschrittenes Stadium der karpalen Instabilität oder gar ein SLAC wrist manifest werden zu lassen [1], [2]. Die Daten der Studie, dass mindergradige SL-Bandläsionen I und II offenbar nach einem Jahr relativ gut abschneiden, sollte uns weder veranlassen, nicht nach diesen Entitäten sorgfältig zu fahnden und gar auf den Einsatz der Arthroskopie zu verzichten, noch die Verletzung sich selbst zu überlassen. Denn gemeinsam mit den Autoren können wir spekulieren, dass gerade die minder instabilen SL-Bandläsionen früher, also zu Zeiten einer längerfristigen Gipsimmobilisation "automatisch" mitbehandelt wurden, unter konsequenter Anwendung moderner Osteosynthesetechniken (etwa dem Einsatz winkelstabiler Implantate) mit allenfalls kurzfristiger perioperativer Ruhigstellung jedoch nicht heilen und in eine klinisch relevante Problematik münden können. Dementsprechend sollten wir uns weiterhin an den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie orientieren [3].

Prof. Thomas Mittlmeier

Univ.-Prof. Dr.med. Thomas Mittlmeier

Geschäftsf. Klinikdirektor der Chirurgischen Klinik und Poliklinik der Universität Rostock und Leiter der Abt. für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie

Tel.: 03 81/494 60 51, Fax 03 81/494 60 52

eMail: thomas.mittlmeier@med.uni-rostock.de

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Literatur

  • 01 Schädel-Höpfner M . Böhringer G . Junge A . Celik I . Gotzen L . Arthroskopisch gesicherte Begleitverletzungen des skapholunären Bandapparates bei distalen Radiusfrakturen.  Handchir. Mikrochir. Plast. Chir. 33. 2001;  229 233-204
  • 02 Schneiders W . Amlang M . Rammelt S . Zwipp H . Häufigkeit der traumatischen und chronischen skapholunären Bandläsion bei distaler Radiusfraktur.  Unfallchirurg 108 . 2005;  715 720-204
  • 03 Skapholunäre Bandläsion. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie. Letzte Bearbeitung 06/2001. www.dg-h.de/LeitlinienScapho.aspx
  • 04 Wright T.W . DelCharco M . Wheeler D . Incidence of ligament lesions and associated degenerative changes in the elderly wrist.  J. Hand Surg [Am]. 1994;  19 313-318
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Literatur

  • 01 Schädel-Höpfner M . Böhringer G . Junge A . Celik I . Gotzen L . Arthroskopisch gesicherte Begleitverletzungen des skapholunären Bandapparates bei distalen Radiusfrakturen.  Handchir. Mikrochir. Plast. Chir. 33. 2001;  229 233-204
  • 02 Schneiders W . Amlang M . Rammelt S . Zwipp H . Häufigkeit der traumatischen und chronischen skapholunären Bandläsion bei distaler Radiusfraktur.  Unfallchirurg 108 . 2005;  715 720-204
  • 03 Skapholunäre Bandläsion. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie. Letzte Bearbeitung 06/2001. www.dg-h.de/LeitlinienScapho.aspx
  • 04 Wright T.W . DelCharco M . Wheeler D . Incidence of ligament lesions and associated degenerative changes in the elderly wrist.  J. Hand Surg [Am]. 1994;  19 313-318