Z Orthop Unfall 2008; 146(2): 166
DOI: 10.1055/s-2008-1076664
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erstluxation der Schulter - Ist die Notwendigeit einer operativen Therapie prognostizierbar?

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Korrespondierender Autor:

Dr. med. Mathias Wellmann

Orthopädische Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover

Anna-von-Borries-Str. 1-7

30625 Hannover

Email: mathias.wellmann@annastift.de

Publication History

Publication Date:
05 June 2008 (online)

 
Table of Contents

Die Beratung von Patienten nach einer traumatischen Erstluxation der Schulter basiert allgemein auf der Annahme des Chirurgen, das Reluxationsrisiko anhand geeigneter Faktoren abschätzen zu können. Diese Faktoren beinhalten insbesondere das Patientenalter und -geschlecht sowie die körperliche Aktivität des Patienten. Dieses "prognostische Konzept" wird von den Autoren der Studie hinterfragt. Die spezielle Fragestellung war, ob die Notwendigkeit einer zukünftigen chirurgischen Intervention zum Zeitpunkt der Erstluxation vorhersagbar ist. Can the need for future surgery for acute traumatic anterior shoulder dislocation be predicted? J Bone and Joint Surg Am. 2007 Aug; 89:1665-1674

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Studiendesign

131 Patienten mit traumatischer anteriorer Erstluxation wurden eingeschlossen und prospektiv untersucht (Evidenzlevel: I). Das Durchschnittsalter betrug 33 Jahre. Von der Studie ausgeschlossen wurden Patienten mit Luxationsfrakturen des Humeruskopfes und anterioren Luxationen auf dem Boden multidirektionaler Instabilitäten. Geringgradige knöcherne Bankartläsionen und Rotatorenmanschettenläsionen wurden ins Kollektiv eingeschlossen. Eine Nachbehandlung mit oder ohne Orthese wurde freigestellt. Die sportliche Aktivität wurde für 6 Wochen nach dem Unfall untersagt. Der Nachuntersuchungszeitraum betrug vier Jahre. Die standardisierte Nachuntersuchung umfasste: klinische Untersuchung (Schulter-Scores: Constant, WOSI, ASES) und Röntgen-Untersuchung. Zudem wurden Telefoninterviews in 6-Monats-Intervallen durchgeführt.

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Abb. 1 Luxationen am Schultergelenk treten besonders häufig auf. Etwa 45 % aller Luxationen entfallen auf das Schultergelenk, wobei der Humeruskopf am häufigsten nach vorne oder vorneunten luxiert, und zwar bei gewaltsamer Außenrotation des erhobenen Armes. Während für die erste Luxation in der Regel ein erhebliches Trauma notwendig ist, genügen später oft ausfahrende Bewegungen (z. B. Verdrehungen im Schlaf), um die Schulter wieder auszurenken (sog. Habituelle Schulterluxationen; Bild: Prometheus. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Grafik: M. Voll. Stuttgart: Thieme; 2004).

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Ergebnisse

Von insgesamt 131 Patienten wurden 29 (22 %) während des Nachuntersuchungszeitraums operativ versorgt (20 Bankart-Läsionen, 9 Rotatorenmanschettenrupturen). 43 Patienten (33 %) erlitten eine Rezidivluxation. Von den Patienten mit Rezidivluxationen partizipierten 37 (86 %) in Kontaktsportarten oder Überkopfarbeiten. 88 Patienten erlitten keine Reluxation. Deren klinische Ergebnisse waren äquivalent zu denen erfolgreich operierter Patienten (Bankart-Repair). Patienten, die sich trotz Reluxation gegen eine operative Stabilisierung entschieden, wiesen signifikant schlechtere klinische Ergebnisse auf.

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Kommentar

Junge Patienten, die Kontaktsportarten betreiben oder Überkopfarbeiten durchführen besitzen ein überdurchschnittlich hohes Reluxationsrisiko. Dieses Studienergebnis entspricht dem aktuellen wissenschaftlichen Konsens. Abweichend vom Konsens aber blieb selbst in dieser "Hochrisiko-Gruppe" etwa die Hälfte der Patienten ohne Operation. Auf der Basis dieser Ergebnisse kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die Indikation einer Operation nicht anhand des Reluxationsrisikos und des zu erwartenden Diskomforts gerechtfertigt werden kann. Dies gelte umso mehr, da die ohne Operation rezidivfreien Patienten ("coper") im Vergleich mit den erfolgreich operierten Patienten gleich gute Ergebnisse aufwiesen. Die Ursachen dieser Beobachtung (z. B. Dauer und Position der Immobilisation) werden von der Studie nicht thematisiert. Des Weiteren bleibt unklar, ob nicht eine freiwillige Veränderung der Lebensgewohnheiten (z. B. Sportkarenz) mit dem Ziel, eine Operation zu vermeiden, ein subjektiv gutes Ergebnis herbeiführen kann, ohne eine objektiv stabile Schulter zu beinhalten.

Dr. med. Mathias Wellmann

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Korrespondierender Autor:

Dr. med. Mathias Wellmann

Orthopädische Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover

Anna-von-Borries-Str. 1-7

30625 Hannover

Email: mathias.wellmann@annastift.de

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Korrespondierender Autor:

Dr. med. Mathias Wellmann

Orthopädische Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover

Anna-von-Borries-Str. 1-7

30625 Hannover

Email: mathias.wellmann@annastift.de

 
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Abb. 1 Luxationen am Schultergelenk treten besonders häufig auf. Etwa 45 % aller Luxationen entfallen auf das Schultergelenk, wobei der Humeruskopf am häufigsten nach vorne oder vorneunten luxiert, und zwar bei gewaltsamer Außenrotation des erhobenen Armes. Während für die erste Luxation in der Regel ein erhebliches Trauma notwendig ist, genügen später oft ausfahrende Bewegungen (z. B. Verdrehungen im Schlaf), um die Schulter wieder auszurenken (sog. Habituelle Schulterluxationen; Bild: Prometheus. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Grafik: M. Voll. Stuttgart: Thieme; 2004).