Das Feld der Bewegungstherapie steht im Wandel. Denn entgegen der lange geläufigen
Meinung, dass körperliche Aktivität eine nicht zu kontrollierende und damit negative
Wirkung auf den an Krebs erkrankten Organismus hat, fasst zurzeit die Bewegungstherapie
in der Onkologie mehr und mehr Fuß. Dies ist nicht zuletzt auf aufschlussreiche Studien
zurückzuführen, die in den vergangenen Jahren generiert wurden. Aber auch die Erfahrungen
im Umgang mit Tumorpatienten schenken den Therapeuten und verantwortlichen Ärzten
vermehrt Klarheit darüber, dass Bewegung unter Ausschluss der Kontraindikationen immer
möglich ist. Nur welche Art körperlicher Aktivitäten dies sein können, ist die notwendige
Frage, und da stehen wir noch am Anfang der Wissenschaft. Vermehrt wird auch deutlich,
dass nicht nur die Methode das entscheidende Kriterium ist, sondern v. a. die differenzierte
Betrachtung der charakteristischen Krebserkrankung vor dem Hintergrund von mehr als
200 verschiedenen malignen Tumoren. Denn diese Entitäten mit ihren spezifischen medizinischen
Therapien und Nebenwirkungen haben äußerst unterschiedliche Auswirkungen auf die Patienten.
Man spricht heute in der onkologischen Medizin von „Target Therapy”, wenn eine Therapie
den Tumor mit möglichst wenigen Nebenwirkungen zerstören soll. Für die Bewegungstherapie
benötigen wir eine ähnliche Maxime, indem mittels körperlicher Aktivität individuell
und zielgerichtet angesetzt werden muss, und zwar im bio-psycho-sozialen Kontext.
Wenn heute, nach nur zwei Jahren, bereits ein weiteres Schwerpunktheft der Bewegungstherapie
bei Krebs gewidmet ist, zeugt es von der Aktualität und dem Interesse, dass dieser
zweithäufigsten Todesursache gewidmet wird. Standen in der B & G-Ausgabe 5 / 2006
die Leukämie- und Lymphomerkrankungen bei Erwachsenen und Kindern im Vordergrund,
liegt mit diesem Heft der Schwerpunkt bei der häufigsten Todesursache der Frau (Mammakarzinom)
und dem Prostatakarzinom beim Mann. 28 % aller an bösartigen Neubildungen betroffenen
Frauen erkranken an Brustkrebs, das bedeutet, dass bei jeder neunten Frau in Deutschland
im Laufe ihres Lebens diese Tumorentität diagnostiziert wird. Ähnlich liegen die Verhältnisse
beim Mann, bei dem mit 25 % das Prostatakarzinom dominiert.
Mit den vorliegenden Beiträgen ist es uns gelungen, Autoren zu gewinnen, die sowohl
die engere Wissenschaft im Zeichen der Primär- und Tertiärprävention bei Brustkrebs
(Christine Graf) als auch die Praxisrelevanz und Wirksamkeit von gezieltem Beckenbodentraining
nach Prostatektomie (Birgit Schulte-Frei) berücksichtigen. Schließlich freuen wir
uns über einen Praxisartikel aus unserem Nachbarland Österreich, wo Ingeborg Bort-Martin
und Markus Martin bereits seit Jahren bewegungstherapeutische Erfahrungen mit inkontinenten
Menschen und damit auch Patienten nach Prostatakrebs sammeln konnten.
Wir hoffen, dass wir mit dieser Beitragsauswahl dem Ruf nach Aufklärung und Neuerung
aus dem Feld der onkologischen Bewegungstherapie gerecht werden, damit möglichst schnell
das „Heilmittel” Bewegung so effektiv und wirksam dort genutzt werden kann, wo es
notwendig ist: beim Patienten!
Ihr
Dr. Freerk Baumann