Händehygienemaßnahmen zählen zu den Kernprozeduren
im medizinischen Alltag. Ihre korrekte Durchführung ist essenziell
für die Vermeidung von nosokomialen Infektionen und die Verbreitung von
multiresistenten Erregern [1]. Leider bleiben die
notwendigen Hygienemaßnahmen zum Teil erheblich unter den notwendigen und
empfohlenen Maßnahmen [2], nicht zuletzt weil die
Hautverträglichkeit der Produkte von den Betroffenen als sehr
problematisch eingeschätzt wird.
Epidemiologische Daten
Epidemiologische Daten
Hautveränderungen an den Händen gehören für
viele Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes zum Alltag. Ausgetrocknete Hände
und eine raue schuppige Haut wird als „zum Beruf gehörend”
hingenommen und kaum hinterfragt. Bei Reihenuntersuchungen von medizinischem
Personal (insbesondere der Pflegeberufe) wurden Prävalenzwerte von
Kontaktdermatitiden der Hände von 20 bis 40 % gefunden
[3]
[4]
[5]
[6]. Irritative Veränderungen stehen dabei in der
Häufigkeit vor allergischen oder atopischen Manifestationen. Die
Krankenpflege und verwandte Gebiete zählten mit einem 6-fach erhöhten
Erkrankungsrisiko zu den Risikoberufen für den Erwerb von Berufsdermatosen
[5]
[7], die Berufsgruppe des
Pflegepersonals und der Arzthelferinnen steht in Deutschland auf Platz 5 einer
Hitliste für Berufsdermatosen, zumeist wegen irritativer Ekzemerkrankungen
[8]
[9]
[10].
Die vielfach leichten Veränderungen (trockene Haut der Hände sowie
interdigitale diskrete Ekzeme) werden häufig nicht ernst genommen. Ein
folgenschwerer Fehler, da gerade diese geringen Veränderungen ein Marker
für künftige schwere Handekzeme sein können [11].
Einschätzung der Pathogenese
Einschätzung der Pathogenese
Doch woran liegen diese Hautveränderungen? Die Mitarbeiter im
Gesundheitsdienst führen Handlungen durch, welche als Risikohandlungen
für Handekzeme angesehen werden können. Im Vordergrund steht hierbei
häufig die Händehygiene [8]. Seit den Zeiten
von Ignaz Semmelweis hat sich die Händehygiene als eine der Kernprozeduren
im Gesundheitsdienst durchgesetzt [12]. Leider sind
viele dieser Maßnahmen der Händehygiene mit der Gefahr von
Hautschäden verbunden, wobei die Einschätzung bezüglich der
Toxizität der einzelnen Maßnahmen sehr unterschiedlich ist
[13]
[14]
[15]. Um zu untersuchen wie die Pflegekräfte selbst die
verwendeten Prozeduren einschätzen, wurde durch die Deutsche
Kontaktallergiegruppe eine Fragebogenaktion an mehreren deutschen
Universitätskliniken initiiert [16]. Hier zeigte
sich eine unterschiedliche Verteilung der Häufigkeit von
Händehygienemaßnahmen, je nachdem wo die Pflegekraft eingesetzt
wurde. Am häufigsten wurden Hygieneprozeduren (wie die Desinfektion) auf
Intensivstationen und im OP durchgeführt, am seltensten in den Ambulanzen
([Abb. 1]). Es zeigte sich, dass über
70 % der Pflegekräfte über irritative
Hautveränderungen innerhalb des letzten Jahres berichteten. Das Auftreten
dieser Hautveränderungen war dabei im Ambulanzbereich am geringsten.
Besonders eindrücklich war das Ergebnis bezüglich der
Einschätzung der Toxizität. Hier glaubten fast 70 % der
Pflegekräfte dass die alkoholische Händedesinfektion für ihre
Hände schädlicher sei als das Waschen. Über 15 %
aller Pflegedienstmitarbeiter glaubten darüber hinaus, dass eine
allergische Reaktion gegen Alkohole bei ihnen vorläge. In der sich
anschließenden allergologischen Testung konnte jedoch bei keinem einzigen
der Getesteten eine Sensibilisierung gegenüber einem Alkohol festgestellt
werden. Bei zwei Testungen gab es positive Testergebnisse, die reinen Alkohole
waren dabei jedoch nie die Ursache (vielmehr andere Inhaltsstoffe wie
z. B. der Emulgator Cetearyl Octanoat). Vergleicht man diese
Untersuchungsergebnisse (und der fehlenden Beschreibung eines allergischen
Kontaktekzems bei einem Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes auf einen Alkohol
in der Literatur) mit der unglaublichen Menge von über 10 Tonnen
alkoholische Händedesinfektionsmittel, welche täglich allein in
Deutschland auf die Hände appliziert werden (ca. 7,1 Liter pro Bett und
Jahr) [17], so stellt sich die Frage, ob es
überhaupt Allergien gegen die in der Händehygiene verwendeten
Alkohole gibt. Am ehesten dürften die wenigen kutanen Allergien auf
Alkohole wie Ethanol auf die Akkumulation von Acetaldehyd
zurückzuführen sein, welche bei einer Defizienz der Aldehydreduktase
auftreten kann [18]
[19].
Abb. 1 Häufigkeit der
Händedesinfektion pro Schicht.
Schädigung durch alkohol-basierte
Händedesinfektionsmittel und durch Waschung
Schädigung durch alkohol-basierte
Händedesinfektionsmittel und durch Waschung
Trotz der fehlenden Sensibilisierungen berichten viele
Pflegekräfte über Probleme durch die alkoholischen
Händedesinfektionsmittel, welche zu deren verminderten Einsatz
führen. Sind die alkoholischen Händedesinfektionsmittel
tatsächlich schädlich für die Haut, wie dieses von den
Pflegedienstmitarbeitern angenommen wird? Diesbezüglich führten wir
eine repetitive Irritationstestung mit Ethanol, Propanol und Isopropanol in den
unterschiedlichsten Konzentrationen durch [20]. Es fand
sich nach 48-stündiger Applikation keine allergische Reaktion und nur eine
geringe Erhöhung des transepidermalen Wasserverlustes (als Marker der
epidermalen Barriere) in gleicher Höhe wie nach Applikation von Wasser
oder einer Leerkammer. Bei der ebenfalls durchgeführten Messung der
kutanen Hydratation konnte eine leichte Verminderung der Hautfeuchte durch die
Alkohole festgestellt werden [20].
Von größerer Relevanz dürfte jedoch die
standardisierte Irritations-Testung in Form eines repetitiven Applikationstests
sein. Hierbei wurde über 1 Woche mit einem Schaumstoffroller mehrfach
täglich sowohl die alkoholische Händedesinfektion
(80 %ig Ethanol) als auch eine Händewaschung mit dem
anionischen Detergens (Natriumlaurylsulfat 0,5 %) simuliert
[20]. Das Ergebnis zeigte hierbei, dass die
standardisierte Händewaschung eine sehr viel stärkere Schädigung
der epidermalen Barriere (gemessen als Anstieg des transepidermalen
Wasserverlustes), aber auch eine deutlich stärkere Austrocknung der Haut,
als die 80 %ige Ethanollösung hervorrief. Häufig wird
jedoch gerade im OP die Kombination aus Waschung und Desinfektion
durchgeführt. Im Folgenden untersuchten wir daher die
Kombinationsanwendung des Händewaschens mit der alkoholischen
Händedesinfektion. Erstaunlicherweise konnten wir feststellen, dass die
Kombination aus Händewaschung und Desinfektion zu einer geringeren
irritativen Schädigung (gemessen an der Barriereveränderung sowie an
der Veränderung an der kutanen Hydratation) geführt hat als die
alleinige Waschung ([Abb. 2]). Dieses könnte
zum einen ein distinkter Effekt des Ethanols sein, es könnte sich jedoch
ebenfalls um einen unspezifischen Auswascheffekt von Detergentienmonomeren
durch das Ethanol handeln. Daher führten wir eine Anschlusstestung mit der
Kombination aus Händewaschung und alkoholischer Händedesinfektion
sowie Händewaschung und anschließender Spülung mit Wasser
durch. Die Irritation hier zeigte sich nun identisch, sodass der beobachtete
Effekt am ehesten ein unspezifischer Auswascheffekt von Detergentienmonomeren
durch das Ethanol darstellt [20]. Diese Studie
untermauert jene Arbeiten, welche ebenfalls der alkoholischen
Händedesinfektion eine deutlich bessere Hautverträglichkeit
attestieren als der hygienischen Händewaschung [21]
[22]. In weiteren Untersuchungen
konnte belegt werden, dass mit der Zugabe von hautpflegenden Inhaltsstoffen
(wie z. B. Glycerin) die Verträglichkeit noch einmal deutlich
gesteigert werden kann [23]
[24].
Die Studien belegen eindrücklich, dass durch die alkoholische
Händedesinfektion es nur zu einer geringgradigen Veränderung der
epidermalen Barriere kommt, hingegen durch eine Händewaschung mit
Detergentien die Barriere deutlich stärker geschädigt wird. Auch der
austrocknende Effekt der Detergentienwaschung ist eher stärker als der der
alkoholischen Händedesinfektion.
Abb. 2 Reduzierte Irritation
gemessen am transepidermalen Wasserverlust durch die Kombination von Waschung
und Desinfektion im Vergleich zur alleinigen Waschung (nach [20]).
Das Compliance-Problem
Das Compliance-Problem
Jede Händehygiene-Maßnahme kann nur effektiv sein, wenn
sie im Alltag auch korrekt angewendet wird. Auffallend ist, dass die Compliance
Rate der korrekten Händedesinfektion mit < 50 %
sehr gering ist [2]. Diese niedrige Compliance-Raten
haben natürlich vielfältige Ursachen, wie z. B. die Anzahl der
zur Verfügung stehenden Spender [25], die Zeitdauer
der Anwendung [1], Arbeitsbelastung und Personalmangel
[26]
[27] aber eben auch die
Hautverträglichkeit der Anwendung [1]
[20]. Der guten Studienlage bezüglich der
Hautverträglichkeit von alkoholischen Händedesinfektionsmitteln steht
aber die skeptische Einschätzung des Pflegepersonals entgegen
[16], was zu der insgesamt geringen Compliance-Rate
beitragen dürfte. Ein Grund dafür liegt sicherlich darin, dass
alkoholische Händedesinfektionsmittel brennende Sensationen hervorrufen
können [28]. Dieses Brennen tritt insbesondere auf
klinisch wie subklinisch bereits veränderter Haut auf, insbesondere bei
geschädigter Barriere. Der Alkohol kann hier an die sensiblen
Nervenendigungen der Haut vordringen und diese reizen, welches der Anwender
dann als Brennen verspürt. Reflexartig wird er die alkoholische
Händedesinfektion nun für diese brennende Sensation verantwortlich
machen, und das Händedesinfektionsmittel als „scharfes
Präparat” verurteilen. Da er nunmehr der Meinung ist, die
alkoholische Händedesinfektion würde seiner Haut schaden, wird er
diese zunehmend meiden und die Hände mehr waschen denn sie zu
desinfizieren. Dieses führt jedoch kontinuierlich zu einer weiteren
Verschlechterung seines Hautzustandes, sodass es von der ursprünglichen
leichten Irritation eher zu einem stärkeren Handekzem fortschreiten kann
([Abb. 3]) [28].
Abb. 3 Der circulus vitiosus:
Aufgrund einer Barriereschädigung brennt die alkoholische
Händedesinfektion (ohne jedoch die Haut weiter zu schädigen), der
Anwender reduziert jedoch deswegen die Desinfektion und wäscht die
Hände lieber (was auch nicht brennt). Dadurch verschlimmert sich jedoch
die Irritation weiter.
Diesem circulus vitiosus gilt es vorzubeugen. Sollte ein Mitarbeiter
eine brennende Sensation nach der Anwendung von alkoholischen
Händedesinfektionsmitteln verspüren, so muss ihm klar gemacht werden,
dass diese Sensation ein Zeichen dafür ist, dass seine Haut bereits
geschädigt ist. Die alkoholische Händedesinfektion wird nun diese
Schädigung kaum verstärken, dient aber als Indikator der Intaktheit
der Haut. Der Anwender sollte nunmehr eher die Händewaschung reduzieren,
okklusive Tätigkeiten weitestgehend vermeiden und eine gute Behandlung der
Haut mit Hautschutz- und Hautpflegecremes durchführen. Eine
diesbezügliche Aufklärung, insbesondere bei Einführung von
alkoholischen Händedesinfektionsmitteln ist essenziell für den Erfolg
[25]
[29]
[30].
Leider ist uns von klein auf der Gebrauch von Wasser und Seife viel
eher in die Wiege gelegt worden als der von alkoholischen
Händedesinfektionsmitteln. Haben wir das Gefühl, die Hände sind
dreckig, so wird eher eine Händewaschung vorgenommen denn eine
Händedesinfektion. Aus hygienischer Sicht ist zur Keimreduktion jedoch die
alkoholische Händedesinfektion wesentlich effektiver denn das
Händewaschen. Der Unterschied beträgt abhängig vom Alkohol (und
je nachdem, ob man die transiente oder residente Flora betrachtet) zwischen 2
und 6 log-Stufen [31]
[32]
[33]. Es ist sogar so, dass durch die Händewaschung
mindestens über 10 Minuten eine verstärkte Hydratation der obersten
Hornschichten zustande kommt [34]. Mikroorganismen
können sich in diesem „Hydratationsmantel” eher verstecken
und die alkoholische Händedesinfektion überleben. Bei einer
anschließenden Händedesinfektion wird diese daher tendenziell
weniger wirksam sein als auf einer nicht vorher gewaschenen Haut. Dieses
führt zu recht einfachen Empfehlungen: vor der alkoholischen
Händedesinfektion sollten die Hände routinemäßig nur dann
gewaschen werden, wenn sie eine sichtbare Verschmutzung aufweisen
[35]
[36].
Neben der verständlichen Sorge um eine gesunde Haut des
Pflegepersonals, ist die Qualität der Haut auch in Bezug auf nosokomiale
Infektionen von essenzieller Bedeutung. Es ist mittlerweile unumstritten, dass
die Keimbesiedlung der Haut bei Schädigung der Hautbarriere ansteigt. Die
Bakteriendichte ist auf Handekzemen deutlich höher als auf intakter Haut,
was zu einem eigenen Risikofaktor für nosokomiale Infektionen und der
Verbreitung von multiresistenten Keimen führt [30]
[37]
[38].
Primäre Prävention
Primäre Prävention
Da vielfach die Angewohnheiten während des Jahre und Jahrzehnte
dauernden Berufsalltages antrainiert und internalisiert sind, ist eine
Änderung dieses Verhaltens sehr schwer. Das Verhalten kann in aller Regel
nur dann effektiv verändert werden, wenn durch frühzeitige Schulungen
das richtige Wissen zu einem richtigen Verhalten führt [7]
[39]
[40]
[41]. Hier sind Mechanismen der primären
Prävention bereits während der Berufsausbildung angesagt. Dass diese
primäre Prävention auch im Gesundheitsdienst greift, konnten wir in
unserer Studie „Primary prevention in health care employee –
Price” deutlich zeigen [42]. Wir untersuchten in
dieser prospektiven randomisierten Interventionsstudie 521 Pflegeschüler
aus 14 Pflegeschulen (Krankenpflege, Altenpflege, Kinderkrankenpflege sowie
Hebammen). Die Schüler wurden zur Hälfte einer
regelmäßigen Schulung (2- bis 3-mal pro Jahr) unterzogen, in denen
ihnen Wissen über die Struktur und Funktion der Haut vermittelt wurde, die
Mechanismen der Irritation erklärt wurden sowie Gegenmaßnahmen wie
Hautschutz und Hautpflege erläutert wurden. Dieses geschah sowohl als
Vortrag als auch in Form von Rollenspielen und praktischen Übungen.
Aufgrund dieser intensiven Intervention bereits während der Ausbildung
konnte nach den 3 Jahren Ausbildung bereits eine Halbierung der irritativen
Hautveränderungen im Vergleich zur nicht geschulten Kontrollgruppe
beobachtet werden ([Abb. 4]). Das Risiko,
irritative Hautveränderungen zu entwickeln, war in der Kontrollgruppe um
das 4,7-Fache erhöht im Vergleich zur Schulungsgruppe. Der Erfolg konnte
daran gemessen werden, dass in der geschulten Gruppe deutlich weniger die
Hände gewaschen wurden und deutlich mehr alkoholische
Händedesinfektionmittel verwandt wurden, die Hautpflege wurde intensiver
durchgeführt, während Flächendesinfektion wurden mehr Handschuhe
benutzt und auch während der arbeitsfreien Zeit wurde mehr Hautpflege und
Hautschutz angewandt [42].
In der Konsequenz heißt dieses, dass der richtige Umgang mit
Händehygiene (Händewaschen, alkoholische Händedesinfektion,
Hautschutz und Hautpflege) bereits früh erlernt werden muss, um die
Wahrscheinlichkeit der Entwicklung irritativer Hautveränderungen im
Berufsleben möglichst gering zu halten.
Abb. 4 Anteil der irritativen
Hautveränderung (in % aller Untersuchten) in der geschulten Kohorte
(Intervention) und der Kontrollkohorte (nach [42]).