Das atopische Ekzem, eine der häufigsten Hauterkrankungen
überhaupt, stellt dem behandelnden Dermatologen immer wieder neue
Herausforderungen. Klinische Sonderformen, seltene, aber therapeutisch
wesentliche Differenzialdiagnosen, besorgte Eltern, aber vor allem bakterielle
und virale Komplikationen verlangen in vielen Situationen ein Abweichen von der
Regelbehandlung. Virale Infektionen des atopischen Ekzems werden je nach
Erreger als Eczema molluscatum, Eczema herpeticatum oder Eczema vaccinatum
bezeichnet. Das Eczema herpeticatum ist dabei definiert als die disseminierte
virale Infektion einer vorbestehenden ekzematoiden Hauterkrankung mit dem
Herpes simplex Virus (HSV) [1]. Der Begriff
„Kaposi's varizelliforme Eruption” ist weiter gefasst und
bezeichnet jede disseminierte vesikulöse virale Infektion einer
vorbestehenden Dermatose.
Das Eczema herpeticatum ist auch heute noch eine der wenigen
für die Praxis relevanten dermatologischen Notfälle, da es doch nicht
so selten ist und unbehandelte Komplikationen wie HSV-Enzephalitis oder
HSV-Pneumonie zum Tode führen können. Hat diese Erkrankung seit
Einführung der antiviralen Chemotherapie auch viel von ihrem Schrecken
verloren, so kommt der zeitnahen Diagnosestellung durch den Dermatologen eine
besondere Bedeutung zu. Dieser Artikel erläutert kurz die Pathogenese und
fasst den aktuellen Stand von Klinik und Therapie des Eczema herpeticatum
zusammen.
Epidemiologie
Epidemiologie
Das Eczema herpeticatum ist eine seltene Erkrankung,
epidemiologische Daten sind kaum vorhanden. Zwei publizierte Studien haben eine
größere Patientenzahl untersucht [2]
[3], Ergebnisse einer europaweit durchgeführten Studie
mit über 200 Patienten wurden kürzlich vorgestellt [4]. Wurde Ende der 80er-Jahre noch von einem Anstieg der
Erkrankungsfälle ausgegangen [2], konnte dieser
Trend akuell nicht bestätigt werden [3]. Hingegen
ist der Anteil des Eczema herpeticatum recidivans von
13 % – 16 % aller
Erkrankungsfälle in den vergangenen Jahren auf 26 %
angestiegen [2]
[3].
Pathogenese
Pathogenese
Das Eczema herpeticatum wird ganz überwiegend durch HSV-Typ 1
verursacht, was die hohe Durchseuchungsrate der Bevölkerung mit HSV-Typ 1
schon im frühen Lebensalter widerspiegelt, die insgesamt wesentlich
höher ist als die Durchseuchungsrate mit dem genitalen HSV-Typ 2
[5]. Die Genotypen F35 und F1 sind nach einer japanischen
Arbeit überproportional häufig mit dem Eczema herpeticatum assoziiert
[6]. Das Eczema herpeticatum kann sowohl eine
Primär- als auch eine Sekundärinfektion mit HSV darstellen
[3]. Nach Demaskierung des HSV-bindenden Proteins
Nectin-1 durch die ekzembedingte Spongiose kann HSV in Keratinozyten eindringen
und sich dort zunächst relativ ungestört vermehren, da in den
Ekzemherden weniger plasmazytoide dendritische Zellen vorhanden sind und
darüber hinaus ein Mangel des antiviral wirksamen Cathelicidins LL-37
herrscht [7]
[8]
[9]. Eine geringere Expression der Chemokin-Rezeptoren CCR7
und CXCR4 auf reifen myeloiden dendritischen Zellen im Rahmen einer
HSV-Infektion verringert die Migrationsfähigkeit auf Chemokine und kann so
die Auswanderung dieser Zellen zu den peripheren Lymphknoten verzögern
[10].
Prädisponierende Faktoren
Prädisponierende Faktoren
Wesentliche Risikofaktoren für das Entstehen eines Eczema
herpeticatum sind ein früher Beginn des zugrunde liegenden atopischen
Ekzems und hohe Serum-IgE Spiegel, die beide mit einem hohen klinischen
Schweregrad assoziiert sind [2]
[3]
[4]. Eine topische
Steroidvorbehandlung stellt keinen Risikofaktor dar, vielmehr entwickelt sich
das Eczema herpeticatum bevorzugt auf schwer verlaufenden, unbehandelten
Ekzemherden [3]. Ein Eczema herpeticatum entwickelt sich
fast ausschließlich auf extrinsischem atopischem Ekzem, rezidivierende
Verläufe sind bei schwerer atopischer Diathese häufiger.
Klinik
Klinik
Der klinisch charakteristische Befund monomorpher, wenig juckender,
eigentümlich fester, disseminiert stehender, zunächst seröser
Bläschen auf erythematösem Grund ([Abb. 1]), die im Verlauf zu Pusteln eintrüben,
bedingt den Anfangsverdacht [11].
Abb. 1 Eczema herpeticatum. Das
Eczema herpeticatum mit seinen eigentümlich festen, disseminiert
stehenden, monomorphen, zunächst serösen Bläschen auf
erythematösem Grund ist einer der wenigen Notfälle im
dermatologischen Fachgebiet.
Die Herpesbläschen entstehen dabei ausschließlich auf
ekzematisierter Haut, wohingegen nicht jedes ekzematisierte Körperareal
eines Patienten auch Virusbläschen entwickelt. Im Krankheitsverlauf
trüben diese Bläschen oft zu Pusteln ein. Nach Abtrocknung resultiert
ein klinisches Bild monomorpher Krusten, die halbkugelförmige
Substanzdefekte der oberen Epidermislagen ausfüllen. Häufig treten
starkes Krankheitsgefühl, Fieber und Lymphknotenschwellung auf
[12]. Mit zunehmendem Schweregrad können sich
ausgeprägte Entzündungszeichen und Allgemeinbeschwerden bis hin zum
Meningismus entwickeln.
Diagnosestellung
Diagnosestellung
Ein Eczema herpeticatum kann der erfahrene Dermatologe im Regelfall
bereits klinisch diagnostizieren. Eine Diagnosesicherung sollte jedoch stets
erfolgen und kann je nach klinischem Befund und Praxisgegebenheiten mittels
Immunfluoreszenz, Viruskultur, Tzanck-Test, PCR oder Elektronenmikroskopie
gelingen. Die Therapie sollte dadurch aber nicht verzögert werden. Die
Vor- und Nachteile der einzelnen Methoden sind von Rerinck et al.
ausführlich diskutiert worden [11].
Differenzialdiagnose
Differenzialdiagnose
Klinisch relevante Differenzialdiagnosen des Eczema herpeticatum
sind vor allem andere disseminierte Virusinfektionen. Bei der akuten
Varizelleninfektion des Neurodermitikers entwickeln sich die Bläschen in
Schüben und erzeugen das polymorphe Bild der „Heubner'schen
Sternenkarte”. Die Bläschen eines Zoster generalisatus beim
immunsupprimierten Patienten sind im Regelfall etwas größer,
rundlich-ovaler und können mittels PCR-Nachweis abgegrenzt werden.
Hochseltene disseminierte virale Hautinfektionen wie ein Eczema vaccinatum oder
eine Infektion mit Katzen- oder Kuhpocken sind am einfachsten
elektronenmikroskopisch abzugrenzen [13]
[14]. In seltenen Fällen soll das Eczema herpeticatum
auch mit einer ausgedehnten Impetigo verwechselt worden sein – hier
finden sich Blasen und honiggelbe Krusten auf ekzematöser Haut.
Komplikationen
Komplikationen
Bakterielle Superinfektionen des Eczema herpeticatum sind gerade bei
Kindern häufig. Diese werden von uns auch ohne Keimnachweis
unverzüglich kalkuliert systemisch antibiotisch mit penicillinasefesten
Penicillinen oder Cephalosporinen mitbehandelt.
Das Eczema herpeticatum selbst kann Ausgangspunkt von Virämien
mit multiplen Organbeteiligungen sein [12]
[15]. Eine echte HSV-Enzephalitis führt unbehandelt in
bis zu 70 % aller Fälle zum Tode [16]. Bei der körperlichen Untersuchung ist daher
unbedingt auf Meningismuszeichen zu achten [3]. Die
Mortalitätsrate des Eczema herpeticatum lag vor der Einführung des
Wirkstoffs Aciclovir im Jahre 1977 bei bis zu 75 %
[12]
[15] und ist heute sehr
gering. Damalige Todesursachen waren das multiple Organversagen bei
Virämie [12] oder eine fulminante Disseminierte
Intravasale Gerinnung [15]
[17].
In der Schwangerschaft kann eine disseminierte HSV-Infektion in bis
zu 50 % der Fälle zur intrauterinen Infektion führen
und geht insbesondere in der ersten Schwangerschaftshälfte mit einer
erhöhten Anzahl von Spontanaborten und Missbildungen einher
[18].
Therapie
Therapie
Die Behandlung erfolgt grundsätzlich stationär
intravenös mit Aciclovir (Zovirax®) bis zur klinischen Abheilung. Die
Dosierung für Kinder über 12 Jahre und Jugendliche entspricht der
Erwachsenendosierung von 3-mal täglich
5 – 10 mg/kgKG. Für Kinder unter 12 Jahren
empfiehlt sich eine intravenöse Dosierung von 750 mg/m2
Körperoberfläche dreimal täglich. Bei eingeschränkter
Nierenfunktion (Kreatinin-Clearence < 25 ml/min;
Serumkreatinin-Wert größer 3,17 mg/dl [♀] bzw.
4,18 mg/dl [♂]) ist eine Dosisanpassung erforderlich.
Die orale Behandlung mit Aciclovir
5 × 400 mg täglich oder mit Valaciclovir
(Valtrex®) 3 × 500 mg täglich halten wir
nur bei leichten Fällen für gerechtfertigt. Eine topische Anwendung
antiviraler Chemotherapeutika beim Eczema herpeticatum bei gleichzeitiger
intravenöser oder oraler Therapie ist nicht üblich, da kein
zusätzlicher Nutzen erkennbar ist. Eine topisch desinfizierende Behandlung
ist unterstützend hilfreich. Eine Keratitis herpetica wird zusätzlich
zur intravenösen Therapie mehrmals täglich mit Trifluridin
(Triflumann®) Augentropfen oder Aciclovir (Zovirax®) Augensalbe unter
Hinzuziehung eines Augenarztes behandelt. Eine orale Aciclovir-Prophylaxe
z. B. mit 200 mg 2 – 4-mal täglich
über mehrere Monate kann eine therapeutische Option für Patienten mit
häufig rekurrierendem Eczema herpeticatum darstellen [1].
Fazit
Fazit
Der Dermatologe ist aufgrund seiner klinischen Ausbildung erster
Ansprechpartner des Pädiaters, um die Diagnose eines Eczema herpeticatum
bereits auf Basis der typischen Morphologie klinisch zu stellen. Nach Auswahl
der im Einzelfall besten Technik zur Diagnosesicherung sollte umgehend eine
systemische antivirale Chemotherapie begonnen werden.