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DOI: 10.1055/s-2008-1081435
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Ausbildung - Wege zum Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in der Schweiz
Publication History
Publication Date:
03 July 2008 (online)
- Der Klinikalltag im Kantonsspital
- Ausbildungsprogramm
- FMH oder Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie?
- Das Kantonspital St. Gallen
- Wie kommt man an einen der begehrten Ausbildungsplätze?
- Nach der Facharztausbildung?


Das Kantonspital St. Gallen (Foto: R. Engelhardt)
Immer mehr junge Kollegen und Kolleginnen aus Deutschland zieht es ins Ausland. Die Ausbildungsplätze sind rar und begehrt. Eine Möglichkeit, den Schweizer Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie zu erwerben, besteht im St. Galler Kantonsspital. Der Chefarzt, Prof. Dr. Markus Kuster, pflegt einen regen, wissenschaftlichen internationalen Austausch.
Die Idee kam beim Skifahren: Frau Dr. Nadine von der Heide war mit Freunden zum Winterurlaub in Saas Fee. Ein Kollege der Gruppe zog sich eine Unterschenkelfraktur zu und wurde im dortigen Spital bestens versorgt. Angetan von den guten Erfahrungen entstand bei der damaligen Studentin der Medizinischen Hochschule Hannover der Wunsch, eine fachärztliche Ausbildung in der Schweiz anzustreben. Warum gerade Orthopädische Chirurgie? Bereits das Wahlfach im PJ hatte Frau von der Heide in der Orthopädie bei Prof. Dr. Wirth im Annastift absolviert; dort hat sich ihr Interesse an dem Fach weiter bekräftigt.
Inzwischen ist die 28jährige im dritten Assistentenjahr in der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Kantonsspitals St. Gallen. "Das Arbeitsklima ist geprägt von Höflichkeit und Wertschätzung", lobt sie. "Es gibt ein intensives Fortbildungskonzept und die Dienstzeiten sind mit maximal 50 Wochenstunden gut geregelt."
#Der Klinikalltag im Kantonsspital
Im ersten Jahr am Kantonspital St. Gallen (KSSG) war Frau von der Heide quartalsweise in zwei Fachteams sowie in der Zentralen Notfallaufnahme (ZNA) eingesetzt. In der ZNA arbeitet man jeweils eine Woche in der 12stündigen Tag- oder Nachtschicht; danach ist eine Woche frei. "Bestens zu nutzen zum Skifahren oder zum Wandern", sagt sie begeistert. Nach dem ersten Jahr entscheidet sich in einem so genannten Evaluationsgespräch, ob man einen der begehrten Ausbildungsverträge zum Abschluss der Facharztausbildung ergattert. Für den FMH (Foederatio Medicorum Helveticorum), die Schweizer Facharztqualifikation, sind nach zwei Jahren Chirurgie weitere vier Jahre Tätigkeit in der Orthopädischen Chirurgie erforderlich. Wenn alles gut geht, wird Frau von der Heide in vier Jahren ihre FMH - Prüfung ablegen.


Prof. Dr. Markus Kuster (Foto: R. Engelhardt)
Bis dahin wird sie in den verschiedenen Abteilungen der Klinik, die in Teams organisiert sind, eingesetzt. Vom Endoprothetik-Team wird sie demnächst ins Schulter/Knie-Team wechseln.
#Ausbildungsprogramm
Die Ausbildung ist klar geregelt. Vor allem in den Nachtdiensten erhalten die Assistenten genügend Gelegenheit, unter Assistenz ihrem Ausbildungsstand entsprechend Operationen durchzuführen.
Besonders die Operationskurse in der Anatomie sind sehr lehrreich, betont Frau von der Heide. Einmal monatlich reisen die Assistenten in das anatomische Institut der Universität Zürich und lernen unter Anleitung beispielsweise Zugangswege an Leichenpräparaten. Der Leitende Arzt Dr. Karl Grob, der diese Kurse ins Leben gerufen hat, leitet die jungen Chirurgen an.


Dr. Nadine von der Heide – klares Ausbildungsprogramm (Foto: R. Engelhardt)
Im klinikinternen Fortbildungsprogramm finden wöchentlich zwei bis drei Vorträge statt, die von den AssistentInnen bestritten werden. Dazu kann man sich entweder im Intranet selbst eintragen oder man bekommt vom zuständigen Oberarzt ein Thema zugewiesen. Des Weiteren nehmen die Ärzte ein- bis zweimal im Monat an einer interdisziplinären Fortbildung mit den Kollegen der anderen Klinken des KSSG teil. Daran beteiligen sie sich gelegentlich mit einem eigenen Beitrag. Und schließlich noch der Journal-Club: jedes Team bereitet im Turnus ein Thema zur Präsentation vor. Anschließend wird gemeinsam zu Abend gegessen. Frau von der Heide schätzt die Aktivitäten. "Es besteht eine intensive Arbeitsatmosphäre, wobei das Zwischenmenschliche nicht zu kurz kommt", lobt sie das gesamte Ausbildungskonzept.
#FMH oder Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie?
Zur Erlangung des Schweizer Facharztes für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparats werden fundierte Kenntnisse über Erkrankungen und das Trauma des Bewegungsapparats und deren Folgen erwartet. Des Weiteren ist als Ziel der Weiterbildung die Befähigung genannt, aufgrund dieser Kenntnisse und der ständigen Fortbildung die Erkrankungen und Verletzungen des Bewegungsapparats in eigener Kompetenz, insbesondere auch unter Miteinbezug des sozio-ökonomischen Umfeldes, operativ sowie konservativ zu behandeln.
Die geforderte Weiterbildung dauert sechs Jahre; davon 1 bis 2 Jahre Basisweiterbildung in Chirurgie und chirurgischen Spezialdisziplinen; 4 bis 5 Jahre Orthopädische Chirurgie inkl. Traumatologie des Bewegungsapparats. Davon müssen mindestens 3 Jahre an einer anerkannten Weiterbildungsstätte für Orthopädische Chirurgie und mindestens 1 Jahr in Kategorie A absolviert werden. Aus den weiteren Bestimmungen sind ein umfangreicher Operationskatalog, Kenntnisse in technischer Orthopädie, Gutachtertätigkeit, der Besuch von Fortbildungsveranstaltungen und der Erwerb der Sachkunde nach der Strahlenschutzverordnung zu nennen. Die Weiterbildung wird mit einer Prüfung (bestehend aus zwei theoretisch-schriftlichen und einem praktisch-mündlichen Teil) abgeschlossen.
Die Weiterbildungsstätten für Orthopädische Chirurgie der Schweiz werden in 3 Kategorien (A, B und C) eingeteilt: Beispielsweise erfolgen in einer Klinik der Kategorie A mit Weiterbildungsbefugnis von drei Jahren mindestens 1 200 operative Eintritte jährlich (aus dem Weiterbildungsprogramm der Foederatio Medicorum Helveticorum, FMH).
#Das Kantonspital St. Gallen
Das Kantonspital St. Gallen übernimmt als sechstgrößtes Spital der Schweiz neben Aufgaben der Grundversorgung für die Bevölkerung der Stadt St. Gallen eine Zentrumsfunktion für die EinwohnerInnen des ganzen Kantons St. Gallen und der angrenzenden Regionen. Seit 2003 sind die Spitäler in Rorschach und Flawil im "Unternehmen Kantonsspital St. Gallen" integriert.
Das Unternehmen verfügt über 859 Betten, 2 773 Personaleinheiten (davon 491 Ärzte und Akademiker in med. Fachbereichen); die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Patienten wird mit 8,4 Tagen angegeben (Jahresbericht 2006).
Der erste Chefarzt an der Orthopädischen Klinik des Kantonsspitals St. Gallen war Prof. Dr. Maurice Edmond Müller; 1960 wurden die ersten von ihm mitentwickelten Hüftendoprothesen dort eingesetzt. Der Nachfolger Prof. Dr. Bernhard Weber wurde durch die biologischen Osteosyntheseverfahren (u. a. Sprunggelenk) international bekannt. Einen großen Ruf erlangte die Klinik durch den Wirbelsäulenspezialisten und Chefarzt Prof. Dr. Fritz Magerl.
Professor Dr. Markus Kuster leitet die Klinik seit 2005; sein Spezialgebiet ist die Endoprothetik. 350 Hüftendoprothesen werden jährlich in der Abteilung implantiert; zusätzlich 70 Hüft-TEP -Wechsel. (180 Knie-TEP-Implantationen; 30 Wechseloperationen). Etwa 70 Polytraumen und mehr als 1 000 Patienten mit Frakturen werden jährlich interdisziplinär im Kantonsspital versorgt. Die Klinik für Orthopädische Chirurgie verfügt über die Abteilungen Wirbelsäulenchirurgie (Leitung Dr. Thomas Forster), Kinderorthopädie, Fuß- Kinder- Tumorchirurgie (Leitung Dr. Christoph Lampert), Knie- Schulterchirurgie (Leitung Dr. Gordian Stutz) und Endoprothetik und Team Bodensee (Leitung Dr. Karl Grob). Hier arbeiten über 9 Oberärzte, 2 Oberassistenten, 19 Assistenzärzte. 7 Assistentenstellen sind zurzeit mit Frauen besetzt.
Bevor M. Kuster als Chefarzt an seine alte Ausbildungsstätte nach St. Gallen zurückkehrte, war er Ordinarius an der Universität Perth/Australien. Der Rheintaler schätzt die internationalen Kontakte. Mit seiner Abteilung besteht ein reger Austausch mit Krankenhäusern in den Niederlanden im Rahmen eines fellowship und mit deutschen Kliniken. "Die deutschen KollegInnen haben den nötigen drive und sind engagiert", so M. Kuster. Wenn auch auf der Ebene der Oberärzte ein gewisser Flaschenhals hinsichtlich einer weiteren Perspektive vorhanden ist, so dient das Kantonsspital St. Gallen vielen als Sprungbrett für die weitere berufliche Karriere.
Wie kommt man an einen der begehrten Ausbildungsplätze?
Frau von der Heide hatte sich vor dem Examen im Jahre 2005 auch an deutschen Kliniken beworben. Da in der Schweiz häufig die Assistentenstellen zwei bis drei Jahre im Voraus geplant werden, erwartete sie keine kurzfristige Zusage einer Schweizer Klinik. Aber sie hatte Glück und erhielt bald eine Assistentenstelle im Spital Rorschach, welches mit dem Kantonsspital St. Gallen (KSSG) einen Klinikverbund bildet. Nach einem Jahr in der Rorschacher Orthopädie und Traumatologie mit interdisziplinären Diensten (Chirurgie und Innere Medizin) konnte sie im Rahmen eines Rotationsverfahrens ab Oktober 2006 in die Klinik für Orthopädische Chirurgie des KSSG wechseln.
"Für Anfänger ist unsere Klinik zunächst nicht die richtige", betont Prof. Dr. Markus Kuster, Chefarzt der Klinik für Orthopädische Chirurgie des KSSG. Am liebsten sind ihm KollegInnen, die von einem der Chefärzte eines anderen Spitals der Schweiz empfohlen werden. M. Kuster rät daher, zunächst eine Stelle in einem kleineren Schweizer Krankenhaus anzustreben. Um die etwa fünf Stellen, die jährlich neu zu besetzen sind, bewerben sich 50 bis 80 angehende Fachärzte. Der größte Teil der ärztlichen Mitarbeiter sind keine Schweizer, meist Deutsche oder Österreicher.
#Nach der Facharztausbildung?
Was wird nach dem Facharzt? Frau von der Heide zögert nicht mit der Antwort auf die Frage, ob sie nach Deutschland zurückkehren möchte. Durchaus möglich, meint sie, aber sie fühlt sich in der Schweiz wohl und beabsichtigt auch längerfristig dort zu bleiben. Spielt die bessere Bezahlung eine Rolle? Mag sein, berichtet Frau von der Heide, dass es für manche Kollegen wichtig ist, aber andererseits sind die Lebenshaltungskosten in der Schweiz doch erheblich höher als in Deutschland, was den Unterschied in der Bezahlung praktisch wieder wettmacht. Bereits Unterassistenten, im Spitaljargon "Uhus" genannt, den deutschen PJ-Studenten entsprechend, werden finanziell mit etwa 1 000 SFR monatlich honoriert, "Darin äußert sich die Wertschätzung ihrer Arbeit", betont Frau von der Heide und sieht darin einen deutlichen Unterschied zu der Praxis in deutschen Klinken, wo die FamulantInnen und die PJlerInnen unentgeltlich arbeiten. Und natürlich faszinieren sie die Schweizer Berge: "Die sind unbezahlbar."
Dr. Rita Engelhardt


Das Kantonspital St. Gallen (Foto: R. Engelhardt)


Prof. Dr. Markus Kuster (Foto: R. Engelhardt)


Dr. Nadine von der Heide – klares Ausbildungsprogramm (Foto: R. Engelhardt)