Die Wirbelsäule 2021; 05(03): 142-144
DOI: 10.1055/a-1366-4153
Referiert und kommentiert

Kommentar zu: Dreidimensionale Anatomie der Thoraxwirbelsäule bei gesunden Erwachsenen

Sebastian Decker
1   Medizinische Hochschule Hannover, Unfallchirurgische Klinik, Hannover
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Trotzdessen bereits früh unterschiedliche Formen der Thorakalkyphose (TK) beobachtet und publiziert wurden [1], wurde sie lange Zeit nicht in gleichem Ausmaß wie die Lumballordose und die spinopelvinen Parameter analysiert. So erfolgte bei der Betrachtung der Lendenwirbelsäule stets eine segmentale Betrachtung der physiologischen Anatomie. Die segmentale Betrachtung wurde sodann konsequenter Weise auch intraoperativ zunehmend adressiert. Im Rahmen der fortschreitenden Analyse von Alignment sowie insbesondere perioperativen Komplikationen zeigte sich zuletzt zunehmend auch die Bedeutung eines weitergehenden Verständnisses der TK. Es konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass die Art der Instrumentierung des cranialsten instrumentierten Wirbelkörpers bedeutend für das Risiko der Ausbildung einer proximalen junktionalen Kyphosierung (PJK) ist [2]. Ebenfalls wurde gezeigt, dass das Ausmaß der Flexibilität der TK entscheidend für das Outcome nach Korrekturspondylodesen von adulten Deformitäten ist, wobei flexible TK anscheinend kurzstreckiger instrumentiert werden können und das Ausmaß einer Spontankorrektur der TK hier größer ist [3]. Die Kompensationsmechanismen der TK sind dynamisch und entscheidend für die Ausbildung einer PJK [4].

Auf Grund der genannten klinischen Relevanz ist die Arbeit von Lafage et al. daher von Bedeutung. Die Autoren präsentieren anhand eines gesunden Kollektivs die physiologische Form der TK und analysieren segmental die Orientierung der einzelnen Wirbelkörper sowie die Verteilung des Ausmaßes der Gesamtkyphose auf die einzelnen Abschnitte der Brustwirbelsäule. Einschränkend im Studiendesign ist jedoch, dass die Geschlechterverteilung asymmetrisch ist (81 Frauen vs. 38 Männer). Die Autoren zeigen auf, dass große TK sich symmetrisch cranial und caudal von T7 verteilen, wohingegen bei kleiner TK 2/3 der Krümmung in der oberen Brustwirbelsäule lokalisiert ist. Dies zeigt deutlich, dass auch in der operativen Profilrestaurierung die TK präoperativ individuell analysiert werden sollte, um postoperativ ein jeweils individuell korrektes Alignment zu erreichen. Hingegen könnte eine Missachtung der segmentalen Anteile an der Gesamtkyphose perioperative Komplikationen wie PJK oder Imbalance mit beeinflussen. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer individuellen präoperativen Planung.

Im klinischen Alltag ist die Identifikation der oberen Brustwirbelkörper im Röntgenbild zur präzisen Vermessung der TK oft schwierig (z.B. auf Grund der Überlagerung des Schultergürtels im lateralen Strahlengang). Daher wird häufig nicht T1-T12 vermessen, stattdessen z.B. T4-T12. Die vorliegende Studie zeigt jedoch auf, dass zwischen T4-T12 durchschnittlich lediglich 78.2 ± 11.3% der TK lokalisiert sind, zwischen T5-T12 sogar nur 67.5 ± 13.2%. Eine Vermessung von T1-T12 ist daher sinnvoll und sollte im klinischen Alltag konsequent durchgeführt werden, um das Ausmaß der Kyphose nicht zu unterschätzen. Nur so können Lumballordose und TK, welche miteinander korrelieren, sinnvoll als Einheit betrachtet werden. Eine Vergrößerung der globalen TK generiert sich gemäß der aktuellen Studie aus einer vermehrten segmentalen Kyphose der einzelnen Wirbelkörper zueinander. Zu analysieren ist hier jedoch noch, wie viel Kyphose anteilig durch die Höhe der Hinterkanten in Relation zu den Vorderkanten bzw. durch die Flexibilität der Bandscheiben generiert wird. Hier ist es durchaus vorstellbar, dass die Steifigkeit der Bandscheiben segmental verschieden ausgeprägt ist, was wiederum eine Konsequenz für das Auftreten von Komplikationen am cranialen Ende der Instrumentierung oder aber auch für die Spontankorrektur der TK haben könnte.

In der vorliegenden Studie konzentrieren sich die Autoren auf die sagittale Analyse der Brustwirbelsäule. Die in ihrer Entstehung jedoch noch nicht verstandenen idiopathischen Skoliosen verdeutlichen aber beispielhaft, dass auch eine coronare segmentale Analyse ergänzend sinnhaft wäre.

Dennoch ist die Arbeit von Lafage et al. bedeutend. Die Autoren präsentieren eine bzgl. des Studiendesigns einfache Studie, welche aber eindrucksvoll aufzeigt, dass die gesamte TK inter-individuell unterschiedlich ist, ebenfalls segmental ggf. im jeweiligen Patienten unterschiedlich verteilt ist. Es wird entsprechend eine radiologisch-anatomische Grundlage präsentiert, welche für das Verständnis sämtlicher Pathologien und Therapien im Bereich der Brustwirbelsäule interessant ist.



Publication History

Article published online:
23 August 2021

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  • Literatur

  • 1 Roussouly P, Gollogly S, Berthonnaud E. et al. Classification oft he normal variation in the sagittal alignment oft he human lumbar spine and pelvis in the standing position. Spine (Phila Pa 1976) 2005; 30: 346-353
  • 2 Lafage R, Line BG, Gupta S. et al. Orientation of the upper-most instrumented segment influences proximal junctional disease following adult spinal deformity surgery. Spine (Phila Pa 1976) 2017; 42: 1570-1577
  • 3 Decker S, Mayer M, Hempfing A. et al. Flexibility of thoracic kyphosis affects postoperative sagittal alignment in adult patients with spinal deformity. Eur Spine J 2020; 29: 813-820
  • 4 Protopsaltis TS, Diebo BG, Lafage R. et al. Identifying thoracic compensation and predicting reciprocal thoracic kyphosis and proximal junctional kyphosis in adult spinal deformity surgery. Spine (Phila Pa 1976) 2018; 43: 1479-1486