Laryngorhinootologie 2024; 103(08): 599-612
DOI: 10.1055/a-2223-4083
Facharztwissen HNO

Chirurgische Therapie des Oropharynxkarzinoms: Empfehlungen der aktuellen S3-Leitlinie – Teil I

Surgical Treatment of Oropharyngeal Cancer – Recommendations of the Current German S3 Guideline, Part I
Andreas Dietz
,
Markus Pirlich
,
Matthäus Stöhr
,
Veit Zebralla
1   Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Leipzig, Germany
,
Susanne Wiegand
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Generell ist für das Oropharynxkarzinom in den letzten 2 Dekaden ein Trend zur transoralen Resektion + Neck Dissection + adjuvante Radio(chemo)therapie zu verzeichnen. Auf Basis der aktuell verfügbaren besten Evidenz aus Registerstudien können Empfehlungen ausgesprochen werden, wobei die aktuelle Datenlage mit gebotener Zurückhaltung bewertet werden sollte, weil bisher manche bedeutenden Parameter keinen Eingang in die Berechnung gefunden haben.

Abstract

In general, a trend towards transoral resection (as opposed to classic open approaches) + neck dissection + adjuvant radio- (chemo-) therapy has been observed for oropharyngeal carcinoma over the last 20 years. Techniques of transoral surgery (TOS), including transoral laser microsurgery (TLM) and transoral robotic surgery (TORS) have been propagated in retrospective comparisons with conventional surgery or primary radiochemotherapy as gentle, minimally invasive procedures with good late functional results. Meta-analyses of mostly uncontrolled retrospective analyses suggest that TORS may have better disease-free survival (DFS) and a reduced risk of free flap reconstruction compared with open surgery. TORS (TOS) was associated with fewer tumor-positive resection margins (R1), a lower number of recurrences, fewer intraoperative tracheostomies, a shorter inpatient stay and a shorter duration of postoperative nasal tube feeding compared to open surgery. In principle, based on the best evidence currently available from registry studies, stage I-II oropharyngeal carcinomas can be treated either with primary surgery or radiochemotherapy with a comparable chance of survival. With comparable evidence for stage III and IVa, p16neg. oropharyngeal carcinomas, the majority of authors advocate primary surgery followed by adjuvant radiotherapy or radiochemotherapy as the treatment of first choice. For p16pos. patients the results of registry studies are inconsistent, although the largest registry study on 450 HPV-positive stage III patients shows a significant superiority of primary surgery + adjuvant radiochemotherapy. Since all registry studies did not adjust for smoking status, among other factors, the current data situation should be evaluated with the necessary caution.

Kernaussagen
  • Die generellen Therapiestrategien beim Oropharynxkarzinom unterscheiden sich abhängig vom p16-Status trotz der wesentlich besseren Prognose bei HPV-/p16-positiven Tumoren nicht.

  • Prinzipiell gilt auf Basis der aktuell verfügbaren besten Evidenz aus Registerstudien, dass Stadium-I- bis -II-Oropharynxkarzinome mit vergleichbarer Überlebenschance entweder primär operiert oder durch eine Radiochemotherapie behandelt werden können.

  • Die Mehrzahl der Autoren spricht sich bei verfügbarer bester Evidenz aus Registerstudien bei Stadium III und IVa, p16-negativen Oropharynxkarzinomen für die primäre Chirurgie, gefolgt von adjuvanter Radio- bzw. Radiochemotherapie als Therapie der 1. Wahl aus.

  • Für die p16-positiven Patienten ergeben die Registerstudien kein einheitliches Bild, obgleich die größte Registerstudie an 450 HPV-positiven Stadium-III-Patienten eine signifikante Überlegenheit der primären Chirurgie + adjuvanter Radiochemotherapie ausweist.

  • Resektate für den Pathologen sollen mit topografisch eindeutigen Informationen bezüglich der anatomischen Ausrichtung und der genauen Lokalisation versehen werden.

  • Zu favorisieren sind eine „En-bloc“-Übersendung und eine Schnellschnittentnahme der Resektatränder am Resektat durch den Operateur oder den Pathologen.

  • Die frühere prinzipielle Ablehnung der Angabe eines R-Status nach Piecemeal-Chirurgie mancher Pathologen, die dann RX klassifizierten, sollte im Rahmen der guten Interdisziplinarität überwunden werden.

  • Präferenziell erfolgt eine Portionierung der Level durch den Chirurgen, da selbst unter Anbringung von Markierungen eine exakte Ex-situ-Zuordnung in der Pathologie nur sehr eingeschränkt möglich ist.

  • Die Entnahme von Schnellschnitten (Gefrierschnitten) wird generell empfohlen.

  • Wenn positive chirurgische Ränder gemeldet werden, sollte bei Möglichkeit eine erneute Resektion durchgeführt werden (Nachresektion).

  • Ein sauberer Resektionsrand („clear margin“) ist definiert als der Abstand von der invasiven Tumorfront, der 5mm oder mehr vom resezierten Rand entfernt ist.

  • Die transorale Chirurgie erscheint im Vergleich zu den invasiveren Techniken der konventionellen Chirurgie als weniger zeitaufwendig und mit weniger Zugangsmorbidität behaftet zu sein.

  • Die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie mit der Arbeitsgemeinschaft für Onkologie warnen davor, die Ergebnisse der ORATOR-Studien (Oropharynx Radiotherapy versus Transoral Robotic Surgery) unkritisch auf die klinische Praxis zu übertragen.

  • In der Gesamtbetrachtung fortgeschrittener Oropharynxkarzinome ist das primär chirurgische Vorgehen aktuell zu favorisieren, soweit eine R0-Resektion möglich und ein sinnvolles funktionelles Ergebnis zu erwarten ist.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
01. August 2024

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