Handchirurgie Scan 2012; 01(01): 16-17
DOI: 10.1055/s-0032-1309487
Diskussion
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Conduits bei peripheren Nervendefekten - Enttäuschende Resultate mit synthetischer Nervenleitschiene

In einer kürzlich publizierten Fallserie erzielte das Produkt Neurolac™ bei Nervenläsionen im Handbereich wenig befriedigende Therapieresultate. Hinsichtlich Sensibilität lag die Versagerquote bei 60 % und die Komplikationsrate war hoch.
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Publication Date:
08 November 2012 (online)

J Hand Surg Eur. 2012; 37: 342–349

Der Goldstandard in der Nervenchirurgie ist die autologe Transplantation. Doch die Resultate sind noch unbefriedigend. Da die Methode nur begrenzt zur Verfügung steht und für den Spender unangenehm ist, wurden Alternativen entwickelt, z.B. synthetische Nervenleitschienen aus verschiedensten Materialien. Alle sind nur für Nervendefekte ≤ 3 cm einsetzbar.

Neurolac besteht aus dem bioresorbierbarem Copolyester poly(DL-Lactid-ε-Caprolacton). S. Chiriac et al. publizierten eine Fallserie von 23 Patienten, bei denen 28 Nervenläsionen an der oberen Extremität mit Hilfe von Neurolac operiert wurden. In 21 Fällen war ein Trauma die Ursache, in 2 Fällen ein Neurom bzw. ein Schwannom. Bei 16 Patienten lagen außerdem andere Verletzungen, vor allem von Sehnen und Arterien vor.

Die durchschnittliche Länge der Nervendefekte betrug 11 mm. Nach Präparation der Nervenenden mit Debridement wurden die Defekte mit der Nervenleitschiene überbrückt. Die Nachbehandlung begann mit einer Immobilisierung für 3 Wochen. Nach einem mittleren Follow-up von 21,9 Monaten wurden subjektive Parameter wie Schmerzen (visuelle Analogskala, VAS 0–10), Kälteintoleranz, der Funktions-Score QuickDASH und objektive Parameter wie Griffstärke und Sensibilität erhoben und mit der kontralateralen Seite verglichen. Die Sensibilitätsprüfung erfolgte nach Weber- und Semmes-Weinstein-Test.

Der durchschnittliche Schmerz-Score betrug am Ende des Follow-up 2. Über Kälteintoleranz berichteten 15 Patienten. Im QuickDASH erreichten die Patienten im Mittel 35 Punkte. Die mittlere Griffstärke betrug 65 % der kontralateralen Seite. Im Weber-Test konnten auf der betroffenen Seite 2 Punkte mit einem Abstand von 25 mm, auf der gesunden von 6 mm diskriminiert werden. Im Semmes-Weinstein-Test nahmen die Patienten auf der betroffenen Seite ein Gewicht von 47 g, auf der Gegenseite von 0,3 g wahr.

Es traten 8 Komplikationen auf. Am schwersten wogen 3 spezifische Komplikationen, 2 Fistelbildungen des Neurolac Device in Gelenknähe und 1 Neurom. In den Fällen mit Fistelbildung war die Leitschiene an der Palmarfläche eines Fingergelenks eingesetzt worden. 2 Patienten entwickelten eine Versteifung des Gelenks. Bei 17 Patienten erholte sich die Sensibilität nicht. Insgesamt wurden nur bei 6 Patienten befriedigende Ergebnisse erzielt.

Fazit

Nach Ergebnissen der Studie bietet Neurolac verschiedene Vorteile, die auch andere synthetische Nervenleitschienen haben, u. a. Resorbierbarkeit und Semipermeabilität. Als Zusatznutzen zählt die Transparenz des Produkts. Nachteile sind die starre Struktur, die möglicherweise eine Gelenkversteifung begünstigt sowie der hohe Preis.

Dr. Angelika Bischoff, Planegg

Kommentar

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Dr. Jörn A. Lohmeyer, Klinik und Poliklinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie, Klinikum rechts der Isar, TUM Ismaninger Str. 22, 81675 München

Inzwischen sind in Europa mehrere Nervenröhrchen zur Rekonstruktion peripherer Nervendefekte zugelassen. Die Conduits konkurrieren dabei mit dem aktuellen Goldstandard des autologen Nerventransplantates, aber auch mit Veneninterponaten und dem seit kurzem erhältlichen dezellularisierten allogenen Nerventransplantat (Avance, Axogen). Grundsätzlich zeigen die Nerven-Conduits in zahlreichen Studien vielversprechende Ergebnisse, die über Defektstrecken bis 3 cm oft denen autologer Nerventransplantate entsprechen.

Das von den Autoren verwendete Neurolac ist eines der 3 kommerziell erhältlichen und meistpublizierten Nerven-Conduits. Während NeuraGen (Integra) aus bovinem Kollagen und Neurotube (Synovis) aus Polyglactin hergestellt wird, besteht Neurolac aus Poly(DL-lactid-ε-caprolacton). Ein möglicher Vorteil besteht in der Durchsichtigkeit des Röhrchens, jedoch weist es auch eine deutlich stärkere und stabilere Wandung auf, was wiederum, wie von den Autoren beschrieben, insbesondere im Gelenkbereich problematisch sein kann. Möglich sind Luxationen und Fistelbildungen des Röhrchens. Auch von anderen Autoren ist bereits darauf hingewiesen worden. Inwiefern sich das bei Degradation des Materials entstehende saure Milieu auf die Nervenregeneration auswirkt, ist nicht belegt, jedoch existieren experimentelle Hinweise auf eine mögliche Inhibierung der Nervenregeneration durch den abfallenden pH beim Abbau der Polymere.

Die Aussagefähigkeit bzw. Qualität des Papers ist in mehrerlei Hinsicht limitiert. Sämtliche Daten werden zwar tabellarisch separat für jeden Patienten gelistet, in der Auswertung jedoch zusammengefasst. Kritisch ist hierbei der Zusammenschluss der Sensibilitätsrückkehr nach Fingernervenverletzungen mit solchen des N. medianus und ulnaris auf Handgelenks- und Unterarmniveau und insbesondere mit Verletzungen des N. radialis und N. musculocutaneus. Bei Angabe der Griffstärke ist der Einbezug der Fingernervenverletzungen und der des N. musculocutaneus ebenso wenig sinnvoll, wie die Mittelung der DASH-Werte aller Verletzungen. Die Ursache für die erstaunlich hohen DASH-Werte bei einem Großteil der Fingerverletzungen sind ohnehin kaum in der Verletzung der Nerven zu suchen.

in weiterer methodischer Mangel liegt in dem teils sehr kurzen Nachuntersuchungsintervall von lediglich 3 Monaten, da zu diesem Zeitpunkt noch keine abschließende Regeneration zu erwarten ist. In 3 Fällen zur Rekonstruktion von Neuromen oder eines Schwannoms schulden die Autoren außerdem die Angabe der über die Dauer vorangegangen Denervation.

Die durchschnittliche Defektlänge ist mit 11 mm vergleichsweise kurz. Umso mehr überraschen die schlechten Ergebnisse, insbesondere bei Verletzung der Fingernerven. Insgesamt zeigte sich in 61 % der Fälle keine Nervenregeneration, bei den Fingernervenverletzungen lag dieser Anteil sogar bei 62,5 %. Diese Werte sind erheblich schlechter als Ergebnisse der Literatur mit anderen Conduits. 54 % der Patienten klagten zudem über Kälteintoleranz der betroffenen Extremität. 2 von 13 Patienten mit Fingernervenverletzungen litten nach Conduit-Rekonstruktion an einem CRPS (complex regional pain syndrome).

Die schlechten Ergebnisse der Studie und die Starrheit des Materials sprechen, wie von den Autoren richtig ausgeführt, vor allem im Gelenkbereich gegen die Verwendung der Neurolac Nervenröhrchen. Die Ergebnisse dieser Studie sind jedoch aufgrund der deutlich differierenden Materialeigenschaften nicht auf die Verwendung anderer Conduit-Materialien übertragbar, sodass die Verwendung von Conduits grundsätzlich eine relevante Therapieoption zur Nervenrekonstruktion von Defektstrecken unter 3 cm bleibt.

Bei vergleichbaren Ergebnissen über kurze Defektstrecken von mindestens 10 mm scheint uns das Venen-Conduit eine vielversprechende und kostengünstige Alternative. Weitere vergleichende, möglichst prospektiv randomisierte Studien sind zwingend erforderlich, um den genauen Stellenwert der Conduit-Rekonstruktion zu ermitteln.

E-Mail: lohmeyer@lrz.tum.de


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