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DOI: 10.1055/s-0029-1245839
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Bildgebende Diagnostik fokaler Leberläsionen: Die 90 %-Regel
Imaging of Focal Liver Lesions: the 90 %-RulePublication History
Publication Date:
29 November 2010 (online)
In den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden fokale Leberläsionen mithilfe nuklearmedizinischer Techniken diagnostiziert, wobei verschiedene Tracer, oft kombiniert, zur Anwendung kamen. Die Sensitivität und Spezifität dieser Techniken wird um 90 % angegeben [1] [2] [3].
Der nächste technische Schritt (neben Ultraschall [US], siehe später) war die Computertomografie (CT), wobei sowohl für die ursprünglich nativ durchgeführte CT als auch für kontrastmittelunterstützte (KM) Studien bald Sensitivitäten, Spezifitäten und Treffsicherheiten um 90 % für die Diagnose fokaler Leberläsionen berichtet werden. Dabei wurden sowohl Ölemulsionen als intraarterielle KM als auch jodhaltige KM intravenös appliziert. Die Sensitivität und Spezifität dieser Techniken wird wiederum um 90 % angegeben [4] [5].
Die CT-Technik wurde weiterentwickelt, die Spiral-CT kam auf den Markt, und die besondere Blutversorgung der Leber über Arteria hepatica und Pfortader wurde zu raffinierten Techniken der selektiven Kontrastmittelgabe umgesetzt, die CT-Arterioportografie und CT-Arteriografie. Dabei wurde die Blutversorgung von Lebermetastasen über die Arteria hepatica „ausgenützt”, um durch KM-Einstrom selektiv über die Arteria hepatica oder die Pfortader einen besonders guten Kontrast zwischen Leber und fokaler Läsion zu erzielen. Viele dieser Studien berichten Sensitivitäten, Spezifitäten und Treffsicherheiten um 90 % [5] [6] [7] [8]. Das diagnostische Armamentarium wurde bald durch die „neue” Leber-Magnetresonanztomografie (MR) erweitert, inklusive KM-Applikation gadoliniumhaltiger KM, und auch hier sind bereits frühe Ergebnisse im Vergleich zur bereits „alten” CT ermutigend: Sensitivitäten, Spezifitäten und Treffsicherheiten um 90 % [6] [7] [8]. Neue, leberspezifisch MR-KM und neue Sequenzen verbessern die Ergebnisse der MR bis heute – Sie haben richtig geraten, die Sensitivität und Treffsicherheit liegen bei etwa 90 % [8] [9] [10] [11]. Und heute ist die diffusionsgewichtete MR-Bildgebung der Leber up-to-date, die besonders sensitiv in der Erfassung fokaler Leberläsionen ist [12].
Aber auch Ultraschall war eigentlich „schon immer” sehr gut, wenn es um fokale Leberläsionen geht! Bereits 1982 wurden bei 7 von 97 onkologischen Patienten Lebermetastasen gefunden, die zum Untersuchungszeitpunkt gar nicht vermutet worden waren (!) [13]. Und bereits 1998 konnte im Vergleich zur biphasischen Spiral-CT bei 88 Tumorpatienten mit einer Real-time-Sonografie unter Verwendung eines High-end-Geräts mit Multifrequenzschallkopf eine – richtig getippt! – Sensitivität von 93,9 % in der Detektion fokaler Leberherde erzielt werden, besser als die der CT (71,7 %) [14].
Da könnte man sich ja schon fragen, ob sich der ganze medizinische, technische und ökonomische Aufwand mit Ultraschallkontrastmittel(n) überhaupt lohnt, wenn dann auch „nur” eine Treffsicherheit von 88,9 % [15] bzw. eine Sensitivität von 96 %, eine Spezifität von 83 % und eine Treffsicherheit von 90,3 % [16] [17] in der Differenzierung maligner–benigner Leberläsionen die Ergebnisse sind (Übersicht bei [18])?
Dieser Ansatz ist natürlich falsch. Diese Zahlen „Sensitivität von 90 %” zeigen, dass die Angabe der Sensitivität natürlich eine „relative” und keine wie immer geartete „absolute” Zahl ist. Wenn wir eine Aussage lesen wie „die Sensitivität der Methode X in der Erkennung fokaler Leberläsionen ist 90 %”, dann müssen wir 2 Fragen stellen, ohne deren Antwort wir mit dieser Aussage nichts anfangen können: a) 90 % im Vergleich wozu? b) In welcher Population?
Die Sensitivität ist der Anteil der Erkrankten mit einem positiven Testergebnis. Daher ist die Frage zu stellen, wie die Erkrankung, in unserem Fall das Vorhandensein fokaler Leberläsionen, in einem „Referenzstandard” festgelegt wurde. Wenn wir hier „alte” Arbeiten lesen, so wird klar, dass der Referenzstandard hier oft unklar bleibt bzw. den Mitteln der Zeit entsprechend durch Klinik, Tastbefund und Labor definiert wurde, alles Parameter, denen wir heute keinen hohen Stellenwert in der Diagnose einer fokalen Leberläsion, egal ob benigne oder maligne, zugestehen. Daher sind nuklearmedizinische Methoden auch aus gutem Grund heute in der Fragestellung nicht mehr sinnvoll und die Durchführung einer Nativ-CT der Leber ohne KM-Gabe wird zum Nachweis oder Ausschluss fokaler Leberläsionen als obsolet angesehen.
In „neueren” Arbeiten wurde der Referenzstandard immer weiter verfeinert und die Beschreibung dieses Standard nimmt in rezenten Arbeiten (Beispiel: [12]) einen guten Teil des Methodik-Teils der Arbeit ein. Neben histologischer Verifizierung durch Operation und/oder Biopsie sind Verlaufskontrollen, ein oft multimodaler bildgebender Vergleich und die intraoperative Sonografie Teile dieses Referenzstandards. Auch in der DEGUM-Multicenterstudie sind bildgebender Vergleich mit CT oder MR und die Histologie Teile des Referenzstandards [16] [17].
Wir können weiter davon ausgehen, dass wir im Vergleich zu älteren Studien immer „kleinere” fokale Leberläsionen erfassen bzw. dass auch im Referenzstandard immer kleiner Läsionen (z. B. mithilfe der hochauflösenden intraoperativen Sonografie) erfasst werden. Das führt – trotz besserer Ergebnisse in Bezug auf die „Kleinheit” erfasster Leberläsionen – eben zu keiner Änderung der Ergebnisse der deskriptiven Statistik („90 %”) vieler Studien im Verlauf der letzten Jahre und Jahrzehnte.
Bleibt noch die Frage nach der Studienpopulation offen. Ohne Kenntnis der Studienpopulation können wir die Ergebnisse von Studien nicht auf unser eigenes Arbeitsgebiet umlegen. Kenntnisse der Vortestwahrscheinlichkeit für fokale Leberläsionen sind hier der wichtigste Parameter. Wenn wir den Stellenwert von CEUS zu CT an einer Studienpopulation vergleichen, bei der z. B. durch „Verdacht auf eine fokale Leberläsion in einer der Studie vorausgegangenen Bildgebung” als Einschlusskriterium eine fast 100 % Vortestwahrscheinlichkeit für Leberläsionen besteht, dann sind diese Ergebnisse nicht auf die Alltagsarbeit des US-durchführenden Kollegen XY übertragbar, der bei weniger als 5 % seiner allgemeininternistischen Patienten eine fokale Leberläsion detektieren wird.
Einen weiteren Aspekt vieler CEUS-Studien betrifft auch die Vorselektion der Studienpopulationen durch das Einschlusskriterium eines positiven Herdbefunds in einer vorhergegangenen nativen Real-time-Sonografie. Hier werden systematisch alle jene Patienten nicht erfasst, bei denen aufgrund schlechter Untersuchungsbedingungen und/oder anderer Ursachen ein falsch negativer Befund im Real-time-US erfolgt ist. Ein klarer Bias zugunsten gut untersuchbarer Patienten und gut detektierbarer Leberläsionen, auf den auch die Autoren der DEGUM-Studie in der Diskussion hinweisen [16].
Und zuletzt müssen wir uns damit abfinden, dass wir nicht alle Leberläsionen, besonders in der Onkologie, bildgebend erfassen können – auch deshalb sind Angaben der Sensitivität nicht absolut. Metastasen der Leber entstehen durch Tumorzellembolien, die in den Arteriolen der Leber, den kleinsten portalen Gefäßen und den Sinusoiden gefiltert werden. Das Wachstum zu bildgebend erfassbaren Metastasen hängt von der Art des Primärtumors, dem Tumorgrading und vielen anderen lokalen Faktoren ab. Wir sind uns aber sicher einig, dass Metastasen frühestens ab einer Größe von etwa 2 mm (intraoperativer US) oder mehreren mm Durchmesser (perkutaner US, CT, MR) erfasst werden können. Eine mögliche Lösung zur Erfassung dieser „okkulten” Mikrometastasen, die für „Tumorrezidive” verantwortlich sind, ergibt sich aus der Erfassung der Änderung der Leberperfusion, die durch diese Mikrometastasen induziert wird (Arterialisation der Leberdurchblutung). Hier bietet sich die Messung der hepatischen Transitzeit von US-KM als möglicher Surrogatparameter an, eine seit 1993 bekannte, wenig geübte Methode, zu der eine weitere Aussage in diesem Heft zu finden ist [20].
Literatur
- 1 Buraggi G L, Laurini R, Rodari A et al. Double-tracer scintigraphy with 67Ga-citrate and 99mTc-sulfur colloid in the diagnosis of hepatic tumors. Journal of Nuclear Medicine. 1976; 17 369-373
- 2 Engel M A, Marks D S, Sandler M A et al. Differentiation of focal intrahepatic lesions with 99mTc-red blood cell imaging. Rad. 1983; 146 777-782
- 3 Koenigsberg M, Friedman L. Multinuclide evaluation of hepatic mass lesions. Crit Rev Radiol Nucl Med. 1975; 6 113-152
- 4 Sugarbaker P H, Vermess M, Doppmann J L et al. Improved detection of focal lesions with computerized tomographic examination of the liver using ethiodized oil emulsion (EOE-13) liver contrast. Cancer. 1984; 54 1489-1495
- 5 Urban B A, Fishman E K, Kuhlman J E et al. Detection of focal hepatic lesions with spiral CT: Comparison of 4- and 8-mm interscan spacing. AJR. 1993; 160 783-785
- 6 Heiken J P, Weyman P J, Lee J KT et al. Detection of focal hepatic masses: prospective evaluation with CT, delayed CT, CT during arterial portography, and MR imaging. Rad. 1989; 171 47-51
- 7 Kondo H, Kanematsu M, Hoshi H et al. Preoperative detection of malignant hepatic tumors: comparison of combined methods of MR imaging with combined methods of CT. AJR. 2000; 174 947-954
- 8 Semelka R C, Shoenut J P, Kroeker M A et al. Focal liver lesions: comparison of dynamic contrast-enhanced CT and T 2-weighted fat-suppressed, FLASH, and dynamic Gadolinium-enhanced MR imaging at 1.5 T. Rad. 1992; 184 687-694
- 9 Senéterre E, Taourel P, Bouvier Y et al. Detection of hepatic metastases: ferumoxides-enhanced MR imaging versus unenhanced MR imaging and CT during arterial portography. Rad. 1996; 200 785-792
- 10 Heilmaier C, Lutz A M, Bolog N et al. Focal liver lesions: detection and characterization at double-contrast liver MR imaging with ferucarbotan and gadubotrol versus single-contrast liver MR imaging. Rad. 2009; 253 724-733
- 11 Petersein J, Spinazzi A, Giovagnoni A et al. Focal liver lesions: evaluation of the efficacy of gadobenate dimeglumine in MR imaging – a multicenter phase III clinical study. Rad. 2000; 215 727-736
- 12 Parikh T, Drew S J, Lee V S et al. Focal liver lesion detection and characterization with diffusion-weighted MR imaging: comparison with standard breath-hold T 2-weighted imaging. Rad. 2008; 246 812-822
- 13 Lechmann-Riemen van R, Illiger H J. Oberbauchsonografie – Screeninguntersuchung in der Tumorambulanz. Ultraschall in Med. 1982; 3 294-297
- 14 Seemann M D, Bonél H, Wintersperger B et al. Vergleich eines High-End-Ultraschallgerätes mit einem Spiral-CT-Scanner beim Screening von Lebermetastasen. Ultraschall in Med. 1998; 19 164-167
- 15 Moriyasu F, Itoh K. Efficacy of perflubutane microbubble-enhanced ultrasound in the characterization and detection of focal liver lesions: phase 3 multicenter clinical trial. AJR. 2009; 193 86-95
- 16 Strobel D, Seitz K, Blank W et al. Contrast-enhanced Ultrasound for the Characterization of Focal Liver lesions – Diagnostic Accuracy in Clinical Practice. Ultraschall in Med. 2008; 29 499-505
- 17 Bernatik T, Blank W, Schuler A et al. Unclear focal liver lesions in contrast-enhanced ultrasonography – lessons to be learned from the DEGUM multicenter study for the characterization of liver tumors. Ultraschall in Med. 2010; 31 577-581
- 18 Ladam-Marcus V, Mac G, Job L et al. Performance de l’échographie de contraste en pathologie hépatique: synthése de la literature. J Radiol. 2009; 90 93-108
- 19 Leen E, Goldberg J A, Anderson J R et al. Hepatic perfusion changes in patients with liver metastases: comparison with those patients with cirrhosis. Gut. 1993; 34 554-557
- 20 Haendl T, Strobel D, Neureiter D et al. Vergleich der hepatischen Transitzeit (HTT) verschiedener Ultraschallkontrastmittel (USKM) bei Patienten mit Lebermetastasen und gesunden Probanden. Ultraschall in Med. 2010; 31 582-588
Prof. Dr. G. Mostbeck
Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie Wilhelminenspital und Röntgeninstitut Otto Wagner Spital
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