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DOI: 10.1055/s-0033-1358746
Neue Ansätze in der psychosomatischen Rehabilitation
New Trends in Psychosomatic RehabilitationPublication History
Publication Date:
13 December 2013 (online)
Die psychosomatische Rehabilitation ist wirksam und effektiv. Durch die medizinische Heilbehandlung werden beeindruckende Effektstärken bei der Senkung des Beschwerdedrucks im Allgemeinen und der Reduktion der Depressions- und Angstsymptome im Besonderen erreicht [1]. Zwischen 50 und 90% der Rehabilitanden, die sich einer psychosomatischen Rehabilitationsbehandlung unterziehen, haben entweder berufliche Probleme oder sind bereits in ihrer beruflichen Funktionsfähigkeit deutlich eingeschränkt. Von diesen Patienten erhoffen sich zwei Drittel durch den Aufenthalt in der Klinik eine Lösung ihrer beruflichen Probleme. Die Rehabilitanden, die in ihrer beruflichen Funktionsfähigkeit eingeschränkt sind, leiden sehr stark unter ihren psychischen und körperlichen Beschwerden und tun sich schwer, die Einschränkungen, die ihre Erkrankungen mit sich bringen, zu akzeptieren.
Etwa 70% der Rehabilitanden, die eine medizinisch-psychosomatischen Rehabilitation durchführen, kehren an ihren Arbeitsplatz zurück und sind auch noch ein Jahr nach Beendigung der Rehabilitationsbehandlung in ihren Arbeitsplatz integriert. 30% der Rehabilitanden werden jedoch arbeitsunfähig aus der medizinisch-psychosomatischen Rehabilitation entlassen, wobei der Übergang in die Arbeitstätigkeit vor allem Rehabilitanden mit AU-Zeiten von über 3 Monaten im Jahr vor der Heilbehandlung, Rentenbegehrern und Rentenantragstellern, Arbeitslosen und Patienten mit einer klinisch relevanten Erkrankungsschwere sowie Migranten selten gelingt [2].
Es gibt daher immer noch Optimierungspotenziale, die dazu beitragen sollen, die Wiedereingliederungsquote nach psychosomatischer Rehabilitation zu verbessern. Dazu gehört eine bessere Vorbehandlung, eine valide Diagnostik und die Berücksichtigung spezifischer beruflicher Problemlagen einzelner Rehabilitandengruppen wie Migranten und Langzeitarbeitsunfähige in Rehabilitation und Nachsorge. Im vorliegenden Themenschwerpunkt werden neben empirischen Arbeiten auch konzeptuelle Überlegungen bspw. zur Verbesserung der Vorbehandlung sowie der Diagnostik und für die Optimierung der Nachsorge vorgestellt.
Die medizinische Rehabilitation versteht sich als einen Teilbereich eines Gesamtbehandlungsplans. Der Rehabilitationserfolg ist entscheidend davon abhängig, dass alle beteiligten Leistungsträger und Leistungserbringer bezogen auf ihre Zuständigkeiten und Behandlungsmöglichkeiten optimal aufeinander abgestimmt sind, um Chronifizierungstendenzen entgegenwirken zu können [3]. Die psychosomatische Rehabilitation muss daher möglichst auf ambulante Vorbehandlungen aufbauen können. Die bisherige Datenlage zeigt, dass Patienten mit psychotherapeutischer Vorerfahrung deutlich besser von der stationären medizinisch-psychosomatischen Rehabilitation profitieren [3]. Dennoch sind etwa 30–50% der Rehabilitanden in einer psychosomatischen Rehabilitationsklinik nicht vorbehandelt. Die defizitäre psychotherapeutische Versorgungslage in Deutschland erschwert eine rechtzeitige Behandlung erheblich, nicht zuletzt auch deshalb, weil durch die Konzentration auf einzeltherapeutische Angebote nicht genügend Psychotherapieplätze zur Verfügung stehen. Meike Lange und Franz Petermann zeigen in ihrem Beitrag [4], dass das beinahe ausschließliche Angebot von Einzeltherapie nicht gerechtfertigt ist, wenn man berücksichtigt, dass Gruppentherapien für viele Störungsbilder ebenso wirksam sind. Die Autoren haben eine ausführliche Literaturanalyse vorgelegt, die unterstreicht, dass die Verstärkung des Angebots ambulanter Gruppentherapien eine Antwort auf fehlende Versorgungskapazitäten sein könnte. Die Patienten könnten so auch besser auf eine mögliche stationäre Rehabilitationsbehandlung vorbereitet werden.
Es zeigt sich aber auch, dass klassische psychosomatische Rehabilitationskonzepte unterschiedlich wirksam sind. Bereits in früheren Arbeiten [5] wurde darauf hingewiesen, dass Migranten weniger gut von einer stationären psychosomatischen Rehabilitationsbehandlung profitieren. Die Arbeitsgruppe um Axel Kobelt [6] stellt differentielle Rehabilitationsergebnisse vor, die verdeutlichen, dass der Migrationshintergrund allein nicht zwangsläufig ein schlechteres Behandlungsergebnis vorhersagt. Die gemeinsame Berücksichtigung von Schichtmerkmalen und Migrationshintergrund lässt den Einfluss der nationalen Herkunft der Patienten auf das Behandlungsergebnis nicht mehr ganz so bedeutsam erscheinen. Es wird daher die Frage aufgeworfen, ob in der medizinischen Rehabilitation vermehrt soziale Schichtmerkmale berücksichtigen werden müssen.
Am Ende der medizinisch-psychosomatischen Rehabilitation erfolgt die Leistungsbeurteilung, die sich auch auf psychologische Testergebnisse stützen soll, um die Leistungseinschränkungen möglichst zu objektivieren. Walter et al. [7] zeigen in ihrem Beitrag, dass klinische Anwender nicht vorbehaltlos den Testergebnissen vertrauen können, da sie je nach Intention des Patienten sehr leicht verfälschbar sind. Sie können zeigen, dass Testpersonen, die willentlich das Testergebnis beeinflussen wollen, nicht anhand des Bearbeitungsverhaltens, z. B. durch Ceiling-Effekte, oder anhand anderer markanter Ausfüllmuster erkannt werden können. Das Thema Beschwerdevalidierung [8] erhält vor allem vor dem Hintergrund stetig steigender Berentungszahlen wegen Erwerbsminderung aufgrund einer psychischen Erkrankung eine wichtige Bedeutung für die Begutachtung. Die Ergebnisse von Testinventaren (ohne Validitätsskala) in der Begutachtung sollten zukünftig nur mit einer kritischen Distanz bewertet werden.
Die medizinisch-psychosomatische Rehabilitation gilt als eine der wirksamsten und vor allem am besten untersuchten Rehabilitationsformen. Anders als in anderen Indikationsbereichen wurde in der psychosomatischen Rehabilitation schon früh auf die beruflichen Probleme der Rehabilitanden durch die Einführung von beruflichen Behandlungsmodulen reagiert, die nun nach und nach auch Eingang in die somatische Rehabilitation finden [9]. Dieser im Vergleich zur somatischen Rehabilitation starke Berufsbezug in der medizinisch-psychosomatischen Rehabilitation sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass einzelne Rehabilitandengruppen, die besondere Probleme bei der Rückkehr ins Erwerbsleben haben, zwar bzgl. ihrer gesundheitlichen Einschränkungen der psychischen Funktionsfähigkeit profitieren, aber hinsichtlich ihrer beruflichen Probleme kaum eine Verbesserung ihrer Situation erfahren [2] [9]. Für die fortschreitende sozioökonomische und gesellschaftliche Ausgrenzung und für die damit verbundene Abnahme der Rückkehrmotivation ins Erwerbsleben dieser Rehabilitandengruppen sind bisher noch keine überzeugenden Lösungsansätze gefunden worden. Dabei sind es gerade diese Rehabilitanden, die ein hohes Berentungs- und Armutsrisiko haben. Der fortschreitende Desintegrationsprozess führt zu einer immer größeren Distanz gegenüber einem durch regelmäßige Arbeitstätigkeit strukturierten Alltag, sodass selbst initiierte bzw. eigenmotivierte Bemühungen um eine Wiederaufnahme einer Arbeitstätigkeit immer unwahrscheinlicher werden [10]. Die Folge sind hohe Kosten für lebensunterhaltssichernde Sozialleistungen bei gleichzeitigem dauerhaftem Verlust von beitragsaktiven Mitgliedern der Solidargemeinschaft. Die Arbeitsgruppe um Magdalena Piegza und Axel Kobelt beschäftigt sich mit einem intensiven Fallmanagement als Nachsorgeleistung für diese Rehabilitandengruppen, die sich unmittelbar an eine medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitationsbehandlung (MBOR) anschließt und damit das etablierte IRENA-Programm einschließlich Curriculum Hannover ergänzen soll. In einem Literaturüberblick werden Forschungsergebnisse und Beispiele von Good Practice zusammengetragen und kritisch diskutiert. Gleichzeitig wird aber auch auf das Potenzial eingegangen, das Fallmanagement für die medizinische Rehabilitation haben kann [11]. In der zweiten Arbeit [12] werden Rehabilitanden nach ihrer Erwartung befragt, welche Probleme sich nach der Entlassung für sie stellen könnten und ob ein Fallmanagement bei der Bewältigung dieser Probleme unterstützend sein kann. Es zeigt sich, dass berufliche und psychotherapeutische Versorgungsprobleme eine sehr große Rolle spielen und Rehabilitanden sich von der Unterstützung durch ein Fallmanagement viel versprechen. Insgesamt zeigen die Arbeiten, dass sich die psychosomatische Rehabilitation zwar durch eine besondere Innovationsbereitschaft auszeichnet [13], jedoch noch einige offene Problembereiche bestehen, die zur weiteren Entwicklung und Erforschung auffordern.
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Literatur
- 1 Steffanowski A, Löschmann C, Schmidt J et al. Meta-Analyse der Effekte stationärer psychosomatischer Rehabilitation. Bern: Huber; 2007
- 2 Kobelt A, Pfeiffer W, Winkler M et al. Erwerbsbezug in der psychosomatischen Rehabilitation. In: Petermann F. Hrsg Neue Ansätze in der psychosomatischen Rehabilitation. Regensburg: Roderer; 2010: 27-48
- 3 Klose C, Matteucci-Gothe R, Linden M. Die Vor- und Nachbehandlung in der stationären psychosomatischen Rehabilitation. Rehabilitation 2006; 45: 359-368
- 4 Lange M, Petermann F. Die Wirksamkeit von Einzel- und Gruppentherapie im Vergleich. Eine systematische Literaturanalyse. Phys Med Rehab Kuror 2013; 23: 327-333
- 5 Mösko M, Schneider J, Koch U et al. Beeinflusst der türkische Migrationshintergrund das Behandlungsergebnis? Ergebnisse einer prospektiven Versorgungsstudie in der stationären Rehabilitation von Patienten mit psychischen/psychosomatischen Störungen. Psychother Psychosom Med Psychol 2008; 58: 176-182
- 6 Kobelt A, Goebber J, Pfeiffer W et al. Die sozioökonomische Schicht ist wichtiger für das Behandlungsergebnis in der psychosomatischen Rehabilitation als der Migrationshintergrund. Phys Med Rehab Kuror 2013; 23: 353-357
- 7 Walter F, Petermann F, Dietrich D et al. Wie können Beschwerden im Rahmen der medizinischen Rehabilitation validiert werden?. Phys Med Rehab Kuror 2013; 23: 334-340
- 8 Walter F, Petermann F, Kobelt A. Beschwerdenvalidierung: Ein aktueller Überblick. Rehabilitation 2012; 51: 342-348
- 9 Koch S, Hillert A. Therapeutische Interventionen auf psychosozialer Ebene – Konzeption, Durchführung und Wirksamkeit psychotherapeutisch fundierter berufsbezogener Interventionen. In: Hillert A, Müller-Fahrnow W, Radoschewski FM. Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation. Grundlagen und klinische Praxis. Köln: Deutscher Ärzteverlag; 2009: 141-158
- 10 Zenger M, Hinz A, Petermann F et al. Gesundheit und Lebensqualität im Kontext von Arbeitslosigkeit und Sorgen um den Arbeitsplatz. Psychother Psych Med 2013; 63: 129-137
- 11 Piegza M, Schwarze M, Petermann F et al. Fallmanagement als innovativer Ansatz in der medizinisch-psychosomatischen Rehabilitation. Phys Med Rehab Kuror 2013; 23: 348-352
- 12 Piegza M, Petermann F, Bassler M et al. Erwartungen der Patienten an ein Fallmanagement nach einer psychosomatischen Rehabilitation: Ergebnisse einer Bedarfsanalyse. Phys Med Rehab Kuror 2013; 23: 341-347
- 13 Petermann F, Smolenski UC. Psychosomatische Rehabilitation. Phys Med Rehab Kuror 2012; 22: 313-315