Zusammenfassung
Zucker steht derzeit unter Generalverdacht: Ernährungsaufklärung fokussiert auf Süßigkeiten, Softdrinks und versteckten Zucker in „Convenience-Produkten“. Die Medien haben ihn zu ihrem Lieblingsfeind erkoren. Gleichwohl essen die Deutschen so viel Zucker wie nie: 32 kg pro Jahr – das entspricht 22 Teelöffel pro Tag und damit mehr als doppelt so viel wie die WHO derzeit empfiehlt.
Dass Ernährungsbildung dabei allenfalls bedingt funktioniert ist das Eine. Das Andere: Zucker ist mehr als Industrieprodukt, Füllstoff, Dickmacher oder schneller Energielieferant: Zucker ist auch ein Kulturgut. In der Entwicklungsgeschichte der Menschheit steht er für gesuchten und guten Geschmack wie auch für Energie, somit für Leben beziehungsweise Überleben. Spätestens seit den frühen Hochkulturen und verstärkt in der Antike ist eine besondere Wertschätzung von süßen Früchten und Honig erkennbar, die in medizinischer Verwendung Niederschlag fand.
Die Entdeckung des aus dem pazifischen Raum stammenden Zuckerrohrs und der plantagenmäßige Anbau an der europäischen Peripherie brachten das Abendland dann seit dem Mittelalter in engeren Kontakt mit dem Luxusgut Zucker. Fundamentaler Wandel erfolgte durch den Columbian Exchange: Seitdem afrikanische Sklaven gezwungen wurden, den amerikanischen Kolonien Zucker für den europäischen Markt anzubauen, stieg der Konsum sprunghaft an und demokratisierte sich seit dem 19. Jahrhundert. Kritik am Zucker wurde zunächst nicht laut, auch nicht in der Epoche des Massenkonsums der Nachkriegszeit.
Erst als der Verbrauch weiter stieg und die Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts zunehmend gesundheitsbewusst wurde – und als die Frage nach der vermeintlich richtigen Ernährung zur ideologischen Leitperspektive avanciert war, geriet Zucker massiv in die Kritik. Wer die heutige Rolle des Zuckers verstehen will, sollte die historischen Hintergründe und die kulturellen Determinanten berücksichtigen.
Abstract
Whilst being the media’s public enemy no. 1, and being under general suspicion by key players in the field of nutritional education, German sugar consumption is at an all-time high. Germans consume 32 kg per year, which equals a consumption of 22 teaspoons sugar per person per day – twice as much the WHO-guideline. Seeing the limited impact of nutritional education, the question must arise, why sugar consumption is at this level.
Sugar is much more than a mere fattener, supplier of energy and industrial product: beyond that it is a cultural product, strongly connected with the history of mankind and its quest for desired taste and energy. Being crucial for survival and life is one of the key characteristics of sugar since the early advanced civilizations. In the ancient world there was a widespread appreciation honey and sweet fruits, reflected in its medical use. European societies discovered sugar cane, which spread from the Pacific regions to India and the Middle East, due to the Christian crusades of the Middle Ages, holding the view of sugar as a luxury product.
The Columbian Exchange lead to a rapid increase in sugar consumption: sugar cane was grown on the colonial plantations for European trade only. In the 19th century, consumption democratized. There was no criticism of sugar consumption, not even in post-war times, when it rose to very high levels.
There was no public criticism of the sugar consumption until the society became increasingly health-conscious and aware of their ever-increasing consumption level at the end of the 20th century. To understand the role of sugar in the context of present nutritional systems, cultural determinants and pathways of historical developments must be considered.
Schlüsselwörter
Zucker - Ernährungskultur - Ernährung - Geschichte der Ernährung - Kultur
Keywords
sugar - food culture - nutrition - history of food culture - culture