Zeitschrift für Palliativmedizin 2019; 20(05): 251-266
DOI: 10.1055/a-0718-6832
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Akute und chronische Bewusstseinsstörungen bei schwerer Gehirnschädigung

Frank Erbguth

Subject Editor: Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist Prof. Dr. Frank Erbguth, Nürnberg.
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Publication Date:
16 August 2019 (online)

Akute Gehirnschädigungen können zu schweren Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma führen. Daraus können sich unterschiedliche Syndrome mit wiedergewonnener Wachheit aber fehlendem oder stark eingeschränktem Bewusstsein entwickeln. Die Behandlung chronischer Bewusstseinsstörungen (CBS) sind mit ethischen und juristischen Herausforderungen im Hinblick auf lebensverlängernde Maßnahmen, Therapieabbrüche und palliative Therapiezieländerungen verbunden.

Kernaussagen
  • Bei Störungen des Bewusstseins muss man quantitative Formen (Störungen der Wachheit) von qualitativen Formen unterscheiden.

  • Quantitative Bewusstseinsstörungen lassen sich zwischen wach, somnolent, soporös und komatös graduieren.

  • Bewusstsein im Sinne von Bewusstheit seiner selbst und der Umgebung kann sich uneingeschränkt nur bei bestehender Wachheit und inkonstant bei Somnolenz entfalten.

  • Aus einem Koma können sich – je nach Ätiologie und Dynamik der Gehirnerkrankung – folgende Zustände entwickeln: irreversibler Hirnfunktionsausfall („Hirntod“), Locked-in-Syndrom, Syndrom reaktionsloser Wachheit (früher „Wachkoma“, „apallisch“), minimales Bewusstsein, Wachheit mit oder ohne qualitative Bewusstseinsstörungen.

  • Die häufigsten chronischen Bewusstseinsstörungen entwickeln sich als Folge von zerebraler Hypoxie nach Reanimation, Schlaganfällen und Schädel-Hirn-Traumata.

  • Die Bewusstseinsprognose nach initialem Koma ist beim Schädel-Hirn-Trauma deutlich besser als nach zerebraler Hypoxie.

  • Bei der einfachen klinischen Untersuchung bei CBS können bis zu 40 % Fehleinschätzungen der Bewusstseinslage auftreten; standardisierte Untersuchungen mit Skalen verbessern diese Fehlerquote deutlich.

  • Funktionelle Bildgebungsverfahren (fMRT, PET) und spezielle EEG-Untersuchungen können Hinweise auf vorhandene Reaktivität geben; inwieweit sich dadurch „Bewusstsein“ detektieren lässt, wird kontrovers diskutiert.

  • CBS implizieren in hohem Maße ethische, rechtliche und kommunikative Herausforderungen, bei denen es meist um Fragen des palliativen Therapiezielwechsels und eines Therapieabbruchs geht.