Nervenheilkunde 2020; 39(06): 390-396
DOI: 10.1055/a-1122-1755
Schwerpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wissenswertes zu Dystonien

Overview on dystonias for clinicians
Christian Dresel
1   Klinik und Poliklinik für Neurologie, Sektion für Bewegungsstörungen und Neuromodulation, Universitätsmedizin Mainz
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Publication Date:
04 June 2020 (online)

Zusammenfassung

Die Latenz zwischen Manifestation und Diagnose einer primären Dystonie beträgt durchschnittlich mehrere Jahre. Die Diagnose einer primären Dystonie wird durch die Seltenheit der Erkrankung, die Variabilität der klinischen Symptome, die in der Praxis wenig hilfreichen Diagnosekriterien und die Überlappung mit anderen Bewegungsstörungen erschwert. Dieser Artikel gibt einen Überblick über klinische Phänotypen, Pathophysiologie und Therapien primärer Dystonien. Er soll dem Einsteiger und nicht auf Bewegungsstörungen spezialisierten Neurologen Hilfestellungen für den klinischen Alltag geben, um Dystonien frühzeitig zu erkennen und einer Therapie zuzuführen.

Der Artikel stellt die 2013 revidierten Diagnosekriterien und die wichtigsten primären Dystonien vor. Pathophysiologisch sind Dystonien durch eine Disinhibition und maladaptive Plastizität in sensomotorischen Hirnnetzwerken charakterisiert. Es ist wichtig, die Dystonie klinisch von anderen Bewegungsstörungen zu differenzieren. Insbesondere eine asymmetrische dystone Haltung der Arme kann ein Frühsymptom einer beginnenden Parkinson-Erkrankung darstellen.

Dystonie-Patienten leiden häufig an funktionellen Defiziten, Schmerzen und einer sozialen Stigmatisierung, die zu einer Abnahme der Lebensqualität führen. Therapie der Wahl sind bei fokalen Formen lokale Injektionen von Botulinumtoxin in die dystonen Muskeln und bei multisegmentalen, generalisierten oder therapierefraktären Formen eine Tiefenhirnstimulation des Globus pallidus internus. Beide Therapien führen meist zu einer deutlichen Besserung der dystonen Symptome, einer Linderung der funktionellen Einschränkungen und einer Verbesserung der Lebensqualität. Orale Medikamente haben nur einen geringen Effekt bei ungünstigem Nebenwirkungsprofil und werden nur selten eingesetzt. Begleitend werden Physiotherapie und muskelentspannende Therapien empfohlen, aber der Nachweis für die Wirksamkeit dieser Therapien steht noch aus. Bessere Kenntnisse von Neurologen und Ärzten anderer Fachrichtungen können zu einer früheren Diagnosestellung und effektiveren Therapie von Dystonie-Patienten führen. Ein intensiveres Interesse der Ärzteschaft an diesem Krankheitsbild und eine zunehmende Anzahl an Behandlern und Behandlungszentren können die Versorgung dieser Patienten verbessern.

Abstract

The latency between the onset and the diagnosis of primary dystonia is several years. The diagnosis of primary dystonia is challenging due to the rarity of the disease, the variability of clinical symptoms, the abstractness of the MDS diagnostic criteria and the clinical overlap with other movement disorders. This article provides an overview on the clinical phenotypes, the pathophysiology and the therapy of primary dystonias. It is intended to be a valuable source of information for beginners and non-movement disorders specialists.

This article presents the 2013 revision of the MDS diagnostic criteria for dystonia and the most relevant clinical phenotypes. Dystonias are pathophysiologically characterized by disinhibition and maladaptive plasticity in sensorimotor brain networks. It is necessary to distinguish dystonia from other movement disorders. Asymmetric dystonic posturing of the arms may in particular be an early symptom of idiopathic Parkinson’s disease.

Dystonia patients often suffer from functional deficits, pain and social stigma, all of which reduce their quality of life. The therapy of choice in focal dystonia are local injections of botulinum dystonic symptoms and improve function and the quality of life. Oral medications such as anticholinergics are rarely used due to limited efficacy and significant side effects. Supportive therapies such as physiotherapy and muscle relaxation are recommended, but are not evidence-based.

Better education of neurologists and other doctors may allow earlier diagnosis and better therapy of dystonia. A broader interest and an increasing number of treatment centers will improve the management of patients with dystonia in the future.