Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/a-1173-9225
Unterstützungsbedarf und -möglichkeiten für Hausärzte in der Versorgung von Patienten mit komplexem Bedarf: Eine Fragebogenerhebung Berliner Hausärzte
Support for General Practitioners in the Care of Patients with Complex Needs: A Questionnaire Survey of General Practitioners in BerlinZusammenfassung
Ziel Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung werden zukünftig Versorgungsmodelle wichtig, die Hausärzte in der Versorgung von Patienten mit komplexem Bedarf unterstützen können. Die vorliegende Fragebogenstudie untersucht, welche Formen der Unterstützung sich Berliner Hausärzte wünschen.
Methodik Alle niedergelassenen Hausärzte Berlins (n=2354) wurden im Zeitraum August bis September 2018 postalisch gebeten, einen für die Fragestellung entwickelten Fragebogen auszufüllen. Die Fragen adressierten den Unterstützungsbedarf sowie verschiedene Unterstützungsmodelle. Es wurde zwischen Unterstützungsmöglichkeiten innerhalb (Delegation, Substitution) und außerhalb (Sozialarbeiter, Versorgungslotsen, Pflegestützpunkt) von Hausarztpraxen differenziert. Die Auswertung erfolgte deskriptiv, sowie explorativ multivariat in Bezug auf Zusammenhänge zwischen der Zustimmung zu Unterstützungsmodellen und Praxis- bzw. Arztcharakteristika (Alter, Geschlecht der Ärzte, Lage der Praxis, Praxisform, Arbeitszeit).
Ergebnisse 557 Fragebögen (Response Rate 23,7%) wurden ausgewertet. Unterstützungsbedarf wurde v. a. für administrative, koordinative und organisatorische Tätigkeiten gesehen sowie für soziale und sozialrechtliche Fragestellungen. Ein Großteil der teilnehmenden hausärztlichen Praxen steht sowohl der Delegation als auch der Substitution ärztlicher Leistungen positiv gegenüber. Darüber hinaus ist für Hausärzte auch Unterstützung außerhalb der eigenen Praxis durch Mitarbeiter eines ambulanten Pflegedienstes, eines Pflegestützpunktes, oder durch Sozialarbeiter und Versorgungslotsen vorstellbar. Insbesondere jüngere und weibliche Hausärzte sowie diejenigen, die bereits in kooperativen Praxis-Strukturen tätig sind, sind offen für kooperative Ansätze unter Einbeziehung weiterer Gesundheitsberufe.
Schlussfolgerung Es bestehen noch unzureichend genutzte Potenziale der Delegation und der Kooperation mit bestehenden Strukturen. Die hier befragten Berliner Hausärzte zeigten ein hohes Maß an Zustimmung zu Delegation und Substitution. Aber auch Gesundheitsberufe und Institutionen außerhalb der eigenen Praxis könnten die Hausärzte stärker unterstützen. Insbesondere für administrative und koordinative Tätigkeiten sowie für soziale und sozialrechtliche Fragestellungen wird Unterstützungsbedarf gesehen. In weiteren Untersuchungen sollte die Akzeptanz unter der Ärzteschaft und die Machbarkeit unterschiedlicher Modelle weiter untersucht werden.
Abstract
Objectives Because of demographic changes, new models of care are important for supporting general practitioners in the care of patients with complex needs. This study addresses the question of the type of support that is requested by general practitioners working in Berlin.
Methods All general practitioners working in Berlin (n=2354) were asked between August and September 2018 to return a questionnaire by post which has been developed for this study. Questions addressed support needs as well as support models within the practice (delegation, substitution) and outside the practice (social worker, navigator, community care points). Data were analysed descriptively and by exploratory multivariate analysis to show the influence of practice and doctor characteristics on the preference of support models (age, gender, location of the practice, type of practice, working hours).
Results A total of 557 questionnaires (response rate 23.7%) were included in the analysis. Need for support was seen particularly for administrative, coordinative and organisational tasks and for advice on social issues. The majority of the study participants approved delegation and substitution. In their view, it was conceivable to get support from professionals or institutions outside their practice, such as mobile care services, community care points, social workers or navigators. Particularly younger and female doctors working in group practices were open for cooperative care models integrating other health professions.
Conclusions There is unused potential for delegation and cooperation within existing structures. Further research should investigate the acceptance and feasibility of different support models.
Publication History
Article published online:
18 June 2020
© 2020. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
-
Literatur
-
1 United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division:
World Population Prospects: The 2017 Revision; Volume II: Demographic Profiles
(2017). https://population.un.org/wpp/Publications/Files/WPP2017_Volume-II-Demographic-Profiles.pdf;
Stand: 7.10.2019
- 2 Scheidt-Nave C, Richter S, Fuchs J. et al. Herausforderungen an die Gesundheitsforschung für eine alternde Gesellschaft am Beispiel „Multimorbidität “. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2010; 53: 441-450
- 3 Beyer M, Erler A, Gerlach FM. Ein Zukunftskonzept für die hausärztliche Versorgung in Deutschland. 1. Grundlagen und internationale Modelle. Z Allg Med 2010; 86: 93-98
-
4 0verständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.
Kurzfassung des Gutachtens 2018. Bedarfsgerechte Steuerung der
Gesundheitsversorgung. Im Internet https://www.svr-gesundheit.de/fileadmin/user_upload/Gutachten/2018/SVR-Gutachten_2018_Kurzfassung.pdf;
Stand 20.2.2020
-
5 Kassenärztliche Bundesvereinigung. Gesundheitsdaten 2018. Im
Internet: https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/17077.php;
Stand: 20.2.2020
-
6 Kassenärztliche Vereinigung Berlin. Titelthema: Allgemeinmedizin wird
attraktiver. KV-Blatt 2018;3:26-31. Im Internet: https://www.kvberlin.de/40presse/30kvblatt/2018/03/30_titelthema/kvbm.pdf;
Stand 20.2.2020
- 7 Czihal T, von Stillfried D. Konsequenzen der Flexibilisierung des Zulassungsrechts auf die Produktivität in der vertragsärztlichen Versorgung. GuS Gesundheits- und Sozialpolitik 2016; 70: 27-31
- 8 Tarrant C, Windridge K, Baker R. et al. ‘Falling through gaps’: primary care patients’ accounts of breakdowns in experienced continuity of care. Fam Pract 2015; 32: 82-87
- 9 Lang C, Gottschall M, Sauer M. et al. „Da kann man sich ja totklingeln, geht ja keiner ran“ – Schnittstellenprobleme zwischen stationärer, hausärztlicher und ambulant-fachspezialisierter Patientenversorgung aus Sicht Dresdner Hausärzte. Gesundheitswesen 2019; 81: 822-30.
- 10 Poitras M-E, Hudon C, Godbout I. et al. Decisional needs assessment of patients with complex care needs in primary care. J Eval Clin Pract 2019;
- 11 Seger W, Cibis W, Deventer A. et al. Die Zukunft der medizinisch–rehabilitativen Versorgung im Kontext der Multimorbidität – Teil I: Begriffsbestimmung, Versorgungsfragen und Herausforderungen. Gesundheitswesen 2018; 80: 12-19
- 12 Sinnott C, Mc Hugh S, Browne J. et al. GPs’ perspectives on the management of patients with multimorbidity: systematic review and synthesis of qualitative research. BMJ open 2013; 3: e003610
-
13 Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im
Gesundheitswesen: Sondergutachten 2009, Kurzfassung: Koordination und
Integration – Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des
längeren Lebens (2009). Im Internet: https://www.svr-gesundheit.de/fileadmin/user_upload/Gutachten/2009/Kurzfassung-2009.pdf
Stand: 20.2.2020
- 14 Freund T, Everett C, Griffiths P. et al. Skill mix, roles and remuneration in the primary care workforce: who are the healthcare professionals in the primary care teams across the world?. Int J Nurs Stud 2015; 52: 727-743
-
15 Bundesärztekammer: Beschlussprotokoll des 111. Deutschen
Ärztetages 2008 in Ulm. 2008. Im Internet: https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/111DAETBeschlussprotokoll200808251.pdf;
Stand: 20.2.2020
- 16 Mergenthal K, Leifermann M, Beyer M. et al. Delegation hausärztlicher Tätigkeiten an qualifiziertes medizinisches Fachpersonal in Deutschland – eine Übersicht. Gesundheitswesen 2016; 78: e62-e8.
- 17 Mergenthal K, Güthlin C, Beyer M. et al. Wie bewerten und akzeptieren Patienten die Betreuung durch Medizinische Fachangestellte in der Hausarztpraxis? Ergebnisse einer Patienten-Befragung in der HzV in Baden-Württemberg. Gesundheitswesen 2018; 80: 1077-83.
-
18 Dini L, Miralles J, Heintze C. Delegation in der Hausarztpraxis.
Ergebnisse einer Befragung von Hausärztinnen und Hausärzten in
Nordrhein-Westfalen. Eine Studie im Auftrag des LZG.NRW. 2018; Im
Internet: https://www.lzg.nrw.de/_php/login/dl.php?u = /_media/pdf/
service/Pub/2018_df/befragung_delegation_hausaerztl_taetigkeiten.
pdf; Stand: 20.2.2020
- 19 Kassenärztliche Bundesvereinigung. Vereinbarung über die Delegation ärztlicher Leistungen an nichtärztliches Personal in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 28 Abs. 1 S. 3 SGB V. Dtsch Arztebl 2013; 110: 1757-1760
- 20 Dreier A, Rogalski H, Oppermann RF. et al Delegation und Substitution spezifischermedizinischer Tätigkeiten als künftiger Versorgungsansatz. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 2012; 106: 656-662
-
21 Bundesärztekammer: Beschlußprotokoll des 120.
Ärztetages (2017). Im Internet: https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/120.DAET/120DaetBeschlussProt_2017-05-26.pdf;
Stand: 20.2.2020
-
22 Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung, Hrsg.
Physician Assistant – Ein neuer Beruf im deutschen Gesundheitswesen
2017. Im Internet https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Fachberufe/Physician_Assistant.pdf
Stand: 20.2.2020
- 23 Marschall T, Hoffmann M. Eine neue Berufsgruppe kommt in der Praxis an: Erste Erkenntnisse über Einsatzgebiete, Tätigkeiten und Gehalt von Physician Assistants/Arztassistenten in Deutschland. Gesundheitswesen 2019; 81: 9-16
- 24 Freund KM, Battaglia TA, Calhoun E. et al. National Cancer Institute Patient Navigation Research Program. Cancer 2008; 113: 3391-3399
- 25 Braeseke G, Pflug C. Lotsen im Versorgungssystem – Gutachten und Ableitung konkreter Modellprojekte zu Lotsinnen und Lotsen im Versorgungssystem. 2017 Im Internet https://www.berlin.de/sen/gpg/service/publikationen/index.php/detail/18; Stand: 20.2.2020
- 26 Pedersen AF, Nørøxe KB, Vedsted P. Influence of patient multimorbidity on GP burnout: a survey and register-based study in Danish general practice. Br J Gen Pract 2020; 70: e95-e101
- 27 Schang L, Schüttig W, Sundmacher L. Unterversorgung im ländlichen Raum – Wahrnehmung der Versicherten und ihre Präferenzen für innovative Versorgungsmodelle. In: Böcken J, Braun B, Meierjürgen R, Hrsg. Gesundheitsmonitor 2016: Bürgerorientierung im Gesundheitswesen. Verlag Bertelsmann Stiftung; 2016: 58–85
-
28 Auschra C, Deisner J, Berghöfer A et al. Sicherstellung der
Gesundheitsversorgung in ländlich geprägten Regionen: Neue Organisationsmodelle
und Maßnahmen. Projektbericht in Herausgeberschaft der Stiftung Münch; Berlin.
2018; Im Internet: https://www.stiftungmuench.
org/wp-content/uploads/2019/05/Projektbericht_Sicherstellung-
Gesundheitsversorgung-Land_Nov.pdf; Stand: 20.2.2020
- 29 Tangermann U, Kleij K-S, Krauth C. et al. Hausärztliche Versorgungssituation und Einführung neuer Versorgungsformen in schwer zu versorgenden Regionen: Eine Befragung der Bevölkerung. Gesundheitswesen 2019; 81: 498-504
-
30 Schulz M, Czihal T, Bätzing-Feigenbaum J et al. Zukünftige relative
Beanspruchung von Vertragsärzten – Eine Projektion nach Fachgruppen für den
Zeitraum 2020 bis 2035. Versorgungsatlas-Bericht. Berlin. 2016; DOI:
10.20364/VA-16.02
- 31 Ulrich L, Pham T, Gerlach FM. et al. Family Health Teams in Ontario – Vorstellung eines kanadischen Primärversorgungsmodells und Anregungen für Deutschland. Gesundheitswesen 2019; 81: 492-497
- 32 Mergenthal M, Beyer M, Gerlach F. et al. Wie werden Delegationskonzepte in Hausarztpraxen ausgestaltet?. Z Allg Med 2016; 92: 402-407
- 33 Goetz K, Kornitzky A, Mahnkopf J. et al. At the dawn of delegation? Experiences and attitudes of general practitioners in Germany – a questionnaire survey. BMC Fam Pract 2017; 18: 102
-
34 Mehr Zeit für Behandlung.Vereinfachung von Verfahren und Prozessen in
Arzt- und Zahnarztpraxen. Abschlußbericht. Statistisches Bundesamt,
Wiesbaden im Auftrag des Nationalen Normenkontrollrates, Hrsg. Wiesbaden: 2015;
Im Internet https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Buerokratiekosten/Publikationen/Downloads-Buerokratiekosten/zeit-fuer-behandlung.pdf?_blob=publicationFile;
Stand: 20.2.2020
- 35 Laurant M, Harmsen M, Wollersheim H. et al. The impact of nonphysician clinicians: do they improve the quality and cost-effectiveness of health care services?. Med Care Res Rev 2009; 66: 36-89
- 36 Egidi G, Bülders S, Diederichs-Egidi H. et al. Könnte das nicht auch die MFA erledigen?. Z Allg Med 2015; 91: 517-521
- 37 Freund T, Peters-Klimm F, Boyd CM. et al. Medical Assistant-Based Care Management for High-Risk Patients in Small Primary Care Practices: A Cluster Randomized Clinical Trial. Ann Intern Med 2016; 164: 323-330
-
38 Hilienhof A. Konzept der Physician Assistants weiter umstritten.
Aerzteblatt.de 2017; Im Internet: www.aerzteblatt.de/nachrichten/79362/Konzept-der-Physician-Assistants-weiter-umstritten
Stand: 20.2.2020
-
39 Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e. V. (DBfK), Bundesvorstand:
Position des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe zu
‚Physician Assistants‘ (2017). Im Internet: https://www.dbfk.de/media/docs/download/DBfK-Positionen/Position-DBfK-zu-Physician-Assistants-2017.pdf;
Stand: 20.2.2020
- 40 Kollak I, Schmidt S. Umfrage zur Bekanntheit von Pflegestützpunkten. Case Management 2012; 3: 132-133
-
41 Kirchen-Peters S, Nock L, Baumeister P et al. Pflegestützpunkte in Deutschland
– Die Sicht der Mitarbeitenden, der rechtliche Rahmen -die politische Intention.
WISO Diskurs 2016; Im Internet: https://
library.fes.de/pdf-files/wiso/12538.pdf; Stand: 20.2.2020
-
42 Zimmermann C, Mews C, Kloppe T et al. Soziale Probleme in der hausärztlichen
Versorgung – Häufigkeit, Reaktionen, Handlungsoptionen und erwünschter
Unterstützungsbedarf aus der Sicht von Hausärztinnen und Hausärzten. Z Evid
Fortbild Qual Gesundhwes 2018; 131–132 81–89
- 43 Jobst D, Joos S. Patients’ Social Problems – a Survey in Family Practices. Z Allg Med 2014; 90: 496-501
- 44 Dini L, Sarganas G, Boostrom E. et al. German GPs’ willingness to expand roles of physician assistants: a regional survey of perceptions and informal practices influencing uptake of health reforms in primary health care. Fam Pract 2012; 29: 448-454