Nervenheilkunde 2021; 40(01/02): 62-68
DOI: 10.1055/a-1246-0550
Geist & Gehirn

Zur Psychiatrie von Corona

Klinischer Alltag, Psychopathologie, Long-Covid, Impfen, Demonstrationen und gedrückte Stimmung
Manfred Spitzer

Die Lage der Welt ist derzeit bestimmt durch eine globale Pandemie, die zwar vor allem den Respirationstrakt betrifft, aber auch die Psychiater und Neurologen beschäftigt. Denn der Erreger SARS-CoV-2 befällt auch Leber, Nieren, Pankreas und das Gehirn, wie man schon seit Sommer 2020 nicht zuletzt aufgrund von Autopsien weiß [4], [8], [19]. Diese hatten aber auch gezeigt, dass das Virus nur in 20–30 % der Fälle überhaupt im Gehirn nachweisbar war, was nicht zur klinischen Häufigkeit von Zeichen der ZNS-Beteiligung (Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Geruchsstörungen) von bis zu 85 % bei symptomatischen Patienten passte. Eine kürzlich im Fachblatt Nature Medicine publizierte Studie konnte jedoch im Mausmodell mit Hilfe der radioaktiv markierten S1-Untereinheit des Coronavirus-Spike-Proteins, das intravenös verabreicht worden war, dessen Gehirngängigkeit nachweisen. Im Gegensatz zum Virus passiert dieses Protein also die Blut-Hirn-Schranke und findet sich in allen 11 untersuchten Regionen des Gehirns, wo es toxische Effekte haben und funktionseinschränkend wirken kann. Die Autoren schreiben: „Coronavirus-Spike-Proteine werden oft durch Proteasen der Wirtszelle vom Virus abgespalten. Einmal gespalten, sind die Coronavirus-Spike-Untereinheiten S1 und S2 nicht mehr kovalent durch Disulfid-Brücken gehalten, sodass S1 sich von den Viruspartikeln trennt. Es besteht daher die Möglichkeit, dass S1-Untereinheiten während einer Infektion mit SARS-CoV-2 die Blut-Hirn-Schranke überwinden und im Gehirn pathologische Reaktionen auslösen, ohne dass intakte Viruspartikel ins Gehirn gelangt sind“ [11].



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
04. Februar 2021

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