Nervenheilkunde 2021; 40(06): 463-467
DOI: 10.1055/a-1389-6495
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

Monoklonale CGRP-Rezeptorantikörper lindern IIH-assoziierten Kopfschmerz

* Yiangou A, Mitchell JL, Vijay V, et al. Calcitonin gene-related peptide monoclonal antibody treats headache in patients with active idiopathic intracranial hypertension. J Headache Pain 2020; 21: 116

Hintergrund

Kopfschmerz ist eines der prominentesten Symptome bei der idiopathischen intrakraniellen Hypertension (IIH). Dabei kann das klinische Bild der Kopfschmerzen sehr variieren, in den meisten Fällen hat der Kopfschmerz jedoch einen migräneartigen Charakter und kann von der chronischen Migräne schwer zu unterscheiden sein. Hinzu kommt, dass der Kopfschmerz trotz effektiver Behandlung der IIH in der Mehrzahl der Fälle langfristig persistiert. Der dem IIH-assoziiertem Kopfschmerz zugrunde liegende Pathomechanismus ist weitgehend unklar und zur effektiven prophylaktischen Behandlung der Schmerzen, insbesondere nach Normalisierung des Liquordrucks, ist wenig bekannt.


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Zusammenfassung

Yiangou et al. berichten von 7 Patienten mit gesicherter Diagnose einer IIH, deren Kopfschmerz nach Normalisierung des Liquordrucks und kompletter Remission des Papillenödems persistierte. Bei allen Patienten hatte der Kopfschmerz einen migräneartigen Phänotyp und diverse Migräneprophylaktika, die im Vorfeld verwendet wurden, waren alle wirkungslos oder wurden nicht vertragen. Im Rahmen des Free-of-charge-Scheme von Novartis, das Patienten mit der Diagnose einer chronischen Migräne in Großbritannien ermöglichte, kostenlos mit dem monoklonalen CGRP-Rezeptorantikörper Erenumab behandelt zu werden, wurden in dieser Fallserie 7 IIH Patienten für mindestens 3 Monate mit Erenumab behandelt. Bei allen Patienten zeigte sich eine deutliche Reduktion der Kopfschmerzfrequenz sowie eine diskrete Verbesserung des HIT-6-Score. Die Besserung der Kopfschmerzen hielt auch im Falle einer erneuten Zunahme des Liquordrucks mit resultierendem Papillödem an.


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Kommentar

Der Kopfschmerz bei IIH hat häufig einen migränartigen Phänotyp. Hinzu kommt, dass IIH-Patienten oft zusätzlich unter Migräne leiden. Dabei kann die Abgrenzung von Migräne- vs. IIH-assoziiertem Kopfschmerz sehr schwierig sein. Pathophysiologisch ist bei diesen Patienten denkbar, dass der Kopfschmerz entweder durch eine direkte Wirkung des erhöhten Liquordrucks, durch eine druckbedingte Exazerbation einer vorbestehenden Migräne oder durch eine druckbedingte De-novo-Präsentation einer klinisch inapparenten Migräne entsteht. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der IIH-assoziierte Kopfschmerz auf ein komplexes Geschehen zurückzuführen ist, da der Kopfschmerz in den meisten Fällen nach Normalisierung des Liquordrucks persistiert und somit eine ausschließlich druckbedingte Genese der Kopfschmerzen unwahrscheinlich ist.

Vor diesem Hintergrund ist die Studie von Yiangou et al. aus zahlreichen Gründen problematisch. Die Teilnahme am Free-of-charge-Scheme setzte voraus, dass die Patienten eine gesicherte Diagnose einer chronischen Migräne hatten. Damit ist unmöglich zu sagen, ob die beobachtete Besserung der Kopfschmerzen während der Erenumab-Behandlung lediglich auf eine Besserung der zusätzlich vorliegenden und möglicherweise IIH-unabhängigen Migräne, auf eine Besserung der IIH-bedingt aggravierten Migräne oder tatsächlich auf die Besserung eines direkt druckbedingten Kopfschmerzes zurückzuführen ist. Leider ist die Beschreibung des Kopfschmerzphänotyps in der Fallserie nur rudimentär beschrieben. Insgesamt liefern die Beobachtungen der Fallserie daher weder aus klinischer noch aus pathophysiologischer Sicht brauchbare Erkenntnisse, denn dass Erenumab bei Migräne hilft, ist bekannt. Die Kernfrage wäre gewesen, ob Erenumab IIH-assoziierten Kopfschmerz ohne vorbestehende Migräne und ohne migräneartigen Phänotyp bessert. Dies haben die Autoren nicht untersucht. Die Autoren schließen aus ihren Beobachtungen, dass CGRP möglicherweise eine Rolle bei druckbedingten Kopfschmerzen spielt. Aus den Beobachtungen dieser Fallserie kann ein solcher Schluss nicht gezogen werden. Leider ist die Beschreibung der Kopfschmerzen sowie der Vorbehandlungen nur sehr rudimentär. Erstaunlich ist auch, dass diese Fallserie offenbar ohne geeignetes Ethikvotum durchgeführt wurde. Dieses wäre aber erforderlich, da man Erenumab den 7 Patienten offenbar primär unter der Vorstellung einer Behandlung von IIH-assoziierten Kopfschmerzen verabreicht hat, um anschließend die Wirkung auf vorab definierte und auf IIH zugeschnittene Zielkriterien zu untersuchen.

Zusammenfassend liefert die Fallserie keine klinischen oder pathophysiologischen Erkenntnisse. Auch die Schlussfolgerungen in Bezug auf eine mögliche Rolle von CGRP bei IIH sind in keiner Weise haltbar. Damit erweckt die Fallserie den Eindruck, dass es eher um das sehr oberflächliche Fischen nach neuen Indikationen ging, als um die sorgfältige Klärung eines klinischen Sachverhalts.

Jan Hoffmann, London


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Publication History

Article published online:
02 June 2021

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