Nervenheilkunde 2021; 40(06): 463-467
DOI: 10.1055/a-1389-6495
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

 

Monoklonale CGRP-Rezeptorantikörper lindern IIH-assoziierten Kopfschmerz

* Yiangou A, Mitchell JL, Vijay V, et al. Calcitonin gene-related peptide monoclonal antibody treats headache in patients with active idiopathic intracranial hypertension. J Headache Pain 2020; 21: 116

Hintergrund

Kopfschmerz ist eines der prominentesten Symptome bei der idiopathischen intrakraniellen Hypertension (IIH). Dabei kann das klinische Bild der Kopfschmerzen sehr variieren, in den meisten Fällen hat der Kopfschmerz jedoch einen migräneartigen Charakter und kann von der chronischen Migräne schwer zu unterscheiden sein. Hinzu kommt, dass der Kopfschmerz trotz effektiver Behandlung der IIH in der Mehrzahl der Fälle langfristig persistiert. Der dem IIH-assoziiertem Kopfschmerz zugrunde liegende Pathomechanismus ist weitgehend unklar und zur effektiven prophylaktischen Behandlung der Schmerzen, insbesondere nach Normalisierung des Liquordrucks, ist wenig bekannt.


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Zusammenfassung

Yiangou et al. berichten von 7 Patienten mit gesicherter Diagnose einer IIH, deren Kopfschmerz nach Normalisierung des Liquordrucks und kompletter Remission des Papillenödems persistierte. Bei allen Patienten hatte der Kopfschmerz einen migräneartigen Phänotyp und diverse Migräneprophylaktika, die im Vorfeld verwendet wurden, waren alle wirkungslos oder wurden nicht vertragen. Im Rahmen des Free-of-charge-Scheme von Novartis, das Patienten mit der Diagnose einer chronischen Migräne in Großbritannien ermöglichte, kostenlos mit dem monoklonalen CGRP-Rezeptorantikörper Erenumab behandelt zu werden, wurden in dieser Fallserie 7 IIH Patienten für mindestens 3 Monate mit Erenumab behandelt. Bei allen Patienten zeigte sich eine deutliche Reduktion der Kopfschmerzfrequenz sowie eine diskrete Verbesserung des HIT-6-Score. Die Besserung der Kopfschmerzen hielt auch im Falle einer erneuten Zunahme des Liquordrucks mit resultierendem Papillödem an.


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Kommentar

Der Kopfschmerz bei IIH hat häufig einen migränartigen Phänotyp. Hinzu kommt, dass IIH-Patienten oft zusätzlich unter Migräne leiden. Dabei kann die Abgrenzung von Migräne- vs. IIH-assoziiertem Kopfschmerz sehr schwierig sein. Pathophysiologisch ist bei diesen Patienten denkbar, dass der Kopfschmerz entweder durch eine direkte Wirkung des erhöhten Liquordrucks, durch eine druckbedingte Exazerbation einer vorbestehenden Migräne oder durch eine druckbedingte De-novo-Präsentation einer klinisch inapparenten Migräne entsteht. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der IIH-assoziierte Kopfschmerz auf ein komplexes Geschehen zurückzuführen ist, da der Kopfschmerz in den meisten Fällen nach Normalisierung des Liquordrucks persistiert und somit eine ausschließlich druckbedingte Genese der Kopfschmerzen unwahrscheinlich ist.

Vor diesem Hintergrund ist die Studie von Yiangou et al. aus zahlreichen Gründen problematisch. Die Teilnahme am Free-of-charge-Scheme setzte voraus, dass die Patienten eine gesicherte Diagnose einer chronischen Migräne hatten. Damit ist unmöglich zu sagen, ob die beobachtete Besserung der Kopfschmerzen während der Erenumab-Behandlung lediglich auf eine Besserung der zusätzlich vorliegenden und möglicherweise IIH-unabhängigen Migräne, auf eine Besserung der IIH-bedingt aggravierten Migräne oder tatsächlich auf die Besserung eines direkt druckbedingten Kopfschmerzes zurückzuführen ist. Leider ist die Beschreibung des Kopfschmerzphänotyps in der Fallserie nur rudimentär beschrieben. Insgesamt liefern die Beobachtungen der Fallserie daher weder aus klinischer noch aus pathophysiologischer Sicht brauchbare Erkenntnisse, denn dass Erenumab bei Migräne hilft, ist bekannt. Die Kernfrage wäre gewesen, ob Erenumab IIH-assoziierten Kopfschmerz ohne vorbestehende Migräne und ohne migräneartigen Phänotyp bessert. Dies haben die Autoren nicht untersucht. Die Autoren schließen aus ihren Beobachtungen, dass CGRP möglicherweise eine Rolle bei druckbedingten Kopfschmerzen spielt. Aus den Beobachtungen dieser Fallserie kann ein solcher Schluss nicht gezogen werden. Leider ist die Beschreibung der Kopfschmerzen sowie der Vorbehandlungen nur sehr rudimentär. Erstaunlich ist auch, dass diese Fallserie offenbar ohne geeignetes Ethikvotum durchgeführt wurde. Dieses wäre aber erforderlich, da man Erenumab den 7 Patienten offenbar primär unter der Vorstellung einer Behandlung von IIH-assoziierten Kopfschmerzen verabreicht hat, um anschließend die Wirkung auf vorab definierte und auf IIH zugeschnittene Zielkriterien zu untersuchen.

Zusammenfassend liefert die Fallserie keine klinischen oder pathophysiologischen Erkenntnisse. Auch die Schlussfolgerungen in Bezug auf eine mögliche Rolle von CGRP bei IIH sind in keiner Weise haltbar. Damit erweckt die Fallserie den Eindruck, dass es eher um das sehr oberflächliche Fischen nach neuen Indikationen ging, als um die sorgfältige Klärung eines klinischen Sachverhalts.

Jan Hoffmann, London


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Konsistenz der Wirkung von Lasmiditan zur Akuttherapie der Migräne

**** Ashina M, Reuter U, Smith T, et al. Randomized, controlled trial of lasmiditan over four migraine attacks: Findings from the CENTURION study. Cephalalgia 2021. doi: 10.1177/0333102421989232

Randomisierte, kontrollierte Studie zur Behandlung von 4 Migräneattacken mit Lasmiditan: Ergebnisse der Centurion-Studie.

Zusammenfassung

Der Wert einer akuten Migränetherapie ergibt sich nicht nur aus einer raschen und anhaltenden Wirksamkeit, sondern auch aus dem konsistenten Ansprechen der Attacken. Lasmiditan ist ein selektiver Serotonin-1F(5-HT 1 F)-Rezeptoragonist (ein Ditan), der von der FDA unter dem Namen Reyvow® für die Akuttherapie der Migräne mit und ohne Aura zugelassen ist. In der CENTURION-Studie, einer Phase-III-Studie, sollte das Ansprechen einer ersten Migräneattacke auf Lasmiditan und die Konsistenz des Ansprechens weiterer nachfolgender Attacken untersucht werden. Es handelt sich um eine multizentrische randomisierte placebokontrollierte doppelblinde Studie, die in Europa, Nordamerika und Asien durchgeführt wurde. Einschlusskriterien waren Migräne mit oder ohne Aura für mehr als ein Jahr, MIDAS Score ≥ 11, 3–8 Migräneattacken pro Monat, aber weniger als 15 Migränetage pro Monat. Patienten mit vaskulären Risikofaktoren (ausgenommen Zustand nach hämorrhagischem Schlaganfall) konnten in die Studie eingeschlossen werden. Die Patienten wurden für die Behandlung vierer Migräneattacken zu gleichen Teilen in die folgenden Gruppen randomisiert: Lasmiditan 100 mg, Lasmiditan 200 mg, Placebo für 3 Attacken und Lasmiditan 50 mg für die 3. oder 4. Attacke. Die Patienten wurden über das genaue Randomisierungsschema nicht informiert, jedoch darüber, dass niemand ausschließlich Placebo für alle Attacken bekommen würde. Die Patienten sollten die Studienmedikation innert 4 Stunden nach Beginn einer zumindest mittelschweren Attacke einnehmen, sofern sie noch keine anderen Medikamente genommen hatten. Die Behandlungsperiode endete nachdem 4 Attacken behandelt wurden oder nach 4 Monaten, je nachdem was früher eintrat. Es wurden folgende primären Endpunkte gewählt: Anteil der Patienten mit Schmerzfreiheit nach 2 h in der ersten Attacke und um die Konsistenz des Ansprechens zu messen, wurde der Anteil der Patienten mit Schmerzfreiheit nach 2 Stunden bei mindestens 2 von 3 weiteren Attacken bestimmt. Sekundäre Endpunkte inkludierten die Besserung der Schmerzen nach 1 und 2 h und anhaltende Schmerzfreiheit nach 24 und 48 h. Die Studienendpunkte wurden mittels eines elektronischen Tagebuchs erfasst, Nebenwirkungen sollten auf Papier dokumentiert werden. Es wurden 1613 Patienten randomisiert, von 1471 Patienten konnten Wirksamkeitsdaten zur ersten Attacke ausgewertet werden. Für beide Lasmiditan-Dosen wurden die primären und sekundären Endpunkte erreicht. Im Vergleich zu Placebo wurden unter der 100-mg-Dosis um 17,4 % mehr schmerzfrei als unter Placebo (therapeutic gain), unter der 200-mg-Dosis 20,9 %. Der Benefit im Vergleich zu Placebo war nach 6 h am größten. 24 h nach Medikamenteneinnahme waren in der 100-mg-Lasmiditan-Gruppe 13,6 % anhaltend schmerzfrei, in der 200-mg-Gruppe 17,3 %, unter Placebo 4,3 %. Die Konsistenz des therapeutischen Ansprechens (Schmerzfreiheit nach 2 h bei mindestens 2 von 3 Attacken) war unter beiden Lasmiditan-Dosen größer als unter Placebo (100 mg: 14,4 %, 200 mg 24,4 %, Placebo 4,3 %). Nach der ersten Attacke gaben 53 % der Teilnehmenden unter Lasmiditan 100 mg, 61 % unter Lasmiditan 200 mg und 22 % unter Placebo Nebenwirkungen an. Die häufigsten Nebenwirkungen waren: Schwindel (bis 26 % der Patienten), Parästhesien, Fatigue, Übelkeit, Somnolenz und Hypästhesie, wobei das Auftreten nach der ersten Attacke am häufigsten war. Die Autoren schlussfolgern, dass die Studie einen früh einsetzenden, lange anhaltenden und über die Attacken konsistenten Effekt von Lasmiditan zeigt.


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Kommentar

Nach der SPARTAN- und SAMURAI-Studie ist dies die dritte Phase-III-Studie zu Lasmiditan in der Akuttherapie der Migräne, hier mit besonderem Fokus auf die klinisch wichtige Konsistenz der Wirkung, die adäquat gezeigt werden konnte. Im Vergleich zu Triptanen dürfte der hauptsächliche Vorteil von Lasmiditan die Einsetzbarkeit bei Patienten mit vaskulären Risikofaktoren oder Erkrankungen oder bei Patienten mit fehlendem Ansprechen auf Triptane sein. Diesbezüglich sind weitere Informationen in Folgepublikationen zu erwarten. Die Wirksamkeit gemessen an der Schmerzfreiheit nach 2 h und anhaltende Wirkung ausgewiesen durch die anhaltende Schmerzfreiheit nach 24 h scheinen eher geringer als unter Triptanen [1], wobei die Studien nicht direkt vergleichbar sind. In den beiden früheren Lasmiditan-Studien der Phase III war der Unterschied zu Placebo hinsichtlich Schmerzfreiheit nach 2 h etwas geringer als in der vorliegenden, wobei hier der Placebo-Effekt etwas größer war [2], [3]. Zentralnervöse Nebenwirkungen wie Schwindel, Fatigue, Somnolenz oder Parästhesien, welche durch die Lipophilie erklärbar sind, könnten in der Praxis eine Rolle spielen, wobei Nebenwirkungen nach der ersten Dosis am häufigsten auftraten. Unter Lasmiditan konnte tierexperimentell eine latente Sensitivierung im trigeminalen System gezeigt werden, weshalb davon auszugehen ist, dass es unter Lasmitidtan ähnlich wie bei anderen Substanzen zur Akuttherapie der Migräne wahrscheinlich bei zu häufiger Anwendung zu einem Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch kommen kann [4].

Zusammenfassend besteht die Hoffnung, dass Lasmiditan ein Therapeutikum bei Migräne-Patienten mit Kontraindikationen gegen Triptane oder fehlender Wirkung von Triptanen sein könnte.

Franz Riederer, Wien


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Primäre Kopfschmerzen und regelmäßiges Frühstück bei Studierenden

*** Mansouri M, Sharifi F, Shokri A, et al. Breakfast consumption is inversely associated with primary headaches in university students: The MEPHASOUS study. Complement Ther Med 2021. doi: 10.1016/j.ctim.2021.102663

Hintergrund

Studierende haben häufig eine unregelmäßige Nahrungsaufnahme und lassen Mahlzeiten aus. Sie essen vermehrt Fast- und Junkfood, dafür weniger Obst und Gemüse. Da bei Studierenden die Zusammenhänge mit Kopfschmerzen wenig untersucht sind, haben die Autoren sich dieser Fragestellung in einer großen Stichprobe iranischer Studierender angenommen.


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Zusammenfassung

Im Rahmen der querschnittlich angelegten MEPHASOUS-Studie (Mental and physical health assessment of university students) wurden über 80 000 Studierende im Iran zu vielfältigen gesundheitlichen Aspekten, medizinischen Faktoren und demografischen Variablen befragt. Die Studierenden waren bei 74 Universitäten eingeschrieben und verteilten sich über 28 Provinzen im Iran. Das generelle Essverhalten wurde über einen Fragebogen erfasst. Zur Regelmäßigkeit der Frühstücksaufnahme konnten die Teilnehmer „ < 1x pro Woche“, „1–2x pro Woche“ „3–4x pro Woche“ oder „≥ 5x pro Woche“ auswählen. Eine Einnahme von weniger als 5 Frühstücken wurde als unregelmäßiges Frühstücken klassifiziert (ca. 46 % der Teilnehmer). Wenn die Frage nach Kopfschmerzen, die nicht als sekundär angesehen werden konnten (z. B. bei Erkältung, Fieber, anderen Erkrankungen), bejaht wurde, erfolgte eine Weiterleitung an einen Allgemeinarzt. Dieser beurteilte die Kopfschmerzen dann nach den ICHD-3-Kritierien (ca. 9 % der Teilnehmer). Das Auftreten primärer Kopfschmerzen lag bei einer Frühstücksaufnahme von „< 1x pro Woche“ bei 13 % und nahm über die Kategorien bis hin zu „≥ 5x pro Woche“ auf 8 % ab. Die Gruppe der regelmäßig frühstückenden unterschied sich im Vergleich zu den unregelmäßig frühstückenden Studierenden in verschiedenen Variablen: häufiger weiblich, häufiger verheiratet, mehr körperliche Aktivität, mehr Bluthochdruck, mehr regelmäßiger Schlaf, bessere wirtschaftliche Verhältnisse. Es gab in der Gruppe auch weniger Raucher, weniger Übergewicht und weniger Benutzung elektronischer Geräte. Bis auf den Bluthochdruck, waren bei regelmäßigen Frühstückern überwiegend eine bessere Ausprägung in protektiven Variablen zu finden. Mittels logistischer Regression konnten die Autoren zeigen, dass regelmäßiges Frühstücken mit einen geringen Odds Ratio (OR = 0,57) für das Auftreten primärer Kopfschmerzen zusammenhing, diese Beziehung blieb auch nach Kontrolle weitere Variablen bestehen. Nach Geschlecht bzw. nach Body Mass Index (< 25 kg/m2 vs. ≥ 25 kg/m2) getrennte logistische Regressionen ergaben, dass nach der Kontrolle weiterer Variablen der Zusammenhang nur für weibliche bzw. normalgewichtige Studierende bestehen blieb, nicht aber für männliche bzw. übergewichtige Studierende.


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Kommentar

In der Studie konnte aufgezeigt werden, dass die unregelmäßige Einnahme von Frühstück (weniger als 5 Tage pro Woche) mit einer höheren Rate an primären Kopfschmerzen zusammenhing, die umso höher ausfiel, je seltener gefrühstückt wurde. Ein Pluspunkt der Studie ist neben der Stichprobengröße, dass primäre Kopfschmerzen von einen Arzt nach den ICHD-3-Kriterien diagnostiziert wurden, wenn Studierende Kopfschmerzen angaben. Hervorzuheben ist die bezüglich wesentlicher Variablen (Geschlecht, Gewicht) relativ heterogene Stichprobe. Natürlich lässt sich einwenden, es handele sich nur um Studierende; dies hat aber auch den Vorteil, dass Tagesablauf, Alter, etc. wiederum vergleichbarer sind. Es lassen sich keine Aussagen treffen, ob die Art des primären Kopfschmerzes eine Rolle spielt oder ob Attackenhäufigkeit und -dauer einen Einfluss haben, da dies nicht erfasst wurde. Wie bei querschnittlichen Studien üblich, lässt sich die Henne-Ei-Frage nicht beantworten. Die Autoren bringen verschiedene physiologische Erklärungen, die den Zusammenhang erklären könnten. Es fehlen noch psychologische Erklärungen, wobei natürlich unter Studierenden Stress ein wichtiger Faktor sein könnte. Hier wäre ein bidirektionaler Zusammenhang mit der Regelmäßigkeit des Frühstückens anzunehmen.

Auch wenn, wie in früheren Studien schon gezeigt, das Auslassen von Mahlzeiten einen wesentlichen Auslöser von Kopfschmerzen darstellt, lässt sich aus dieser Studie mitnehmen, dass es diesen Zusammenhang auch speziell bei weiblichen Studierenden gibt. Aus einer psychoedukativen Sicht sollte gerade bei normalgewichtigen Studentinnen mit primären Kopfschmerzen auf eine regelmäßige Frühstückeinnahme hingewiesen werden.

Thomas Dresler, Tübingen


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Patienten mit Migräne: erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Geräuschen – auch zwischen den Attacken

**** Vilà-Balló A, Marti-Marca A, Torres-Ferrús M, et al. Neurophysiological correlates of abnormal auditory processing in episodic migraine during the interictal period. Cephalalgia 2021; 41(1): 45–57

Neurophysiologische Korrelate abnormer auditorischer Verarbeitung bei Patienten mit Migräne interiktal.

Zusammenfassung

Migräne ist mit einer verstärkten sensorischen Verarbeitung verbunden. Als mögliche Ursache wird eine thalamokortikale Dysrhythmie diskutiert. Die hier besprochene Arbeit untersucht die auditorische Reizverarbeitung in einer doppelblinden Fall-Kontroll-Studie. 21 Patientinnen mit episodischer Migräne wurden eingeschlossen, durchschnittlich 22,9 ± 2,0 Jahre alt und mit Migräne an 4,4 ± 2,9 Tagen im Monat. Die Kontrollgruppe beinhaltete 21 gesunde, altersangepasste Frauen. In einem auditiven Odd-ball-Design erhielten die Teilnehmer repetitive Töne: Standardreize und 2 Arten von weniger häufigen Tönen, Zielreize und neue Reize. Die Teilnehmer wurden angewiesen, nur auf Zielreize zu reagieren. Parallel wurde ein 20-Kanal-EEG aufgezeichnet und ereigniskorrelierte Potenziale (EKP) abgeleitet, Aufmerksamkeit sowie Verhalten wurden erfasst. Zusätzlich erfolgte eine Power-Analyse, welche die Menge an zeitgleich aktivierten Neuronen abbildet. Die Phasensynchronisation als Marker funktioneller Kopplung wurde ebenso untersucht. In der Verhaltensanalyse konnten keine signifikanten Unterschiede in Reaktionszeit (p = 0,117), Anzahl der verpassten Zielreize (p = 0,616) und Anzahl an inkorrekt erkannten Tönen (p = 0,312) zwischen den 2 Gruppen gezeigt werden.

In der Auswertung der EKPs repetitiver auditorischer Stimuli ließ sich lediglich ein Trend zur vergrößerten N1-Amplitude bei Patientinnen mit Migräne abbilden. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass Umweltreize bei Patientinnen mit Migräne intensiver wahrgenommen werden. Gruppenunterschiede im Habituationsmuster wurden nicht identifiziert. Patientinnen mit Migräne zeigten nach Tonstimulation eine signifikant verstärkte Theta-Phasensynchronisation im Vergleich zu Gesunden, was einer erhöhten Reaktion auf auditive Reize entspricht. Neue auditive Stimuli wurden von Patientinnen und Kontrollen ähnlich erfasst, was anhand der mismatch negativity (MMN)-EKPs gezeigt wurde. Allerdings zeigten Patientinnen mit Migräne sowohl für Ziel- als auch für Ablenkungsgeräusche einen Trend für reduzierte reorienting negativity (RON)-EKPs. Eine reduzierte RON weist auf die Schwierigkeit, sich von einer Ablenkung loszureißen und sich erneut auf die Aufgabe zurück zu orientieren, hin. Die Reaktion von Patienten auf neue Geräusche zeichnete sich durch einen Trend für ein reduziertes frühes Potenzial P3a und ein verstärktes spätes P3a aus. Das frühe P3a bildet die reduzierte postsensorische Reaktion ab und das späte P3a die Kompensation durch verstärkte Aufmerksamkeitsressourcen. Ein 2-gipfliges P3a wird als Hinweis auf ein geringeres Konzentrationsvermögen diskutiert. Als wichtigste Erkenntnisse der Studie nennen die Autoren, dass es bei Patientinnen mit Migräne zur verstärkten Wahrnehmung von auditorischen Stimuli kommt und eine verminderte kognitive Flexibilität, im Sinne einer erschwerten Rückorientierung auf eine Aufgabe nach Ablenkung, vorliegt. Außerdem wird die Anwesenheit verstärkter Theta-Oszillationen in den thalamischen Strukturen als Bestätigung der Hypothese der thalamokortikalen Dysrhythmie diskutiert.


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Kommentar

Diese Studie liefert einen Beitrag zur neurophysiologischen Untermauerung der klinisch beobachteten Hypersensitivität bei Patienten mit Migräne. Dabei ist insbesondere die verstärkte Theta-Phasensynchronisation nach einem Tonreiz bei Patientinnen mit Migräne im Vergleich zu Gesunden ein deutlicher Befund. Die weiteren Ergebnisse erscheinen statistisch weniger deutlich (lediglich Trends zur Signifikanz). Hier kann jedoch wie von den Autoren selbst als Limitation berichtet, die Gruppengröße und Zusammensetzung der Patientengruppe als mögliche Ursache angeführt werden. Es handelte sich um junge Patientinnen mit Migräne ohne Aura und relativ niedriger Migränefrequenz. Unterschiede der Verarbeitung sensorischer Reize sind bei Patienten mit Migräne mit Aura weitaus deutlicher. Ebenso zeigen Studien, dass Patienten mit häufigen Migräneattacken, wie es bei chronischer Migräne der Fall ist, eine ausgeprägtere Sensitivierung für sensorische Reize aufweisen als Patienten mit relativ seltenen Migräneattacken.

Wichtig an dieser Studie ist auch der Beitrag zum Thema Habituation bei Migräne. In dieser Studie zeigten Patienten und Kontrollen ähnliche Habituation für auditive Reize. Jedoch wurden verschiedene Reize (Ziel- und Ablenkungsgeräusche) verwendet, welches die Beurteilbarkeit der Habituationseffekte einschränken kann. In diesem Zusammenhang muss die Hypothese der thalamokortikalen Dysrhythmie, die beinhaltet, dass die Hyperreagibilität bei Migräne-Patienten auf eine fehlende Gewöhnung an sensorische Reize zurückzuführen ist, erneut diskutiert werden. Hier sind in Zukunft Studien erforderlich, die die Habituation differenzierter betrachten, Subtypen der Migräne analysieren, Komedikation oder Komorbidität, Alter und Vergleichbarkeit der Methodik berücksichtigen.

Jenny Knipping, Gudrun Goßrau, Dresden


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Zusammenhang zwischen dem Ansprechen auf die Akuttherapie mit Triptanen und dem Ansprechen auf eine Prophylaxe mit Erenumab

** Frattale I, Caponnetto V, Casalena A, et al. Association between R esponse to Triptans and Response to Erenumab: Real-Life Data. Journal of Headache and Pain 2021; 22 (1): 1. doi: 10.1186/s10194-020-01213-3

Hintergrund

Bis heute fehlen klinische Marker in der Migränetherapie, die den Erfolg einer medikamentösen Prophylaxe hervorsagen könnten, um unnötige Therapieversuche zu vermeiden. In der Entstehung der Migräne sind verschiedene Peptide als Entzündungsmediatoren involviert. Der meistdiskutierte ist sicherlich das CGRP, da es von den neuen monoklonalen Antikörpern direkt oder indirekt als Target genutzt wird in der spezifischen Prophylaxe der Migräne. Aber auch der Wirkmechanismus der Triptane führt zu einer Reduktion von CGRP. Daher liegt die Vermutung nahe, dass Patienten mit guter Triptanwirksamkeit, möglicherweise auch eher von CGRP-Antikörpern, z. B. Erenumab, profitieren könnten.


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Zusammenfassung

Frattale et al. untersuchten in der multizentrischen Beobachtungsstudie 140 Patienten aus 7 Kopfschmerzzentren in Italien mit chronischer (≥ 15 Tage/Monat) bzw. hochfrequenter (≥ 8 Tage/Monat) Migräne mit oder ohne Aura und medikamentöser Prophylaxe mit Erenumab und befragten diese hinsichtlich ihres Ansprechens auf Triptane in der Akuttherapie. Die Triptanresponse und die subjektive Verbesserung der Triptanresponse unter Erenumab wurden dabei retrospektiv mittels Telefoninterview erfragt. Als Triptan-Responder (TR) galten Patienten, die anamnestisch bei mindestens 3 Attacken innerhalb von 2 Stunden nach Triptaneinnahme kopfschmerzfrei waren. Als Erenumab-Responder (ER) galten Patienten mit einer Reduktion der durchschnittlichen Kopfschmerztage pro Monat um ≥ 50 % (3 Monate vor Beginn vs. Monat 4–6 unter Therapie mit Erenumab). Von den 140 Patienten die Erenumab erhielten, konnten 105 telefonisch nachverfolgt werden, von diesen wiederum nutzten 91 Triptane. 73 wurden als TR und 18 als Triptan-Nonresponder (TN) eingestuft. 58 galten als ER, 33 als Erenumab-Nonresponder (EN). Es ließen sich 3 Aussagen treffen: Die Odds-Ratio ER zu sein, lag für TR signifikant höher mit 3,64 (95 % CI, 1,25– 10,64, p = 0,014) verglichen mit TN. Die subjektive Triptanwirksamkeit verbesserte sich bei allen Patienten die Erenumab erhielten, unabhängig ob ER oder EN. Ein subjektives Wearing-off (Nachlassen der Triptanwirksamkeit) war ebenfalls bei allen Patienten die Erenumab erhielten gleich, unabhängig ob ER oder EN.


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Kommentar

Die Kernaussage ist, dass Patienten, die anamnestisch von einer Triptanresponse berichten, signifikant häufiger auch von Erenumab profitieren. Das wäre als klinischer Marker leicht umzusetzen, da man in der Anamnese nur nach einer grundsätzlichen Response fragen müsste, ohne weitere Graduierung. Unklar bleibt, welche Triptane wie häufig eingenommen worden vor und nach Erenumab. Außerdem wurden 14 Patienten ausgeschlossen, da diese keine Triptane nutzten. Auch hier weiß man nicht, ob diesen nie Triptane angeboten wurden oder ob diese eigentlich auch TN sind und daher keine Triptane einnahmen. Größtes Problem der Studie ist, dass die Daten retrospektiv (zu unklarem Zeitpunkt nach Einleitung der Erenumab-Prophylaxe) und nur telefonisch erhoben wurden, außerdem wird nicht klar, ob die TR aus der Zeit vor Beginn mit Erenumab oder allgemein (d. h. auch unter Erenumab) abgefragt wurde. Als prognostischer Marker wäre nur die Triptanresponse vor Erenumab nützlich. Der zweite Punkt, die Verbesserung der Wirksamkeit der Akuttherapie unter einer wirksamen Migräne-Prophylaxe, ist aber fast interessanter und bekommt zu wenig Beachtung in der Forschung. Die Verbesserung der Akuttherapie ist aber ein wichtiges Ziel und hier ist interessant zu sehen, dass diejenigen Patienten eine Besserung angaben, die keine ER waren. Allerdings wurde die Erenumab-Response an einer Verbesserung der Kopfschmerzhäufigkeit von 50 % festgemacht, sodass zu vermuten ist, dass ein Teil der EN eine gewisse Besserung von Kopfschmerzhäufigkeit und/oder –intensität hatte. Der Punkt des Wearing-off, also Nachlassen der Triptanwirksamkeit, ist schwierig zu beurteilen, da nicht bekannt ist, welche Triptane genutzt, ob diese innerhalb der Patienten auch beibehalten wurden und wie das Wearing-off hier definiert war.

Insgesamt muss man festhalten, dass hier eine gute Studienidee leider nicht stringent umgesetzt wurde, sodass viele Fragen offen bleiben. Letztlich bleibt es dabei, dass man den Beginn einer medikamentösen Therapie mit Erenumab nicht nur von der berichteten Triptanwirksamkeit abhängig machen sollte, da man trotz der guten Odds Ratio nicht übersehen darf, dass von den 18 TN, immerhin 11 ER waren.

Ozan Eren, Ruth Ruscheweyh, München


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INFORMATION

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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

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Gute experimentelle oder klinische Studie

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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de

Sie wird dabei unterstützt von Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und Kopfschmerz), PD Dr. Gudrun Goßrau, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen) und Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Clusterkopfschmerz).

Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
02. Juni 2021

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