Psychother Psychosom Med Psychol 2022; 72(12): 533-541
DOI: 10.1055/a-1913-7358
Originalarbeit

Personale Ressourcen von Jugendlichen in Ost- und Westdeutschland – Ergebnisse der KiGGS-Studie 15 und 25 Jahre nach der Wende

Personal Resources of Adolescents in Eastern and Western Germany – Results of the KiGGS Study 15 and 25 years after the German Reunification
Claudia Schmidtke
1   Abt. Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Robert Koch Institut, Berlin, Germany
2   Charité - Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin and Humboldt-Universität zu Berlin
,
Claudia Hövener
1   Abt. Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Robert Koch Institut, Berlin, Germany
,
Enno Nowossadeck
1   Abt. Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Robert Koch Institut, Berlin, Germany
,
Thomas Lampert
1   Abt. Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Robert Koch Institut, Berlin, Germany
,
Heike Hölling
1   Abt. Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Robert Koch Institut, Berlin, Germany
,
Niels Michalski
1   Abt. Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Robert Koch Institut, Berlin, Germany
› Author Affiliations

Zusammenfassung

Fragestellung Gab es über 15 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung Unterschiede in den personalen Ressourcen bei den um 1989 geborenen Kindern und Jugendlichen zwischen Ost und West? Wie haben sich die Unterschiede dieser „Wendegeneration“ in der Folge entwickelt?

Methode Daten der KiGGS-Studie aus den Jahren 2003–2006 und 2014–2017 werden genutzt, um bei 14–17-jährigen Jugendlichen der Wendegeneration die Häufigkeiten geringer personaler Ressourcen in Ost und West zu bestimmen. Es werden Querschnittsdaten zu beiden Erhebungszeitpunkten zwischen Ost und West verglichen und Längsschnittdaten verwendet, um die Kohorte im Altersverlauf zu verfolgen.

Ergebnisse 14–17-Jährige aus Ostdeutschland zeigen rund 15 Jahre nach der Wende häufiger geringere personale Ressourcen und haben eine geringere Selbstwirksamkeitserwartung als gleichaltrige Jugendliche im Westen Deutschlands. 10 Jahre später sind die Unterschiede kaum noch sichtbar und haben sich zum Teil umgekehrt. Die gefundenen Ost-West-Unterschiede lassen sich nicht durch unterschiedliche sozioökonomische Lagen der Familien in Ost und West erklären.

Fazit Die Ergebnisse zeigen, dass um 1989 geborene Jugendliche aus Familien mit DDR-Sozialisation, unabhängig vom SES, noch in den 2000er Jahren ein höheres Risiko geringerer personaler Ressourcen aufwiesen als Jugendliche aus BRD-Familien. 25 Jahre nach der Wende war dies nicht mehr erkennbar. Während die Unterschiede zwischen Ost und West im Zeitverlauf abnehmen, nimmt die Bedeutung der sozioökonomischen Lage der Familien für die personalen Ressourcen der Jugendlichen insgesamt jedoch zu und zwar zuungunsten derer mit niedrigem sozioökonomischen Status. Die Ergebnisse weisen auf die Notwendigkeit von gezielter Ressourcenstärkung bei Kindern und Jugendlichen in Phasen von Transformation und biografischen Brüchen hin.

Abstract

Questions More than 15 years after the German reunification, were there differences in the personal resources among adolescents born around 1989 between East and West? How did the differences of this generation develop?

Methods Data from the study on the health of children, adolescents and young adults in Germany (KiGGS study) from the years 2003–2006 and 2014–2017 are used to determine the prevalence of low personal resources in 14–17-year-old adolescents in Eastern and Western Germany. Cross-sectional data at both time periods are compared between East and West, and longitudinal data are used to follow the cohort over the course of age

Results Around 15 years after the German reunification, 14- to 17-year-olds from East Germany more frequently show fewer personal resources and have lower self-efficacy expectations than adolescents of the same age in West Germany. 10 years later, these differences are barely visible and have partially reversed. The east-west differences found cannot be explained by the different socio-economic situations of the families in East and West.

Discussion The results show that in the 2000s, adolescents born around 1989 from families living in Eastern Germany, showed a higher risk of having fewer personal resources than adolescents from families living in Western Germany. 25 years after the German reunification this is no longer recognizable. While the differences between East and West decrease over time, the importance of the socio-economic situation of the family for the personal resources of adolescents as a whole increases, to the detriment of those with a lower socioeconomic status. The results indicate the need for targeted interventions to strengthen psychosocial resources especially for children and adolescents in phases of transformation and biographical breaks.



Publication History

Received: 02 February 2022

Accepted: 12 April 2022

Article published online:
04 October 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

 
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