Diabetologie und Stoffwechsel 2022; 17(05): 353-356
DOI: 10.1055/a-1925-2652
DDG-Preisträger

Zentralnervöse Prozesse bei der Prävention von Typ-2-Diabetes – Ferdinand-Bertram-Preis 2022 – eine Kurzübersicht der Preisträgerin Stephanie Kullmann

Stephanie Kullmann
,
Ralf Veit

Einleitung

Nach der revolutionären Entdeckung des Insulins vor rund 100 Jahren [1] dauerte es weitere 50 Jahre, bis Insulinrezeptoren im Gehirn entdeckt wurden [2]. Seitdem haben zahlreiche Studien gezeigt, dass Insulin im Gehirn enorme Auswirkungen auf den Stoffwechsel, die Kognition und die Stimmung hat [3] [4]. Obwohl das Gehirn Glukose größtenteils insulin-unabhängig aufnimmt [5], gibt es eine Fülle von Insulinrezeptoren im Hypothalamus, sowie in kortikalen und subkortikalen Regionen. Ein charakteristisches Merkmal des Typ-2-Diabetes (T2D) ist die Insulinresistenz, die mit einer verminderten Ansprechbarkeit der Körperzellen auf Insulin, vor allem von Leber, Muskel und Fettgewebe, definiert wird. Weniger bekannt ist die zentralnervöse Insulinwirkung. Im Tiermodell konnte gezeigt werden, dass auch hier eine veränderte Insulin-Empfindlichkeit bei Adipositas und T2D zu beobachten ist [6] [7]. Die genauen neuronalen Mechanismen der zentralen Insulinwirkung und ihre Rolle in der Prävention und Therapie von T2D sind beim Menschen allerdings noch nicht ausreichend erforscht. Neben Stoffwechselstörungen kann die Insulin-Resistenz im Gehirn auch eine wichtige Rolle bei psychiatrischen und neurodegenerativen Erkrankungen spielen [8] [9]. Daher könnte die gezielte Beeinflussung der Insulin-Resistenz im Gehirn ein hohes therapeutisches Potenzial aufweisen.

Untersuchung der zentralen Insulinwirkung beim Menschen

Um zu einem besseren Verständnis der Entstehung von Insulin-Resistenz im menschlichen Gehirn und zur Entwicklung von dringend benötigten Präventionsstrategien beizutragen, konzentrieren sich unsere Forschungsansätze auf die Charakterisierung der Insulin-Resistenz des Gehirns in Personen mit Übergewicht und Prädiabetes. Dabei stützen sich unsere Studien auf verschiedene bildgebende Verfahren wie Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI) in Kombination mit zentralen oder peripheren Insulinmanipulationstechniken. In umfassenden Studien haben wir die intranasale Verabreichung von Insulin in Kombination mit bildgebenden Verfahren eingesetzt, um insulinempfindliche Hirnregionen in unterschiedlichen Risikogruppen zu identifizieren [3]. Dabei ist es möglich, zentrale von peripheren Insulinwirkungen zu trennen und die kausale Rolle der zentralen Insulinwirkung auf die Peripherie zu untersuchen. Nach der intranasalen Verabreichung gelangt Insulin in die Nasenschleimhaut und wird über die Riech- und Trigeminusbahnen in das zentrale Nervensystem (ZNS) transportiert. Somit wird der Weg über die Blut-Hirn-Schranke umgangen [10]. Mittlerweile ist die intranasale Applikation von Insulin als eine wirksame und sichere Methode [11] [12] etabliert, um die zentralnervöse Insulinwirkung zu untersuchen, ohne periphere Nebenwirkungen zu verursachen [13].


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Zentrale Insulin-Resistenz beim Menschen

Der Hypothalamus, der insbesondere den Energiehaushalt steuert, zeigt als Reaktion auf intranasales Insulin eine Abnahme des fMRI-Signals bei gesunden Probanden [14] [15]. Die zentrale Insulin-Resistenz des Gehirns beim Menschen ist durch ein Ausbleiben einer insulininduzierten Hemmung des hypothalamischen Blutflusses gekennzeichnet [14] [15]. Darüber hinaus sind spezifische Veränderungen der Aktivität und Verknüpfungen zwischen Hypothalamus, dopaminergen und präfrontalen Arealen zu beobachten [3] ([Abb. 1]). In diesem Zusammenhang zeigen Personen mit hohem viszeralem Fettgewebe keine Abnahme des Blutflusses im Hypothalamus nach intranasaler Insulinapplikation. Dies lässt auf einen Zusammenhang zwischen zentralnervöser Insulin-Resistenz und metabolisch ungünstiger abdominaler Adipositas schließen [14] [15]. Interessanterweise war diese zentrale Insulinwirkung ein signifikanter Prädiktor für die Entwicklung des Körpergewichts und die Ansammlung von viszeralem Fett neun Jahre nach einer Lebensstilintervention [15]. Dies deutet darauf hin, dass Personen mit hoher Insulin-Empfindlichkeit des Gehirns weniger Gewicht zunehmen und eine günstigere Körperfettverteilung aufweisen.

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Abb. 1 Insulin-empfindliche Areale die anhand von fMRI in Kombination mit intranasalem Insulin in gesunden Probanden identifiziert wurden. Vor allem der Hypothalamus (rot), sowie das Striatum (hellblau), die Amygdala, der Hippocampus (beides gelb), die Insula und präfrontale Areale (grün/orange) reagieren auf zentralwirkendes Insulin.

Neben dem Hypothalamus konnten wir zeigen, dass zentral verabreichtes Insulin dopaminerge und präfrontale Strukturen und Netzwerke beeinflusst [3]. In einer kürzlich durchgeführten PET-Studie bestätigt sich, dass Dopamin, der wichtigste Botenstoff für das Belohnungssystem, die zentrale Insulinwirkung im Gehirn moduliert [16]. Intranasales Insulin führte zu einer Verringerung der synaptischen Dopaminspiegel in striatalen Bereichen [16]. In ähnlicher Weise konnten wir zeigen, dass intranasales Insulin zu einer Veränderung der Aktivität in dopaminergen Verarbeitungspfaden führt [3] [16]. Bei Personen mit Insulin-Resistenz ist die Insulinwirkung dieser neuronalen Schaltkreise gestört [3] [17] [18] [19] [20], was zu einer höheren Präferenz für hochkalorische Nahrungsmittel führt [14] [19]. Dies könnte eine Gewichtszunahme und somit die Entwicklung eines T2D begünstigen. Dies wird auch durch die Tatsache unterstützt, dass Personen mit einer erhöhten Anfälligkeit für unkontrolliertes Essen die auffälligsten Veränderungen im präfrontalen Kortex als Reaktion auf zentrales Insulin zeigen [14] [20] [21]. Daher könnte die zentrale Insulinwirkung eine wichtige Rolle bei kognitiver Kontrolle (u.a. Selbstkontrolle und Inhibition) spielen. Neueste Erkenntnisse aus unserer Arbeitsgruppe legen nahe, dass dies möglicherweise in einer geschlechtsabhängigen Weise geschieht [20]. Die zentrale Insulinwirkung als Reaktion auf die Bewertung von schmackhaften Essensreizen ergab eine erhöhte Antwort im präfrontalen Kortex bei Frauen mit hoher kognitiven Kontrolle, während Männer eine entgegengesetzte Reaktion im Präfrontalkortex zeigten [20].

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass zentrales Insulin ein wichtiges Feedbacksignal bei der Regulierung von belohnungsbezogenem Verhalten darstellt. Auch Gedächtnisprozesse und die Gemütslage wird von der Insulin-Empfindlichkeit des Gehirns beeinflusst [22].


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Auswirkungen der zentralen Insulinwirkung auf den peripheren Stoffwechsel

Tiermodelle liefern deutliche Hinweise darauf, dass die zentrale Insulinsensitivität Auswirkungen auf den peripheren Stoffwechsel hat [23]. Beim Menschen konnte erst kürzlich gezeigt werden, dass zentrales Insulin funktionelle Auswirkungen auf den systemischen Stoffwechsel ausübt, indem es die endogene Glukoseproduktion unterdrückt, sowie die zweite Phase der Insulinsekretion und die periphere Insulinempfindlichkeit erhöht [24] [25]. Die Ergebnisse legen nahe, dass vor allem die Insulin-Empfindlichkeit im Hypothalamus und im Striatum maßgeblich zu den Insulinvermittelten Auswirkungen in der Peripherie beitragen. Bei Personen mit Übergewicht bzw. T2D hingegen, wirkt Insulin im Gehirn nicht mehr ausreichend. Diese Insulin-Resistenz führt zu einem gestörten Stoffwechsel und einer ungünstigen Fettverteilung [15] ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Insulin-Empfindlichkeit des Gehirns beeinflusst das Essverhalten, die Körperfettverteilung und den peripheren Stoffwechsel (in grün dargestellt). Eine Insulin-Resistenz des Gehirns führt zu einem gestörten Stoffwechsel und einer ungünstigen Fettverteilung (dargestellt in rot).

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Interventionsmöglichkeiten zur Verbesserung der zentralen Insulinwirkung

Bislang gibt es noch keine Therapie, um die Insulin-Empfindlichkeit im Gehirn wiederherzustellen. Neueste Ergebnisse aus unserer Gruppe positionieren SGLT2-Hemmer als ersten möglichen pharmakologischen Ansatz zur Behandlung von Insulin-Resistenz im Gehirn. Die Behandlung mit Empagliflozin konnte die Insulin-Empfindlichkeit im Hypothalamus wiederherstellen, was zu einem verbesserten Stoffwechsel (niedrigere Nüchternglukose- und Leberfettwerte) des Körpers beigetragen hat [26]. Auch die Insulin-Empfindlichkeit im Striatum kann verbessert werden. In Personen mit einem erhöhten Risiko, einen T2D zu entwickeln, konnten wir zeigen, dass eine 8-wöchige Sportintervention die Insulin-Empfindlichkeit im Striatum deutlich erhöht mit positiven Auswirkungen auf den gesamten Körper. So zeigten Studienprobanden mit einer stärkeren Verbesserung der Insulin-Empfindlichkeit im Striatum auch eine deutliche Reduktion des Bauchfetts und Hungergefühls [27].

Fazit

Das Gehirn hat einen entscheidenden Einfluss auf unser Essverhalten, Körpergewicht sowie den Stoffwechsel. Reagiert das Gehirn empfindlich auf Insulin sinkt das Verlangen nach hochkalorischen Speisen, wird weniger Fett im Bauch gespeichert und die Insulin-Empfindlichkeit des gesamten Körpers verbessert sich. Eine zentralnervöse Insulin-Resistenz wird mit Gewichtszunahme und ungünstiger Fettverteilung in Verbindung gebracht, was die Entwicklung von Typ-2-Diabetes und damit verbundenen Krankheiten erleichtert. Erste Studienergebnisse legen nahe, dass die Insulin-Resistenz des Gehirns behandelt werden kann mit positiven Auswirkungen für den gesamten Körper.


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
13. Oktober 2022

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