Z Sex Forsch 2022; 35(04): 221-228
DOI: 10.1055/a-1964-3817
Dokumentation

Ablehnen, Anprangern, Beleidigen: Sexualitätsbezogene Meinungsdynamiken im Internet [ 1 ]

Opposing, Denouncing, Insulting: Sexuality-Related Dynamics of Opinion on the Internet
Richard Lemke
Polizeiakademie Niedersachsen
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Zusammenfassung

Zu Beginn des Beitrags werden drei Beispiele vorgestellt, anhand derer die Spezifika sexualitätsbezogener Meinungsdynamiken im Internet illustriert werden. Speziell Meinungsäußerungen auf Social-Media-Seiten können aufgrund der gesteigerten Redebereitschaft im Internet sowie ihrer Rolle bei der Schätzung von Meinungsverteilungen als ein Katalysator in sexualitätsbezogenen Meinungsdiskursen fungieren: Sie können Minderheitsmeinungen und Versprachlichung von Sexualität begünstigen, gleichzeitig aber auch durch Empörungswellen und personifizierte Angriffe andere zur Verstummung bringen. Es wird anschließend für eine Verstärkung der demoskopischen Erforschung sexualitätsbezogener öffentlicher Meinung argumentiert, weil der öffentlichen Meinung im Rahmen von Sexualität verschiedene Funktionen zukommen: Sie trägt zur Ausformung von Engagement in gesellschaftlichen Debatten bei, bildet eine Komponente des (sexuellen) Minderheitenstresses in einer Gesellschaft und stellt – auch mit Blick auf Scham – einen Bewertungsrahmen sexueller Handlungen dar. Der Beitrag schließt mit Empfehlungen für Wissenschaft, Bildung und Praxis.

Abstract

At the beginning of the article, three examples are presented that illustrate the specifics of sexuality-related opinion dynamics on the internet. Due to the increased self-disclosure on the internet as well as the effect of user comments on estimations of opinion climate, written opinion expressions on social media can act as a catalyst in sexuality-related discourses of opinion: They can favour minority opinions and verbalisation of sexuality, but at the same time they can also lead to silencing through waves of outrage and personalised attacks. It then argues for the strengthening of demoscopic research into sexuality-related public opinion, because public opinion has various functions in the context of sexuality: It contributes to shaping engagement in social debates, constitutes a component of (sexual) minority stress in a society and – also with regard to shame – provides an evaluative framework for sexual acts. The article concludes with recommendations for science, education, and practice.

Fußnoten

1 Bei dem Beitrag handelt es sich um die überarbeitete Fassung eines Vortrags, der auf der 26. Wissenschaftlichen Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung mit dem Titel „Sexualität – Macht – Moral“ am 29. September 2019 in Hamburg gehalten wurde. Mein großer Dank gilt Dagmar Herzog für ihre zahlreichen Gedanken zur ersten Fassung dieses Aufsatzes.




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Article published online:
06 December 2022

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