Zusammenfassung
Einleitung Unerfüllter Kinderwunsch und die anschließende medizinische Therapie führt bei einem Teil der Patient*innen zu starken emotionalen Belastungen, die vom Paar gemeinsam
bewältigt werden müssen: „Infertility is a shared stressor“. Aus der Forschungsliteratur ist bekannt, dass die subjektiv wahrgenommene Selbstwirksamkeit die adaptive Bewältigung einer
Erkrankung unterstützt. Als Fragestellung in dieser Studie wurde angenommen, dass hohe Selbstwirksamkeitswerte mit niedrigen psychischen Risikoscores (wie Ängstlichkeit oder Depressivität)
sowohl bei der eigenen Person als auch beim Partner bzw. der Partnerin einhergehen. Eine gezielte Förderung der hilfreichen Selbstwirksamkeitserwartung könnte somit auch bei unerfülltem
Kinderwunsch eine neue Beratungsstrategie darstellen, durch die psychisch vulnerable Patient*innen Behandlungsablauf und Behandlungsmisserfolge medizinisch assistierter Reproduktion besser
bewältigen können und damit weniger als Risikopatient*innen bezüglich psychosozialer Faktoren gelten müssen.
Methoden 721 Frauen und Männer, die an 5 Kinderwunschzentren in Deutschland (Heidelberg, Berlin), Österreich (Innsbruck) und der Schweiz (St. Gallen, Basel) vorstellig wurden,
haben den SCREENIVF-R-Fragebogen zur Identifizierung von psychischen Risikofaktoren für verstärkte emotionale Probleme und die SWUK-Skala zur Messung der Selbstwirksamkeit ausgefüllt.
Mithilfe von gepaarten t-Tests und des Akteur-Partner-Interdependenz-Modells wurden die Daten von 320 Paaren paarbezogen ausgewertet.
Ergebnisse Auf Paarebene wiesen Frauen im Vergleich zu Männern in 4 von 5 Risikofaktoren (Depressivität, Ängstlichkeit, Mangel an Akzeptanz, Hilflosigkeit) höhere Risikowerte auf.
In allen Risikobereichen konnten protektive Effekte der Selbstwirksamkeit auf den jeweiligen eigenen Risikofaktor identifiziert werden (Akteureffekt). Die Selbstwirksamkeitswerte des
Mannes zeigten einen negativen Zusammenhang mit den Depressivitäts- und Hilflosigkeitswerten der Frau (Partnereffekt Mann → Frau). Die Selbstwirksamkeitswerte der Frau korrelierten positiv
mit der Akzeptanz und sozialen Unterstützung bei Männern (Partnereffekt Frau → Mann).
Schlussfolgerung Da die Bewältigung des unerfüllten Kinderwunsches in der Regel durch das Paar geleistet wird, sollten in zukünftigen Studien nicht mehr nur Frauen und Männer
getrennt in die Analysen einbezogen werden, sondern das Paar als Analyseeinheit im Fokus stehen. Zudem sollte in der psychosozialen Kinderwunschberatung das Paarsetting Goldstandard
sein.
Schlüsselwörter
unerfüllter Kinderwunsch - Paare - APIM - Selbstwirksamkeit - psychosoziale Risikofaktoren