physioscience 2024; 20(03): 116-125
DOI: 10.1055/a-2188-6299
Originalarbeit

Die Bedeutung von Theorie- und Modellentwicklung für die Entwicklung der Physiotherapie als Disziplin in Deutschland

Eine Expert*innenbefragung Artikel in mehreren Sprachen: English | deutsch
1   Universitätsmedizin Göttingen, Klinik für Anästhesiologie, Schmerzmedizin, Göttingen, Deutschland
2   Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst, Soziale Arbeit und Gesundheit, Hildesheim, Deutschland
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1   Universitätsmedizin Göttingen, Klinik für Anästhesiologie, Schmerzmedizin, Göttingen, Deutschland
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Annette Probst
2   Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst, Soziale Arbeit und Gesundheit, Hildesheim, Deutschland
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Zusammenfassung

Hintergrund Seit der Möglichkeit der weiterführenden und seit 2009 grundständigen Ausbildung an Fachhochschulen versucht die Physiotherapie in Deutschland, sich in den internationalen Diskurs um eine Disziplinbildung einzubringen und ihr Feld in Theorie und Praxis neu zu definieren. Die Notwendigkeit, sich mit Theorie- und Modellentwicklung (wesentliche Kernelemente einer Disziplin) zu beschäftigen, wird bereits gefordert. Gegenwärtig dominiert die Bezugswissenschaft die wissenschaftliche Basis der Physiotherapie, da bisher nur eine geringe Anzahl von (physio)therapeutischen Theorien und Modellen existiert.

Ziel Erfassen der subjektiven Sichtweisen und Deutungsmuster von Expert*innen hinsichtlich der Bedeutung von Theorie- und Modellentwicklung für die Disziplinbildung der Physiotherapie in Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt und Einordnung der Ergebnisse in die Strömungen der Disziplinentwicklung und -bildung.

Methode Die Studie basiert auf einem qualitativen Forschungsansatz, orientiert an der Grounded-Theory-Methodologie. Die Datenerhebung erfolgte durch 4 leitfadengestützte, theoriegenerierende Expert*inneninterviews mit Professor*innen der Physiotherapie. Nach wortwörtlicher Transkription wurde das entstandene Datenmaterial in Anlehnung an den methodischen Ansatz der Grounded Theory ausgewertet.

Ergebnisse Als Kernkategorie wurde der „Schwebezustand“ identifiziert, der sich aus den subjektiven Sichtweisen und Deutungsmustern der Interviewpartner*innen über die Bedeutung der Theorie- und Modellentwicklung ergibt. Der „Schwebezustand“ ist ein Prozess während der Bildung einer wissenschaftlichen Disziplin, der unentschieden und unvollständig ist. Er ergibt sich durch die Ausformulierung der Kategorien Unsicherheit, Abgrenzung, Vermeidung und Transformation und beschreibt einen aktuell unentschiedenen, noch nicht abgeschlossenen Prozess der Bedeutung von Theorie- und Modellentwicklung für die eigene Person. Die Ergebnisse zeigen graduelle Unterschiede bei der Interpretation des „Schwebezustands“ durch die Interviewpartner*innen. In Verlaufskurven in Anlehnung an Schütze [34] zeigt sich, dass die Selbstpositionierung dieser hinsichtlich der eigenen Auseinandersetzung mit der Theorie- und Modellentwicklung auf den laufenden Prozess der Transformation der Physiotherapie von einer Profession zur Disziplin verweist. Die damit verbundenen Ambivalenzen der Deutungsmuster der Interviewpartner*innen werden deutlich erkennbar.

Schlussfolgerung Eine interne Diskussion über den „Schwebezustand“ ist notwendig, um die Relevanz der Theorie- und Modellbildung für die Physiotherapie als wissenschaftliche Disziplin zu unterstützen.

Supplementary Material

Zusatzmaterial



Publikationsverlauf

Eingereicht: 25. September 2023

Angenommen: 13. Februar 2024

Artikel online veröffentlicht:
11. April 2024

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