Z Geburtshilfe Neonatol 2024; 228(05): 468-469
DOI: 10.1055/a-2347-3387
Geschichte der Perinatalmedizin

Die ersten deutschen Hebammenlehrbücher in Ost und West nach 1945

Andreas D. Ebert
,
Matthias David

Die Geschichte der Hebammen-Lehrbücher hat in Deutschland eine lange, wechselvolle Tradition [1]. Vom Königreich Preußen (1815) bis in die Weimarer Republik (1928) war das „Preußische Hebammen-Lehrbuch“ in stets modifizierter Form das Standardlehrbuch an den Hebammen-Schulen [1] [2]. Nach 1933 fanden nun auch Eugenik und Rassenbiologie offiziell Eingang in die geburtshilflichen Lehrpläne und -bücher der Medizinstudenten [3] [4]. Aus Sicht des NS-Staates bedurfte es auch eines neuen „Hebammenlehrbuches“, das im Auftrage des Reichsministerium des Inneren unter Mitwirkung führender Geburtshelfer jener Jahre erstellt wurde [5] [6]. Dazu gehörten Benno Ottow (1884–1975), Siegfried Stephan (1883–1948) und Max Fetzer (1895–1988). Die bisher in den Lehrbüchern nicht dargestellten Kapitel „Bevölkerungspolitik“ von Friedrich Burgdörfer (1890–1967), „Grundlagen der Erb- und Rassenpflege“ von Lothar Löffler (1901–1983) und „Säuglingspflege und Ernährung“ sowie „Schutz und Fürsorge für Mutter und Kind“ von Fritz Rott (1878–1959) wurden ungewöhnlich ausführlich dargestellt [6]. Robert Schröder schrieb 1947 rückblickend: „Jedermann erwartete mit Sehnsucht ein einheitliches, ein Reichshebammenlehrbuch (…) Es ist mit aller Deutlichkeit zu sagen, daß erfahrenste Autoren mit didaktisch guten Kapiteln Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sehr gut geschildert haben, aber alles andere, insbesondere das Säuglingskapitel ist viel zu groß angelegt und für den Zweck übertrieben. Der Bevölkerungspolitik und Erb- und Rassenpflege hatten die Verfasser viele Seiten gewidmet, aber im Hebammenlehrbuch haben diese Kapitel meines Erachtens überhaupt keinen Platz. Das Buch enttäuschte große Kreise. Die Sowjetische Militär-Admministration hat deshalb mit vollem Recht das Reichshebammenlehrbuch verboten“ [5].

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Abb. 1 Das „Hebammenlehrbuch“ von Robert Schröder (1884–1959) und seinen im Text mit Ausnahme des Leipziger Medizinhistorikers Walter von Brunn (1876–1952) namentlich ungenannten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen.
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Abb. 2 Das von Wichard Friedrich Adolf Freiherr von Massenbach (1909–1998) und dem Kinderarzt Karl-Heinz Schäfer (1911–1985) herausgegebene „Hebammenlehrbuch“. 1954 ging W. von Massenbach als Chefarzt der Städtischen Frauenklinik nach Lübeck. 10 Jahre später war er der Gründungsdekan der Medizinischen Akademie Lübeck und Ordinarius für Gynäkologie und Geburtshilfe. Sein Göttinger Kollege Schäfer war von 1951–1979 Ordinarius für Kinderheilkunde der Universität Hamburg und 1965–1966 auch deren Rektor.

Nach der deutschen Kapitulation brauchte es in allen alliierten Besatzungszonen auch für die Ausbildung von Hebammen dringend neuer, politisch nicht belasteter Lehrbücher. 1947 erschien in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zunächst noch in „deutscher Druckschrift“ als Paperback-Ausgabe das Hebammenlehrbuch von Robert Schröder (1884–1959) ([Abb. 1]), der trotz seiner Mitgliedschaft in der NSDAP (Mitgliedsnummer 2731714, 1933), der SA und dem NS-Ärztebund nach eigenen Angaben bereits im „Februar 1946“ das Vertrauen der sowjetischen Militäradministration (SMA) „genoß“ [5] [7].

Aus der Schule und mit einem ausführlichen Vorwort von Heinrich Martius (1885–1965) [8] erschien als Hard-cover-Ausgabe unter der Federführung von Wichard Freiherr von Massenbach (1909–1998) und dem Pädiater Karl-Heinz Schäfer (1911–1985) das Hebammenlehrbuch der westdeutschen Trizone ([Abb. 2]) mit dem ausdrücklichen Hinweis „Auf Grund der fünften Auflage des Preußischen Hebammenlehrbuches“ [9]

Während sich Schröders Lehrbuch u.a. durch ein Kapitel „Zur Geschichte des Hebammenwesens“ (S. 1–24) vom Direktor des Karl-Sudhoff-Institutes Walter von Brunn (1876–1952) auszeichnete [5], fand im von Massenbach-Schäferschen Lehrbuch [9] die „allgemeine und spezielle Krankheitslehre“ (S.30–80) einen besonderen Schwerpunkt. Ansonsten zeichneten sich beide Hebammenlehrbücher durch eine strikte systematische Kapitelaufteilungen aus, die inhaltlich allerdings kaum über die des „Reichshebammenlehrbuches“ von 1943 hinausgingen. Die beiden Bücher boten Hebammenschülerinnen und sicherlich auch den bereits erfahrenen Hebammen in sehr gut lesbarem Stil einen didaktisch jeweils hervorragenden Zugang zu den relevanten Problemen der Anatomie und Physiologie, dem Bau und der Funktion des weiblichen Körpers sowie zu den Fragen der normalen und pathologischen Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Im Leipziger und im Göttinger Lehrbuch wurde das Kind bzw. der Säugling auf den Seiten 422–508 [5] bzw. auf den Seiten 419–500 [9] sehr ausführlich besprochen.

Beide Autorengruppen verzichteten natürlich peinlichst auf jegliche Diskussionen der Themen Bevölkerungspolitik, Eugenik und Rassenhygiene.

Interessanterweise wurden in beiden Lehrbüchern allerdings auch noch die wesentlichen Gesetzestexte aus der Zeit 1933–1945 dargestellt [5] [9], denn es gab in den alliierten Besatzungszonen zunächst noch keine neuen Gesetze.

Aus diesen beiden Lehrbüchern entwickelten sich nach der deutschen Teilung in der BRD und der DDR jeweils zahlreiche anerkannte, neu- bzw. überarbeitete Auflagen [10] [11].



Publication History

Article published online:
04 October 2024

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  • Literatur

  • 1 Dudenhausen JW. Stürzbecher: Zur Geschichte der preußischen Hebammenlehrbücher. Berlin. 1985
  • 2 Hammerschlag S, Langstein L. Ostermann (Hrsg), Preussisches Hebammen-Lehrbuch (5. völlig neubearbeitete Auflage v. 1912).
  • 3 Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Reichsgesetzblatt Teil I, 1933, No. 86, S.529–531
  • 4 Stoeckel W. Lehrbuch der Gynäkologie. Verlag S. Hirzel; Leipzig: 1943. S. 676ff
  • 5 Schröder R. Hebammenlehrbuch. Arbeitsgemeinschaft medizinischer Verlage G.m.b.H. Georg Thieme; Leipzig: 1947
  • 6 Reichsministerium des Inneren/Reichsgesundheitsamt (Hrsg.) Hebammenlehrbuch. Elwin Staude Verlagsbuchhandlung, Osterwieck am Harz und Berlin W30, 1943
  • 7 Ebert AD, David M. Robert Schröder (1884–1959) und der „mensuelle Genitalzyklus des Weibes“. Geburtshilfe Frauenheilkd 2016; 76: 27-30
  • 8 Ebert AD, David M. Heinrich Martius (1885–1965) – ein wenig Bekanntes und etwas Vergessenes aus seinem Leben. Geburtshilfe Frauenheilkd 2015; 75: 897-899
  • 9 Massenbach W.v., Schäfer K.-H. Hebammenlehrbuch. Auf Grund der fünften Auflage des Preußischen Hebammenlehrbuches. Springer Verlag; Berlin-Göttingen-Heidelberg: 1948
  • 10 Martius G, Heidenreich W. Hebammenlehrbuch. Thieme Verlag Stuttgart; 1999
  • 11 Bilek K, Rothe K, Ruckhäberle K-E, Schlegel L. Lehrbuch der Geburtshilfe für Hebammen. Verlag Johann Ambrosius Barth; Leipzig: 1985