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DOI: 10.1055/a-2349-7029
Kommentar zu: Multiple Nahrungsmittelallergien: Omalizumab erhöht Reaktionsschwellen
Circa 8% der westlichen Bevölkerung leiden an IgE-positiven (Soforttyp) Nahrungsmittelallergien, vorwiegend Kinder. Standard ist die strikte Vermeidung der Allergene und im Fall einer unbeabsichtigten Exposition mit der Gefahr schwerer Anaphylaxie eine stets mitgeführte Soforttherapie mit Epipen und/oder Kortison.
Die Studie hat fast ausnahmslos Kinder eingeschlossen. In der Mehrzahl der Fälle konnte die Toleranzschwelle gegen Erdnussallergene sowie 2 weitere Nahrungsmittelallergene mit einer bis zu 40-wöchigen Omalizumab-Therapie um ein Mehrfaches erhöht werden. Das sind beachtliche, aber nicht hinreichende Ergebnisse für eine nachhaltige Toleranz gegen Nahrungsmittelallergene. Diese Studie hat trotzdem am 16.02.2024 in den USA zur Zulassung für die Indikation Erdnussallergie und Allergie gegen 2 weitere Nahrungsmittel geführt. Es gibt folgende offene Fragen:
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Wie lange hält diese Tolerisierung nach Absetzen von Omalizumab an?
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Es ist wahrscheinlich, dass weitere Faktoren wie Infektionen oder Änderungen des intestinalen Mikrobioms z. B. durch Antibiotikatherapie, die intestinale Barriere stören und damit die Toleranzschwelle wieder senken.
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Lassen sich diese Ergebnisse auf Erwachsene mit Nahrungsmittelallergie übertragen?
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Welchen Sinn macht eine (passive) Hebung der Toleranzschwelle gegen die bekannten Allergene, wenn die Betroffenen weiterhin strikte Allergenvermeidung, z. B. auf Reisen, beachten müssen?
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Eine Hebung der Toleranzschwelle wurde für Erdnussallergie bereits 2003 gezeigt [1].
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Das Erreichen einer spontanen vollumfänglichen Toleranz gegen zahlreiche Nahrungsmittelallergene ist nicht selten. Hier scheinen kleinste Mengen Allergen unter der Toleranzschwelle einen langsamen Aufbau einer aktiven Immuntoleranz zu fördern. Beispiele sind die orale, sublinguale und epikutane tolerisierende Therapie. Bereits 2018 und 2019 zeigten Andorf et al. [2], dass Omalizumab die aktive Tolerisierung mit kleinen Dosen der Nahrungsmittelallergene verbessern kann.
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Auch eine prophylaktische niedrig dosierte orale Allergentolerierung von Kleinkindern mit einem hohen Risiko für Nahrungsmittelallergien, ohne Omalizumab, konnte das Risiko der gefürchteten Erdnussallergie in den Folgejahren langfristig um den Faktor 4 reduzieren [3].
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Neben der Frage der nachhaltigen Wirksamkeit und eines breiten Schutzes bei Exposition kommen Fragen der Kosten für die westlichen Gesundheitssysteme und der globalen Verteilungsgerechtigkeit auf.
Eine wichtige, durch Omalizumab nicht adressierbare Kategorie ist die atypische (IgE-negative, partiell eosinophilenvermittelte) Nahrungsmittelallergie. Sie tritt klinisch meist erst viele Stunden nach Nahrungsaufnahme auf, und äußert sich primär in Blähungen, Bauchschmerzen, häufig Erschöpfung und Konzentrationsschwierigkeiten, z. T. auch Hautsymptomen. 50–70% der Patienten mit der Diagnose Reizdarmsyndrom (10–15% der Bevölkerung) sind davon betroffen.
Primäres Nahrungsmittelallergen ist Weizenprotein, gefolgt von Milch, Soja und Hefe, Nahrungsmittel, die täglich konsumiert werden. Die Patienten zeigen geringfüge, aber signifikante histologische intestinale Veränderungen bereits 30 Minuten nach positiver Provokation. Bisher gibt es keine Serumdiagnostik. Jedoch gelingt der Nachweis durch eine Nahrungsmittelprovokation im Duodenum mit begleitender Vergrößerungsendoskopie, welche 1–3 Minuten nach Auftrag des Allergens eine schwere Barrierestörung live belegt. Mit Weglassen des identifizierten allergenen Nahrungsmittels bessern sich die Beschwerden der Patienten meist dramatisch [4] [5]. Diese Untersuchung wird auf Indikation in Fachzentren in Deutschland bereits mit 1–2 Tagessätzen vergütet.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
17. September 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Leung DY, Sampson HA, Yunginger JW. Avon Longitudinal Study of Parents and Children Study Team. et al. Effect of anti-IgE therapy in patients with peanut allergy. N Engl J Med 2003; 348: 986-993 DOI: 10.1056/NEJMoa022613.
- 2 Andorf S, Purington N, Kumar D. et al. A Phase 2 Randomized Controlled Multisite Study Using Omalizumab-facilitated Rapid Desensitization to Test Continued vs Discontinued Dosing in Multifood Allergic Individuals. EClinicalMedicine 2019; 7: 27-38 DOI: 10.1016/j.eclinm.2018.12.006.
- 3 Du Toit G, Sayre PH, Roberts G. Immune Tolerance Network LEAP-On Study Team. et al. Effect of Avoidance on Peanut Allergy after Early Peanut Consumption. N Engl J Med 2016; 374: 1435-1443 DOI: 10.1056/NEJMoa1514209.
- 4 Fritscher-Ravens A, Schuppan D, Ellrichmann M. et al. Confocal endomicroscopy shows food-associated changes in the intestinal mucosa of patients with irritable bowel syndrome. Gastroenterology 2014; 147: 1012-1020.e4 DOI: 10.1053/j.gastro.2014.07.046.
- 5 Fritscher-Ravens A, Pflaum T, Mösinger M. et al. Many Patients With Irritable Bowel Syndrome Have Atypical Food Allergies Not Associated With Immunoglobulin E. Gastroenterology 2019; 157: 109-118.e5 DOI: 10.1053/j.gastro.2019.03.046.