Notfall & Hausarztmedizin 2008; 34(6): 283
DOI: 10.1055/s-0028-1082104
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sehnsucht nach Pinocchio

Peter Knuth
Further Information

Publication History

Publication Date:
09 July 2008 (online)

Es ist schaurig-unschöne Wahrheit, dass fast im Stundentakt Politiker aus dem so beliebten Stadel Bundesregierung und Reichstag, in Bayern würde man es derb als Komödienstadel bezeichnen, vor die Presse treten und staatstragende Erklärungen abgeben. Pfui, diese Wertung hat der Komödienstadel nun wirklich nicht verdient, es ist immerhin volksnah. Wie ein Junkie auf Entzug sucht der Politiker die Mikrophone und quatscht ohne die innere Ladehemmung des vorherigen Denkens, in jedes hinein und sagt nach eigenem Beteuern die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Seine Claqueure, denen man durchaus die öffentlich-rechtlichen Medien, deren Intendanten nach Parteiproporz bestellt sind, zuordnen kann, nicken bei jedem Wort. Welch ein umhüllendes Kuschelgefühl, welches nur leider den Bürger nicht ergreift, da er die politische Lüge herauswittert. Dass dies die Grundlagen unseres Staates: fähige und ehrliche Politiker und ein Volk das unbesorgt Vertrauen schenken kann, zerstört, wird nach dem heutigen Politikverständnis als Kollateralschaden zur Sicherung eigener politischer Pfründe hingenommen. Die angestellten Claqueure müssen dem Ganzen zujubeln, denn bei Nichterfüllung der zugeteilten Rolle, könnte man sich plötzlich in einem Referat eines Ministeriums wiederfinden, um den Rauswurf aus der Machtebene täglich zu spüren. Journalisten übernehmen in so einem Falle eine hochverantwortungsvolle Aufgabe im Archiv. Dass dies alles weder Karriere noch Einkommen nützt, wurde schnell verstanden.

Der Bürger hingegen ist irritiert. Klaffen doch in aller Regel riesige Gräben zwischen Aussagen der Politiker, beschlossenen Programmen der Partei oder auch Beschlüssen des Deutschen Bundestages und der Wirklichkeit der betroffenen Bürger.

Der verwirrte, gerade noch einmal an Bildungs-, Armuts-, Renten-, PISA-Studien und anderen Studien vorbei geschrappte Bürger ist froh, dass die Studien teilweise nicht deren tieferem Sinn folgten, ihn weiter finanziell auszunehmen. Er greift in einem letzten Akt des Bildungsbürgertums zum Wörterbuch um zu prüfen, ob ein seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten gewohnter Begriff für eine Sache noch zutrifft oder ob er Entwicklungen verschlafen hat. Offenbar, so die bittere Erkenntnis, gibt es ein neues politisches Wörterbuch, in dem „Demokratie“ Parteiendiktatur ohne demokratische Legitimation und Kontrolle bedeutet oder „Wahrheit“ Lüge ist, ein festes öffentliches Versprechen („nie werden wir dies tun“) eine unverbindliche Absichtserklärung darstellt oder „es kommt mehr Geld in das Gesundheitssystem“ schlicht darauf hinweist, wir nehmen euch noch etwas mehr.

Welch schöne Zeiten waren es, als es das hölzerne Bengele gab, dessen Nase bei jeder Lüge ein hölzernes Stück wuchs. Nicht dass dies bei unseren Politikern zum Erkennen notwendig wäre, schon Physiognomie und Köperhaltung lassen das Attribut hölzerne Nase wegen anderer eindeutiger Lügenindikatoren entbehrlich erscheinen. Aber es hätte doch einen Eventcharakter, wenn neben das Politbarometer der Zuwachs von Holz an der Nase als Nasenbarometer treten würde.

Allerdings gibt es ein kleines Problem. Der derzeitige politische Oberklassefuhrpark am Berliner Reichstag müsste garstigerweise komplett ausgewechselt werden, da es trotz langjähriger Übung im Verdrehen der gesamten Wirbelsäule unmöglich ist, sagen wir mal drei Meter hölzerne Nase in einem Oberklasse-Pkw unterzubringen. Dies darf man aber um Gottes Willen nicht dem Auto anlasten, das ist für normale Staturen gebaut. Diese Menschen soll es in der Kombination „erfolgreiche sozial verantwortliche Arbeit über lange Jahre, in Deutschland Steuern zahlend und sich nicht am Eigentum fremder Menschen bereichernd“, noch als aussterbende Spezies geben. Ach ja, er kann kein Politiker sein. Dies wäre ansonsten bei den Eigenschaften der beschriebenen Spezies Politiker eine Contradictio in Adjecto.

Für die Politiker müssen Sattelschlepper her, damit die meterlangen Holznasen statisch ausgewogen und politisch korrekt transportiert werden können. Der Sattelschlepper ermöglicht zugleich gesellige Sammelfahrten. Dies vermeidet, dass man in einer unkontrollierten Aufwallung von Arbeitsamkeit vereinsamt alleine nach Mallorca und zurück fliegen muss. Ein schreckliches Schicksal für den einsam Reisenden und sozialpädagogisch nicht hinnehmbar. Frau Schmidt, dies wäre doch wieder einer Ihrer Einsätze für die sozialistische Rundumbeglückung der Bevölkerung. Auch der Vorgesetzte von Frau Schmidt, ihr Parteivorsitzender, könnte sich als Lenker betätigen, sofern die Sattelschlepper auf Linkssteuerung umgerüstet werden. Die angestellten Zeitarbeiter der Parteien, im Politjargon Abgeordnete genannt, könnte man beim Sattelzugkonzept zum Abstützen der hölzernen Nase auf dem parteizugehörigen politischen Schrumpfkopf einsetzen. Wobei die Unterscheidung zwischen C-Parteien und Sozialdemokratie nach dem neuen Politwörterbuch unerheblich wäre. Schließlich stützt man sich im grauen Berliner Politalltag schon lange gegenseitig die Lügennasen. Diese Vorgehensweise wäre für das Politkabarett in Berlin sozialverträglich, weil es das Gefühl vermittelt, für sein Geld etwas zu tun und dies hätte eine rundum glücklich machende Wirkung.

Prof. Dr. med. Peter Knuth

Flörsheim