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DOI: 10.1055/s-0028-1105951
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Gesundheitsbetrug in Zeiten der Großen Berliner Koalition
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
27. November 2008 (online)
In den letzten Tagen konnte man wieder zwei dieser unsäglichen politischen Kompromisse im Gesundheitswesen erleben: die Anhebung der Honorare der niedergelassenen Ärzte und eine Finanzspritze für die Krankenhäuser. Die Politik hat Geld in die Hand genommen, Geld das ihr sowieso nicht gehört, sondern den Beitragszahlern der Krankenkassen gewaltsam abgenommen wird und dann ohne Sinn und Verstand nach dem Gießkannenprinzip verschleudert wird. Der dringend notwendige strukturelle Umbau des Gesundheitswesens wird wieder einmal unter einer „mildtätigen Geldgabe“ verkleistert. Die Ärzteschaft hat sich erneut am Kälberstrick durch die Manege führen lassen, weil ein Brosame winkte.
Die Politik in Bund und Ländern durchblickt das zugegebenermaßen sehr komplexe Geschäft bestenfalls teilweise und hat in Wahlkampfzeiten keine Lust, den Kopf aus der Ackerfurche zu heben. Das Kopfheben, übrigens Qualitätsmerkmal jedes aufrechten Demokraten, könnte eine Beule am edlen Politikergehirn verursachen und die Chancen der Wiederwahl mindern.
Eines ist aber klar: Mit dem Einzelbaustein Gesundheitsfonds mit staatlich festgelegten Beitragssätzen, ist die staatliche Einheitskasse da, egal welchen Namen die vermeintlich unabhängige Kasse noch tragen darf. Dies muss auch zu Einheitsleistungen mit nicht motivierten Einheitsleistungserbringern führen, das sozialistische Gesundheitssystem à la DDR schaut durch die Tür. Jede Eigenentscheidung und Verantwortung für die eigene Gesundheit im liberalen Sinne wird verhindert. Anstatt das gesundheitliche „Rundum-Sorglos-Paket“ abzubauen, wird es in bester sozialdemokratischer und sozialistischer Tradition ausgebaut. Es gilt das Motto: Der Bürger ist unfähig selbst zu denken und zu entscheiden und alles Liberale ist sowieso Teufelswerk.
Mit der Neuregelung der Finanzierung der niedergelassenen Ärzte wird auch für die ambulante Versorgungw dieser Weg beschritten, also Baustein 2 auf diesem Wege. Die Maßnahmen im Einzelnen: Die niedergelassenen Kollegen erhalten 2,5 Milliarden Euro von den Kassen und damit von den Beitragszahlern. Bedauernswerterweise wurde übersehen, dass durch die Koppelung der Verteilung des Geldes an zurückliegende Fallzahlen und Punktwerte in den Bezirken der Kassenärztlichen Vereinigungen eine unterschiedliche, nur als ungerecht zu bezeichnende Geldverteilung entsteht. KVen mit hohen Fallzahlen und Punktwerten erhalten deutlich mehr Geld als KVen mit niedrigen Fallzahlen und Punktwerten. Damit wird sparsamer Ressourcenverbrauch im Gesundheitswesen bestraft. Die KV-Bayern erhält 6,8? % mehr, während die KV-Nordrhein 3,9? % bekommt. Dies lässt eigentlich nur den Schluss zu, das Praxiskosten in Bayern fast 3? % höher sein müssen, als in Nordrhein.
Interessanterweise hat bislang niemand nachgerechnet, ob überhaupt ein Nettozuwachs der Honorare nach jahrzehntelanger chronischer Unterfinanzierung aus dieser politisch „gewährten“, dem Beitragszahler gehörenden, Spende für die niedergelassenen Ärzte resultiert. Der Staat als diktatorischer Preistreiber Nr. 1 via Steuern, explodierende Energiekosten, hohe Kosten für eine Misstrauensbürokratie, der Situation teilweise nicht angemessene Lohnabschlüsse, Hilflosigkeit gegenüber internationalen Absahnerkartellen und vieles mehr, machen deutlich, dass dieser Staat hinreichend den Beweis seiner Unfähigkeit, auch in der Gesundheitspolitik erbracht hat.
Den Krankenhäusern sollen etwa 3 Milliarden Euro Beitragsgelder zufließen. Auch hier ist zweifelhaft, ob die Summe ausreicht, zumal in unverantwortlicher Weise über Jahrzehnte hinweg notwendige Investitionen schlicht unterblieben sind. Der jetzige Kompromiss wird dieses Problem langfristig sicherlich nicht lösen können. Im Tausch zur Duldung des Gesundheitsfonds durch die Länder hat Berlin einer Länderformel zugestimmt, wonach die Länder nur neue „Grundlagen“ für Klinikgebäude und Infrastruktur „entwickeln“ müsen. Regelmäßige Zahlungen lehnen die Länder ab. Angesichts des hohen investiven Nachholbedarfs bei etwa 2200 Krankenhäusern dürften die 3 Milliarden somit nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein sein.
Der Bund kann die 3 Milliarden Euro ferner nur für 2009 zusagen. Bevor es fließt ist das Parlament am Zuge. Ab 2010 gibt es aber ein neues Parlament mit neuer Haushaltskompetenz.
Dem interessierten Leser juristischer Texte sei einmal die Lektüre des § 129 Strafgesetzbuch empfohlen. Es wird die Bildung krimineller Vereinigungen unter Strafe gestellt. Hier findet man in Abs. 2 dieser Bestimmung verwunderliches. Kriminelle Vereinigungen können nicht unter Strafe gestellt werden, wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat. Nach der Lektüre ist man ratlos, was wohl die Ratio des § 129 Abs. 1 und 2 StGB sein soll. Auch die gängigen Strafrechtskommentare teilen diese Ratlosigkeit. Nun bin ich weit davon entfernt, die gegenwärtigen Parteien als kriminell oder kriminelle Vereinigung anzusehen. Allerdings bin ich mir nicht mehr so sicher, ob jeder Bürger, der sich ansieht was der Staat mit ihm treibt, diese Einschätzung teilt.