ergoscience 2009; 4(1): 32-33
DOI: 10.1055/s-0028-1109049
Aus Forschung und Lehre

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Akademische Kommunikation und Sorge um Ergotherapiekonferenzen

Offener Brief internationaler Wissenschaftler im November 2008Esther M Steultjens
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Publication Date:
27 January 2009 (online)

An unsere Kolleginnen und Kollegen,

mit diesem Brief möchten wir unserer Besorgnis über die Art und Weise, wie Abstracts für ergotherapeutische Wissenschaftskonferenzen reviewt werden, Ausdruck verleihen; während der letzten fünf Jahre wurden bei ergotherapeutischen Konferenzen sowohl bei nationalen als auch bei WFOT-Veranstaltungen eine ganze Reihe von qualitativ hochwertigen, international wertgeschätzten Forschungsstudien abgelehnt. Mit diesem offenen Brief erkennen wir den Zusammenhang zwischen Forschung und Praxis an und die Tatsache, dass Forscher die Verpflichtung haben, ihre Resultate mit eindeutigen klinischen Implikationen zu präsentieren. Der aktuelle Trend ist jedoch, dass diese Plattform zur Kommunikation von Forschungsergebnissen nicht bereitwillig zur Verfügung gestellt wird.

2003 wurde eine Reihe von klinischen Untersuchungen abgewiesen oder der Posterpräsentation für australische Konferenzen zugeteilt. 2006 lehnte das wissenschaftliche Kommittee des WFOT eine Reihe von RCT (randomisierte kontrollierte Untersuchungen) und systematischen Reviews von führenden Ergotherapieforschern ab, was Telefonanrufe, Beschwerdebriefe und Anträge auf eine erneute Überprüfung zur Folge hatte. Daraufhin schrieb der Herausgeber von AOTJ in dieser Angelegenheit eine Protestnote an OT Australia. Dieser Trend betrifft nicht nur Australien: Die jüngsten Konferenzen der COTEC (Council of Occupational Therapists for the European Countries) in Athen (2004) und Hamburg (2008) lehnten Präsentationen hochwertiger RCT (die in internationalen Wissenschaftsmagazinen mit hohem wissenschaftlichen Anspruch veröffentlicht wurden) ab, wohingegen Präsentationen von Interventionen auf Praxisniveau akzeptiert wurden.

Als Mitglieder des WFOT und der jeweiligen nationalen Berufsverbände machen wir uns große Sorgen darüber, dass unsere Fachkonferenzen sich nicht dafür einsetzen, dass Präsentationen nach ihrem Evidenzniveau und ihrer Studienqualität ausgewählt werden. Unter Kollegen wird allgemein beklagt, dass es zu wenige randomisierte kontrollierte Untersuchungen zur Unterstützung unserer ergotherapeutischen Interventionen gibt und dass diese, soweit sie zur Präsentation auf unseren Konferenzen eingereicht waren, bisher nicht angenommen wurden.

Wir waren alle schon am Review der Abstracts für Konferenzprogramme beteiligt und sind uns darüber im Klaren, dass das Scientific Programme Committee eine schwierige Aufgabe hat. Dennoch halten wir es für unverzichtbar, den Reviewprozess einer sorgfältigen Überprüfung zu unterziehen. Wenn das wissenschaftliche Review der eingereichten Texte nicht korrekt ist, hat dies bedeutungsvolle Auswirkungen, was auf der letzten nationalen Tagung der OT Australia (2008) offensichtlich wurde. Die zurzeit gängige Praxis des Review von Abstracts, die unter anderem auch dadurch gekennzeichnet ist, dass es keine schriftliche Beschreibung dieses Prozesses gibt, wirkt sich negativ für unseren Berufsstand aus.

Wir möchten mit diesem Brief unsere Berufskollegen bitten, sich nach Kräften dafür einzusetzen, dass der WFOT und seine Mitgliedsorganisationen eine neue Scientific Review Policy sowohl für nationale als auch für internationale Konferenzen übernimmt und dass an der Entwicklung dieses neuen Regelwerks Vertreter aller Bereiche unseres Berufsstands beteiligt werden, sowohl Kliniker als auch Akademiker. Wir sind uns dessen bewusst, dass auch unserem Beruf sowohl Forschung als auch Prozeduren zur Verfügung stehen, die von anderen Gesundheitsberufen übernommen wurden und an denen sich unserer Meinung nach der WFOT orientieren könnte.

Zum Thema „Wissenschaftliches Review von Abstracts für Konferenzen” wurde viel geforscht, die Schlussfolgerungen lauten:

„Blinde” Reviews von Abstracts bleiben wichtig, auch wenn akzeptiert werden muss, dass das Unkenntlichmachen von Autor und Identität der Institution die Höhe der Variabilität in den Punktzahlen zwischen Abstract-Reviewern nicht verbessert [1]. Tatsächlich erzeugt der Blinding-Effekt bestenfalls eine Vorstellung/Wahrnehmung von Objektivität, jedoch keine Objektivität an sich.

Voreingenommenheit bei positiven Ergebnissen bleibt ein wichtiger Punkt (z. B. werden Studien mit negativen Befunden wahrscheinlich nicht zu Konferenzen zugelassen), der nicht mit dem Studiendesign oder der Qualität der Studie zusammenhängt.

Peer-Reviews von Abstracts führen zu extrem unterschiedlichen Bewertungen [3] und führen wahrscheinlich zu der Situation, in der sich unser Berufsstand zurzeit befindet. Die Konsistenz der Qualität von Abstracts, die zu einer Konferenz zugelassen werden, kann verbessert werden, wenn vor der letzten Entscheidungsfindung alle Reviewer zusammenkommen, um die eingereichten Abstracts noch einmal zu besprechen und die Bewertungen zu vergleichen [4].

Zusätzlich zur wissenschaftlichen Evidenz haben wir auch darüber diskutiert bzw. uns Rat aus anderen Gesundheitsberufen geholt bezüglich der Frage, was ihre wissenschaftlichen Review-Verfahren für internationale und nationale Konferenzen sind; diese Informationen bildeten eine umfangreiche Grundlage für die Verbesserung der gegenwärtigen Position des WFOT (und ihrer Mitgliedsorganisationen). Zum Beispiel:

Die Mehrheit der internationalen und nationalen Konferenzen verfolgt eine Politik, nach der das wissenschaftliche Review von Abstracts ausschließlich von Mitgliedern des wissenschaftlichen Kommittees durchgeführt wird und alle Mitglieder des Kommittees über einen Doktor- oder Professorentitel und hohes berufliches Renommee verfügen.

Manche unserer Berufskollegen, darunter die Physiotherapeuten, bieten dort keine Posterpräsentationen mehr an, wo höher bewerteten Abstracts bei Plattformpräsentationen mehr Zeit zugestanden wird als schlechter bewerteten.

Unsere Kollegen im Bereich der Pflege sind bereits zu einem Online-Selbst-Review von Abstracts übergegangen, bei dem der einreichende Forscher einige kurze Angaben macht zur Fragestellung seiner Untersuchung, zur verwendeten Methodologie und zur Qualität der entstandenen Evidenz. Auf diese Weise erhält das wissenschaftliche Kommittee bereits vor dem Review essentielle Informationen über ein Abstract.

Manche Berufsorganisationen stellen sicher, dass die Reviewer (die aus den Reihen ihrer Mitglieder stammen) auf der Grundlage ihres anerkannten Wissens und Könnens in einem bestimmten Bereich ihres Berufes ausgewählt werden. Die Urologische Gesellschaft informiert online darüber, wie sie dieses Ziel erreicht; Mitglieder reichen eine Bewerbung als Reviewer inkl. Lebenslauf ein und werden aufgrund ihres Fachkönnens und ihres Forschungswissens ausgewählt. Für jede Subdisziplin werden nur sechs Reviewer ausgewählt. Dieser Einsatz von anerkannten Experten in vielen, klar voneinander abgegrenzten Unterspezialisierungen scheint üblich zu sein; die European Association of Plastic Surgeons (EAPS) verfolgt ebenfalls diesen Ansatz. Allerdings hat sie statt sechs pro Fachbereich nur insgesamt zehn Reviewer, von denen jeder jedes eingereichte Abstract bearbeitet (> 300 Abstracts).

In unserem Beruf wird es immer Enthusiasmus und Leidenschaft für die Forschung geben, und wir akzeptieren, dass diese Leidenschaft für kraftvolle Forschung und wissenschaftliche Exzellenz nicht unbedingt von jedem einzelnen Mitglied geteilt wird. Unsere größte Sorge angesichts der Ereignisse der letzten fünf Jahre ist, dass der WFOT und seine Mitgliedsorganisationen einen Kurs fortsetzen könnten, bei denen die Konferenzen sehr viel mehr zu tun haben mit der Erhaltung der Organisation und den ideologischen und politischen Bindungen (commitments), die von Teilen der Mitglieder bevorzugt werden. Wir plädieren für Folgendes: (a) hohe Standards bei der Annahme von Konferenzpapers (und damit verbunden eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit, dass bei unseren Veranstaltungen hochwertige Papers präsentiert werden), und (b) dass der WFOT Möglichkeiten in Betracht zieht, um dazu beizutragen, dass unser Beruf sich weiterentwickelt in Richtung einer rigoroseren und konsistenteren Bewertung von Abstracts für Konferenzen.

Dr Natasha Lannin, The University of Sydney, Australia
Dr Louise Gustafsson, The University of Queensland, Australia
Professor Anne Cusick, University of Western Sydney, Australia
Professor Marion Walker, The University of Nottingham, England
Dr. Esther Steultjens, Ergologie, Zeist, The Netherlands
Janet Fricke, LaTrobe University, Australia
Dr Ailie Turton, University of Bristol, England
Dr Pip Logan, The University of Nottingham, England
Elspeth Froude, La Trobe University, Australia
Dr Annie McCluskey, The University of Sydney, Australia
Dr Avril Drummond, The University of Nottingham, England
Dr Susan Corr, The University of Northampton, England
Joanna Fletcher-Smith, The University of Nottingham, England
Dr Kate Radford, University of Central Lancashire, England
Dr Lorraine Pinnington, University of Nottingham, England
Iona Novak, Cerebral Palsy Institute, Australia[1]

Literatur

  • 1 Smith J, Nixon R, Bueschen A J. et al . Impact of blinded versus unblinded abstract review on scientific program content.  Journal of Urology. 2002;  168 2123-2125
  • 2 Callaham M L, Wears R L, Weber E J. et al . Positive-outcome bias and other limitations in the outcome of research abstracts submitted to a scientific meeting.  JAMA. 1998;  280 254-257
  • 3 Rubin H R, Redelmeier D A, Wu A W. et al . How reliable is peer review of scientific abstracts? Looking back at the 1991 Annual Meeting of the Society of General Internal Medicine.  Journal of General Internal Medicine. 1993;  5 255-258
  • 4 Bhandari M, Templeman D, Tornetta P. Interrater reliability in grading abstracts for the orthopaedic trauma association.  Clinical Orthopaedics and Related Research. 2004;  423 217-221