Z Gastroenterol 2009; 47(1): 19-20
DOI: 10.1055/s-0028-1109086
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der Aufstieg der Hepato-Onkologie

The Rise of Hepato-OncologyP. Schirmacher1
  • 1Institut für Pathologie, Universitätsklinikum
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Publication Date:
20 January 2009 (online)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

es ist noch nicht lange her, dass zumindest in den westlichen Industrienationen das hepatozelluläre Karzinom weder den Gastroenterologen noch den Onkologen nennenswert interessierte. Es herrschte die Meinung vor, dass es weitgehend ein Problem der schwarzafrikanischen und südostasiatischen Entwicklungsländer sei und allenfalls bei wenigen Patienten im Terminalstadium einer Zirrhose auftrete. Demzufolge gab es (von wenigen resezierten Patienten abgesehen) keine spezifische Therapie, keine Sekundärprävention, keine Studienkultur, ja noch nicht einmal ein geeignetes Forum für diese Tumorerkrankung. Kurz und gut, das hepatozelluläre Karzinom (HCC) war eine sog. ‚Orphan Disease’ und Anlass zum klinisch-therapeutischen Nihilismus. Parallel hierzu war – was nicht verwundert – das Interesse der Industrie an der Berücksichtigung des HCC bei pharmakologischen Entwicklungen und Studienplanungen gering.

Diese Situation hat sich grundlegend gewandelt. Sie stand schon über Jahrzehnte in krassem Gegensatz zur Bedeutung des HCC in der Forschung. Die Leber(tumor)zelle ist eine der, wenn nicht die bevorzugte Spielwiese der Biochemiker, Zell-, Molekular- und neuerdings Systembiologen. Es gibt somit wenige Zelltypen, über die wir so viel wissen, wie über den Hepatozyten/die HCC-Zelle. Auch existiert kaum eine Tumorerkrankung, bei der die molekulare Ätiologie ähnlich gut bekannt ist; in über 80 % der Fälle können wir sie klar benennen.

Umfangreiche epidemiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass das HCC weltweit die dritthäufigste tumorbedingte Todesursache darstellt und die Zahlen auch in den westlichen Industrienationen z. T. dramatisch zunehmen; in den USA ist das HCC bei Männern mittlerweile die Tumorerkrankung mit der stärksten prozentualen Zunahme überhaupt. Auch wenn wir heute wissen, dass in früheren Zeiten das HCC sicher eine erheblich unterdiagnostizierte Tumorerkrankung war und viele Fälle mangels geeigneter Bildgebung nicht erkannt oder als Dekompensation einer bekannten Zirrhose keiner weiteren Diagnostik zugeführt wurden, handelt es sich hierbei sicher nicht um einen diagnostischen Bias. Die bekannten HCC-Ursachen (HBV, HCV, ASH, NASH) stellen auch in unseren Breiten ein großes epidemiologisches Problem dar, sodass Handeln auf allen Ebenen (Politik, klinische Strukturen, Prävention, Therapie, Diagnostik) dringend erforderlich ist.

Auf diagnostischen Gebiet hat sich vieles getan; die bildgebende Diagnostik hat sehr von den Verbesserungen auf dem Gebiet der Kontrastmittel und auch dem kontrastmittelunterstützten Ultraschall profitiert. Die histologische Diagnostik kann heutzutage aufgrund verbesserter Algorithmen und neuer Marker wesentlich zuverlässiger die schwierige Diagnose hochdifferenzierter (früher) HCC stellen.

Auch die Prävention hat Fortschritte aufzuweisen. Die Daten zeigen eindeutig, dass die HBV-Impfung die (HBV-bedingte) HCC-Inzidenz senkt, sodass die Hoffnung besteht, über eine flächendeckende Verbreitung der Impfung das HBV-induzierte HCC deutlich zu reduzieren. Da jedoch in den westlichen Industrienationen die chronische Hepatitis C die führende virale Ätiologie darstellt, würde wohl erst eine HCV-Impfung den entscheidenden Durchbruch bringen. Wenngleich die antitumorigene Wirkung einer erfolgreichen antiviralen Therapie mittlerweile akzeptiert ist, so ist bislang lediglich bei 50 – 60 % der Patienten (bezogen auf alle Genotypen) eine „sustained virological response” zu erzielen; es lässt sich wohl die Gleichung aufmachen: verbesserte antivirale Therapie = effizientere HCC-Prävention. Es ist mittlerweile leitlinienfixierter Konsens, dass bei Hochrisikopatienten (Zirrhosepatienten) ein HCC-Screening (AFP-Bestimmung und Ultraschalluntersuchung mindestens alle 6 Monate) von Vorteil ist. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung könnten die effektivsten Fortschritte sicher auf dem Gebiet der Primär- und Sekundärprävention erzielt werden.

Am spektakulärsten sind naturgemäß die Fortschritte in der Therapie. Das HCC hat sich mittlerweile als veritable Transplantationsindikation etabliert; das Langzeit-Überleben ist kaum schlechter als bei den nicht tumorösen Indikationen und somit profitieren viele HCC-Patienten von den Fortschritten der Lebertransplantation selbst und das Überleben nach Resektion ist aufgrund vieler Detailverbesserungen erheblich günstiger. Zudem haben wir mittlerweile mit Sorafenib das erste (spezifische) Therapeutikum, das in der palliativen Situation zu einem nachweisbaren, wenn auch geringen Überlebensvorteil führt. Neue Behandlungsformen, wie z. B. die Endoradiotherapie, beginnen sich zu etablieren.

Diese z. T. dramatischen Veränderungen haben auch in der Öffentlichkeit und der Industrie zu einem gewissen Umdenken geführt. Das HCC ist mittlerweile auf der Agenda; die Bereitschaft, Programme und Studien zu fördern, steigt erheblich, wodurch sich erste Erfolge (s. o.) einstellen. Wir sollten uns aber nicht der Illusion hingeben, dies erfolge allein aufgrund unserer verbesserten diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Wesentlich sind der Druck der Zahlen und der Aufstieg der südostasiatischen Wirtschaft, mit dem die Aussicht verbunden ist, dass in Zukunft auch teuerere Therapien Hunderttausenden neuer HCC-Patienten zugängig gemacht werden können.

Wir leben somit, bezogen auf das HCC, in einer äußerst spannenden Zeit, dem Entstehen und Aufwachsen einer hepatologischen Onkologie. Immer noch sind unsere therapeutischen und diagnostischen Möglichkeiten begrenzt und hinken denen anderer Tumorerkrankungen deutlich hinterher; fast monatlich kommen aber neue Aspekte und Optionen hinzu und es ist davon auszugehen, dass sich dies in der Zukunft in beschleunigter Form fortsetzen wird; die HCC-Therapie und -Diagnostik in 5 Jahren wird sich erheblich vom heutigen Stand unterscheiden.

Ziel der vorliegenden Ausgabe der Zeitschrift für Gastroenterologie ist es, auf wichtigen Gebieten den gegenwärtigen Stand der Bemühungen um eine verbesserte HCC-Therapie und -Diagnostik, d. h. insbesondere frühe klinische Entwicklungen und neu etablierte Therapieansätze darzustellen. Wir stehen noch am Anfang; immer noch ist beim HCC die Inzidenz nahezu gleich der Mortalität, aber die Anfangserfolge machen Mut.

P. Schirmacher

Prof. Dr. Peter Schirmacher

Institut für Pathologie, Universitätsklinikum

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