Aktuelle Neurologie 2009; 36(6): 285
DOI: 10.1055/s-0029-1220335
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kapazitätsverordnung

Capacity Regulation DecreeH.-C.  Diener1
  • 1Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. August 2009 (online)

Prof. Dr. H.-C. Diener

Es begab sich vor langer Zeit, so fangen viele Märchen an. Es begab sich vor langer Zeit, dass es einen Mangel an Ärzten gab und keine Beschränkungen für den Zugang zum Medizinstudium. Das war der Fall bei Wiedereröffnung der Medizinischen Hochschulen nach dem 2. Weltkrieg. Relativ rasch war dann die Zahl der Interessenten für ein Medizinstudium deutlich höher als die Zahl der verfügbaren Studienplätze und es wurde der Numerus clausus für das Medizinstudium eingeführt. Erwartungsgemäß wurden dann relativ rasch die Grundlagen, auf denen die Zahl von Medizinstudenten in den einzelnen Fakultäten berechnet wurde, von findigen Rechtsanwälten angegangen und dies führte zu der unseligen „Kapazitätsverordnung” (KapVO). Diese legt vereinfacht dargestellt fest, welche Flächen eine medizinische Fakultät für den medizinischen Unterricht zur Verfügung hat und wie viele der Personalstellen dem Budget Lehre zugeordnet sind (http://medwiki.bvmd.de/wiki/KapVO_-_Kapazit%C3 %A4tsverordnung). Vereinfacht gesagt, sobald eine Fakultät ihre Lehrflächen vergrößert (um beispielsweise die Studienbedingungen zu verbessern) oder mehr wissenschaftliches oder ärztliches Personal einstellt, um die Lehre zu verbessern, führt dies automatisch bzw. durch ein gerichtliches Verfahren vor einem Verwaltungsgericht mit Verweis auf die Kapazitätsverordnung zu einer Zunahme der Zahl der Studienplätze. Man wundert sich täglich, wie ein solches Relikt wie die KapVO heute noch Bestand hat.

Die neue Approbationsordnung hat erfreulicherweise dazu geführt, dass der Unterricht am Krankenbett jetzt zunehmend in Kleingruppen durchgeführt wird, wobei idealerweise auf einen Lehrenden 2–3 Studenten kommen sollen. Dies ist allerdings in vielen neurologischen Universitätskliniken nicht umzusetzen und wir alle waren daher außerordentlich dankbar, dass sich einige unserer Lehrkrankenhäuser bereit erklärt haben, nicht nur PJ-Studenten zu nehmen, sondern auch Studenten im klinischen Studienabschnitt am Krankenbett auszubilden. Diese dramatische Verbesserung der Lehrsituation führte dann umgehend zu Verfahren von Verwaltungsgerichten durch findige Rechtsanwälte, die argumentierten, dass dadurch nach Kapazitätsverordnung die Bedingungen der Lehre verbessert sind und damit mehr Studenten zugelassen werden müssen. Dieselbe Problematik erklärt auch, warum aus den Studiengebühren der Studenten keine ärztlichen Mitarbeiter zusätzlich eingestellt werden können, die zeitlich begrenzt schwerpunktmäßig die Lehre für die Studenten organisieren und durchführen. Unser aller Traum war, als die Studiengebühren eingeführt wurden, dass wir didaktisch begabte Kollegen einstellen können, die dann beispielsweise für ein Jahr diese Aufgabe übernehmen. Im Bereich der klinischen Ausbildung würde diese ebenfalls als eine Erhöhung der Kapazität mit entsprechenden höheren Studentenzahlen angesehen. Zur Zeit einer großen Koalition wäre es ein Leichtes gewesen, das Grundgesetz zu ändern und die Kapazitätsverordnung außer Kraft zu setzen. Leider hat die große Koalition dazu nicht die Kraft gefunden. Und ein Zusätzliches: Sie werden es nicht glauben, es gibt zivilisierte Länder wie die USA in denen es keine Verwaltungsgerichte gibt. Entgegen aller Unterstellungen deutscher Juristen sind diese Länder funktionsfähig und nicht ins juristische Nirwana versunken.

Prof. Dr. med. H. C. Diener

Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen

Hufelandstr. 55

45147 Essen

eMail: hans.diener@uni-duisburg-essen.de

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