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DOI: 10.1055/s-0031-1281022
Warum genetische Diagnostik?
Publication History
Publication Date:
21 June 2011 (online)
? Herr Professor Kunze, viele Eltern oder auch betroffene Erwachsene fragen sich, warum man überhaupt eine genetische Diagnostik "auf sich nehmen soll", wo sie ja doch nichts an der Ursache – wenn man sie denn überhaupt feststellen kann – ändern kann. Was entgegnen Sie diesem häufig gehörten Argument?
In den letzten Jahren haben sich die Möglichkeiten einer genetischen Diagnostik rasant entwickelt. Eine Untersuchung kann z.B. klären, ob die diagnostizierte Erkrankung familiär vorliegt oder neu entstanden ist, falls die übrige Familie des Kindes/Patienten mit anamnestischen Angaben einverstanden ist bzw. ebenfalls in die Untersuchung einwilligt. Zudem können familiäre Hinweise zu gesunden genetischen Überträgern gegeben werden.Die Untersuchungen geben auch Hinweise darauf, ob eine genetisch vermutete Erkrankung nach derzeitigem Wissenstand überhaupt vorliegt bzw. ob diese mit fortschreitendem Alter auch erst manifest wird. Auch über den Nutzen therapeutischer Interventionen kann das Untersuchungsergebnis Auskunft geben.Außerdem: Wenn ein überweisender Arzt z.B. ein Kind zur genetischen Untersuchung anmeldet, muss diese nicht durchgeführt werden. Dazu bedarf es einer ausführlichen genetischen Beratung der Eltern. Die Eltern entscheiden selbst über diese vorgeschlagene Untersuchung.
? Viele Eltern meinen, dass der eventuelle Nachweis einer "Erbkrankheit" zum Nachteil für ihr Kind verwendet werden könnte, z.B. bei zukünftigen Lebensversicherungen, bei Bewerbungen auf ein öffentliches Amt oder anderen Aktivitäten mit Risikoermittlung. Ist die Sorge begründet?
Am 1. Februar 2010 trat das "Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen" (Gendiagnostikgesetz, kurz GenDG) in Kraft. Zweck dieses Gesetzes ist es, die Voraussetzungen für genetische Untersuchungen und die im Rahmen genetischer Untersuchungen durchgeführte genetische Analysen sowie die Verwendung genetischer Proben und Daten zu bestimmen und eine Benachteiligung auf Grund genetischer Eigenschaften zu verhindern, um insbesondere die staatliche Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Würde des Menschen und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu wahren (§1, GenDG). Die Paragraphen 4 und 21 des GenDG regeln die Frage des Patientenschutzes weiterer verwandter Personen und den Schutz des Patienten, sollte der/die Betroffene später in ein berufliches Beschäftigungsverhältnis eintreten. Die Betroffenen brauchen dem Arbeitgeber bereits vorgenommene Untersuchungsergebnisse nicht zu offenbaren bzw. Untersuchungen vornehmen zu lassen.
? Gut zu hören, dass Benachteiligungen nicht zu befürchten sind! In dem Gesetz wird zwischen diagnostischen (d.h. bei bereits erkrankten Personen) und prädiktiven genetischen Untersuchungen (d.h. bei (noch) nicht erkrankten Personen) unterschieden. Wer darf diese Untersuchungen vornehmen?
Nach §7 des GenDG darf eine diagnostische Untersuchung nur durch Ärzte und eine prädiktive Untersuchung nur durch Fachärzte für Humangenetik oder andere Ärzte, die sich beim Erwerb einer Facharzt-, Schwerpunkt- oder Zusatzbezeichnung für genetische Untersuchungen im Rahmen ihres Fachgebietes qualifiziert haben, vorgenommen werden.
? Was können Nachteile einer diagnostischen genetischen Untersuchung sein?
Die Paragraphen 4 und 18-21 des GenDG erörtern die Benachteiligungsverbote z.B. beim Abschluss eines Versicherungsvertrages (z.B. Lebensversicherung…), das Verhalten bei Eintritt in das Arbeitsleben mit evtl. Begründung vor und nach dem Beschäftigungsverhältnis, den Arbeitsschutz und das oben erwähnte arbeitsrechtliche Benachteiligungsverbot.Persönliche Überlegungen hinsichtlich einer Untersuchung können sich auch (im religiösen Bereich) ergeben, sollte es später bei Partnersuche zu Gesprächen über das individuelle genetische Schicksal der Vererbung in die kommende Generation mit Überlegungen zur pränatalen Diagnostik ergeben.
? Gibt es ein Recht auf Nicht-Wissen hinsichtlich der Ergebnisse von diagnostischen Gentests?
Es gibt das Recht auf Nichtwissen (§9,5) "einschließlich des Rechts, das Untersuchungsergebnis oder Teile davon nicht zur Kenntnis zu nehmen, sondern vernichten zu lassen".
? Findet das Gesetz auch für Forschungsfragen Anwendung?
Nach § 2(2)1 gilt das GenDG nicht für Forschungszwecke."Im Jahre 2003 zeigten von insgesamt 540 Patienten mit monogenen Erkrankungen, die einer Behandlung unterzogen wurden, nur 12% einen voll befriedigenden, 54% einen teilweisen und 34% überhaupt keinen Therapieerfolg. Am erfolgreichsten waren … symptomatische Behandlungen Nur in 10% der Patienten brachte der Einsatz von Pharmaka eine Besserung." [Höhn H. Taschenlehrbuch Humangenetik. Stuttgart: Thieme; 2006]. Wiederum obliegt den Eltern das weitere Procedere.
? Gibt es derzeit in der Routine-Diagnostik genetische Unter-suchungen zur spezifischen Sprachentwicklungsstörung, FOXP2 oder Legasthenie?
Für eine genetische Routinediagnostik zu diesen Fragen existieren z. Zt. in Deutschland keine Labore.
Herr Professor Kunze, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Das Interview führte Dr. med. Jochen Rosenfeld, Berlin.