Diabetologie und Stoffwechsel 2011; 6(6): 375-376
DOI: 10.1055/s-0031-1283845
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Diabetesversorgung im Krankenhaus

Hospital Management of Diabetes mellitus
A. Hamann
1   Medizinische Klinik IV, Hochtaunus-Kliniken, Bad Homburg
,
S. Matthaei
2   Diabetes-Zentrum am Christlichen Krankenhaus, Quakenbrück
,
E. Siegel
3   Abteilung für Gastroenterologie und Diabetologie, St. Vincenz-Krankenhaus, Limburg / Lahn
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Publication Date:
22 December 2011 (online)

Nach der über Fallpauschalen berechneten Krankenhausstatistik (DRG-Statistik) wurden im Jahr 2010 über 18 Millionen Patientinnen und Patienten vollstationär in deutschen Krankenhäusern behandelt, was einer Zunahme um 1,2 % bzw. über 200 000 Fällen gegenüber dem Vorjahr entsprach. Die mittlere Verweildauer sank auf zuletzt 7,9 Tage. Der Anteil von Fällen mit Primärdiagnose „Diabetes mellitus“ liegt aktuell für das Jahr 2010 noch nicht vor, betrug jedoch im Vorjahr 2009 ca. 211 000 und somit 1,2 % aller stationär behandelten Patienten. Wesentlich größer, aber weitaus schwerer bezifferbar, ist der Anteil von stationären Patienten mit der Nebendiagnose Diabetes mellitus. Frühere Erhebungen an großen Kliniken gehen von einer Prävalenz von bis zu 30 % aus. Jedoch wird nur bei einem wesentlich geringeren Anteil von Patienten die Nebendiagnose Diabetes tatsächlich gestellt bzw. die Folgekomplikationen erkannt und dokumentiert. Dieses Defizit wirkt sich einerseits ungünstig auf die Erlössituation einer Klinik aus, andererseits natürlich in vielen Fällen auch auf die Versorgung der betroffenen Patienten mit Diabetes.

In einer Originalarbeit in diesem Heft von Diabetologie und Stoffwechsel beschreiben Jörg Tafel et al. am Beispiel der Main-Taunus-Kliniken Bad Soden die Versorgungsrealität sowie ihre Strategien zur Optimierung der stationären Diabetesversorgung in einem Akutkrankenhaus der Schwerpunktversorgung. Mithilfe der Einführung eines diabetesspezifischen Struktur- und Prozessmanagements nach Übernahme der Abteilung durch einen renommierten Diabetologen sowie der Etablierung eines interdisziplinären Diabetesteams konnte die Diabetesversorgung deutlich verbessert werden. Die Maßnahmen beinhalteten die stringente Identifizierung der Nebendiagnose Diabetes sowie der wesentlichen diabetischen Folgeschäden bei allen stationären Patienten einschließlich konsequenter Erhebung relevanter Laborparameter, sowie die Einführung eines fachdiabetologischen Konsiliardienstes. Mittels Nachbefragung wurden die Ergebnisse in einer Subgruppe stationär diabetologisch mitbetreuter Patienten nach Entlassung überprüft. Schließlich erfolgte eine ökonomische Analyse, in welcher der zusätzliche personelle und materielle Aufwand mit dem erzielten Mehrerlös für die Klinik verglichen wurde. Die beschriebenen Arbeitsschritte stellen ein exzellentes Beispiel dar, wie mit vergleichsweise einfachen Mitteln und viel persönlichem Engagement die Versorgung im Akutkrankenhaus nicht nur sorgfältig untersucht und nachhaltig verbessert werden kann, sondern aus dem Mehrwert für die betreuten Patienten auch ein finanzieller Mehrwert für das Klinikum wurde. Wie kann das funktionieren und wie können die Daten von Tafel et al. anderen Kliniken ein Beispiel geben, es ihnen nachzutun?

Für die Versorgung von Patienten mit Diabetes mellitus, die wegen einer entgleisten Stoffwechsellage oder einer spezifischen diabetischen Komplikation (beispielsweise dem diabetischen Fußsyndrom) eine stationäre Krankenhausbehandlung benötigen, standen zuletzt immer weniger spezialisierte diabetologische Fachabteilungen zur Verfügung. So gingen an deutschen Universitätskliniken in den vergangenen Jahren etliche eigenständige Lehrstühle für Endokrinologie und Diabetologie verloren. Hier ebenso wie an vielen Kliniken kommunaler, kirchlicher oder privater Träger erfolgt bestenfalls die diabetologische Versorgung unter Aufsicht eines diabetologischen Ober- oder Facharztes in einer inneren Abteilungen mit anderem Schwerpunkt, oftmals jedoch findet sich in einem deutschen Krankenhaus überhaupt kein ausgebildeter Diabetologe. Für den ambitionierten medizinischen Nachwuchs erschien die Diabetologie daher schon lange nicht mehr als eine Disziplin, die attraktive Perspektiven im akademischen oder stationären Bereich bietet. Ein nicht unerheblicher Grund hierfür ist natürlich die Verlagerung diabetologischer Leistungen in den ambulanten Bereich. Hierzu wurde in Deutschland ein engmaschiges Netz von diabetologischen Schwerpunktpraxen etabliert, in denen überwiegend eine sehr gut qualifizierte Versorgung angeboten wird. Dennoch besteht in vielen Fällen nach Ausschöpfen der ambulanten Therapieoptionen die Notwendigkeit für eine Einweisung in eine stationäre diabetologische Einrichtung. Es wäre zu wünschen, dass die Versorgung dieser Patienten mit der Primärdiagnose Diabetes mellitus nach Ausschöpfung der ambulanten Möglichkeiten oder bei akuten Problemen vornehmlich in entsprechend zertifizierten Einrichtungen erfolgt, welche die notwenigen Voraussetzungen seitens Struktur- und Prozessqualität gegenüber der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) als zuständiger Fachgesellschaft nachgewiesen haben. Gleiches gilt für die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms in entsprechend hierfür qualifizierten und zertifizierten Einrichtungen.

Was jedoch die Behandlung der Nebendiagnose Diabetes mellitus betrifft, so hat diese in allen deutschen Krankenhäusern zu erfolgen. Jede Klinikleitung sollte kritisch überprüfen, wie eine Versorgung von Patienten mit der Begleiterkrankung Diabetes mellitus jeglicher Entität auf möglichst hohem Niveau sichergestellt werden kann. Aufgrund der weiten Verbreitung des Diabetes mellitus als Nebenbefund zu jeder denkbaren Primärdiagnose, mit der Menschen in Krankenhäusern aufgenommen werden, betrifft dieses sämtliche nichtoperativen und operativen Fächer der Medizin. Die Etablierung von Diabetesteams kann erheblich zur Verbesserung der aktuellen Versorgungssituation beitragen. Eine weitere Maßnahme kann die Benennung von Verantwortlichen in der Pflege auf jeder einzelnen Station für das Thema Diabetes darstellen, natürlich nach vorheriger Qualifikation dieser Mitarbeiter in einer internen oder externen Weiterbildung. 

Der Bundesverband der Diabetologen in Kliniken (BVDK), dessen Vorstand die Autoren dieses Editorials angehören, kümmert sich seit etlichen Jahren nicht nur um die Belange der stationär tätigen Diabetologen, sondern auch um die Verbesserung der Diabetesversorgung im Krankenhaus. Diese Aktivitäten überschneiden sich teilweise inhaltlich und personell mit der Arbeitsgruppe „Klinische Versorgung“ innerhalb des „Diabetes Excellence Center“ (DEC), einer von der Firma Lilly unterstützten Initiative von Diabetologen. Aus dieser Kooperation resultierte u. a. der „Diabetes mellitus XXS pocket guide“ als schnelles Nachschlagewerk für Klinikärzte, egal ob Diabetologe oder nicht. Auch werden über das DEC Strategien zur Verbesserung der Diabetesversorgung im Krankenhaus in bundesweiten Seminaren vermittelt. Interessierte Mitglieder erhalten zudem auf Anfrage an den BVDK eine individuelle Beratung bei der Optimierung der Diabetesversorgung im Krankenhaus. Aktuelle Themen, mit denen sich DEC und BVDK befassen, sind ein Schulungskonzept für Pflegekräfte zu den diabetesrelevanten Themen in Kliniken sowie ein Muster-Qualitätshandbuch zur Hinterlegung in der Klinik-EDV. Zudem befasst sich speziell der BVDK intensiv mit der Schnittstelle von stationärer und ambulanter Versorgung. Dieses erfolgt in Absprache mit dem Bund niedergelassener Diabetologen (BVND) nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass demnächst von einem Mangel an diabetologisch ausgebildeten Ärzten auszugehen ist. Umso wichtiger wird dann die Überwindung starrer Grenzen der sektoralen Versorgungsstrukturen durch pragmatische Lösungen, von denen ambulant tätige Ärzte ebenso wie Kliniken und ihre jeweiligen Patienten profitieren. Dieses kann die Tätigkeit als Belegarzt oder Konsiliararzt durch niedergelassene Diabetologen in Kliniken ihrer Region ebenso beinhalten, wie die Übernahme eines ambulanten Versorgungsauftrag durch einen Klinikarzt neben seiner Krankenhaustätigkeit. Auch das an vielen Orten weiterhin als Reizthema betrachtete Konstrukt von Medizinischen Versorgungszentren an Kliniken darf nicht generell ausgeklammert werden, wenn eine adäquate diabetologische Versorgung von stationären und ambulanten Patienten nicht durch andere Konstrukte etabliert werden kann.

Natürlich würde es die Vorstände von Berufsverband und Fachgesellschaft sehr freuen, wenn zukünftig wieder mehr eigenständige diabetologische Fachabteilungen an deutschen Kliniken etabliert würden. Dort wo sie existieren, brauchen sie sich hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit zumeist nicht hinter den anderen Klinikabteilungen zu verstecken. Stationäre Diabetologie sorgt mit einem „Case Mix Index“ um 1 zwar nicht für die ganz großen Einnahmen im DRG-System, ist dafür aber auch nicht mit den hohen Ausgaben vieler anderer Disziplinen verbunden. In der Summe rechnet sich somit die Diabetologie für Akutkrankenhäuser der Schwerpunktversorgung. Eine diabetologische Fachabteilung mit dazugehöriger Weiterbildungsbefugnis macht darüberhinaus ein Klinikum interessanter als Ausbildungsstandort für Internisten und Allgemeinmediziner – ein in Zeiten des Ärztemangels an vielen Kliniken nicht zu unterschätzender Aspekt. Die Möglichkeit zur Weiterbildung in einem voraussichtlich zukünftigen Mangelfach – wenn man allein die demographische Entwicklung und die zunehmende Verbreitung von Übergewicht betrachtet – verbindet mit der diabetologischen Ausbildung an einer qualifizierten Klinik die Aussicht auf eine später überdurchschnittlich honorierte Praxistätigkeit.

Ziel sollte es sein, dass engagierte und gut ausgebildete Diabetologen mit ihren interdisziplinären Teams in unserer vielseitigen Krankenhauslandschaft die Möglichkeit bekommen, im Dialog mit sämtlichen Fachabteilungen einer Klinik die medizinischen Belange der Patienten mit Diabetes zu vertreten. Die Behandlung des Diabetes und seiner assoziierten Risikofaktoren wird dadurch nicht nur für die Zeit in der Klinik verbessert, sondern zum Teil auch noch Jahre nach der Entlassung, wie in der Arbeit von Tafel et al. gezeigt. Lohnende Nebeneffekte sind häufig eine verkürzte Verweildauer im Krankenhaus, ein komplikationsärmerer stationärer Verlauf und letztlich zufriedenere Patienten. Angesichts des hohen Anteils der Diagnose Diabetes unter den stationären Patienten könnte deren erneute Wahl eines Krankenhauses auch davon abhängen, wie auf das spezielle Problem des Diabetes mellitus in der jeweiligen Klinik eingegangen wurde.