RSS-Feed abonnieren
DOI: 10.1055/s-0031-1292815
Multiple Sklerose und die Bedeutung von Infektionen
Multiple Sclerosis and the Relevance of InfectionsPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
14. November 2011 (online)
Seit mehr als 100 Jahren wird diskutiert, ob die Multiple Sklerose (MS) durch ein Virus ausgelöst werden kann, welches dann eine chronische Entzündungsreaktion nach sich zieht. Sogenannte Epidemien wie sie in den Kriegsjahren auf den Faröer-Inseln beschrieben wurden, gaben solchen Theorien wieder neue Nahrung. Dazu kommt die Erkenntnis aus Zwillingsstudien, dass selbst bei eineiigen Zwillingen mit genetischer Identität das Risiko für den anderen Zwillingsgeschwister, an MS zu erkranken nur bei ca. 35 % liegt. Unbestreitbar müssen also Umwelteinflüsse zur Manifestation der Krankheit beitragen.
Leider blieben bisher auch die in den letzten Jahren molekulargenetisch untermauerten Befunde zu einer möglichen infektiösen Pathogenese der MS ohne weiterführende Aspekte. Nachdem schon in den 1970er-Jahren Masern, Röteln und Mumps beschrieben wurden, brachten molekulare Befunde aus dem Liquor wieder das Epstein-Barr-Virus als Verdächtigen ins Gespräch [1]: oligoklonale Banden erkannten vermehrt Epitope von EBV Viren. Neuerdings wurde auch die Möglichkeit diskutiert, dass durch dieses Virus eine chronische Infektion von B-Zellen und Kompartmentalisierung von B-Zell-Follikeln in den Meningen vorliegen könnte [2]. All dies sind jedoch vage Hypothesen, die bisher nicht weiter durch andere Gruppen bestätigt werden konnten. Neben erfolglosen antiviralen Therapieversuchen sprechen insbesondere auch kanadische Studien an MS-Patienten mit Adoptionshintergrund dagegen, dass das Familienumfeld vermehrt an MS erkrankt und ein putatives Virus übertragen wird.
Im aktuellen Heft geben Winkelmann et al. einen sehr schönen Überblick über die z. Z. gültigen Befunde und Hypothesen. Unbestritten ist, dass durch Begleitinfekte bei bereits manifester Multipler Sklerose über die Aktivierung des Immunsystems auch weitere Schübe getriggert werden. Dies trägt zur Schubhäufung in Übergangsjahreszeiten bei, und wird wahrscheinlich durch ‚Toll like Rezeptoren‘ des angeborenen Immunsystems vermittelt. So lange wir bzgl. der möglichen Auslöser für MS noch so im Dunkeln tappen wie momentan, sollten wir zunächst offen für zukünftige Entwicklungen sein. Verdachtsmomente sind allerdings immer dann angeraten, wenn postulierte „Wunderheilungen“ gleichzeitig mit hohen finanziellen Belastungen für die Patienten verbunden sind. Auch die letzte postulierte MS-Welle durch Chlamydien ist unter Antibiotikatherapie [3] rasch und folgenlos abgeklungen!
Neueste Ergebnisse aus dem MPI Martinsried zeigen auf international höchstem Niveau [4] den Zusammenhang zwischen Darmbakterien und Autoimmunität, ohne dass man zu diesem Zeitpunkt daraus schon direkte Implikationen für die MS-Therapie voraussehen kann.
-
Literatur
- 1 Cepok S, Zhou D, Srivastava R et al. Identification of Epstein-Barr virus proteins as putative targets of the immune response in multiple sclerosis. J Clin Invest 2005; 115: 1352-1360
- 2 Serafini B, Rosicarelli B, Franciotta D et al. Dysregulated Epstein-Barr virus infection in the multiple sclerosis brain. J Exp Med 2007; 204: 2899-2912
- 3 Sriram S, Yao SY, Stratton C et al. Pilot study to examine the effect of antibiotic therapy on MRI outcomes in RRMS. J Neurol Sci 2005; 234: 87-91
- 4 Berer K, Mues M, Koutrolos M et al. Commensal microbiota and myelin autoantigen cooperate to trigger autoimmune demyelination. Nature 2011; Doi: DOI: 10.1038/nature10554.