Hintergrund: Publizierte Befunde zu möglichen Selektionseffekten bei Eintritt in ein DMP für die Indikation Diabetes mellitus Typ 2 sind widersprüchlich. Bislang existieren keine systematischen Analysen, inwieweit sich verbleibende DMP-Teilnehmer von jenen unterscheiden, die ihre Beteiligung am DMP nicht fortsetzen. In der Region Nordrhein wurde versucht, die Aussteigergruppe zu quantifizieren und ein statistisches Modell des Ausscheiderisikos zu formulieren.
Population und Methoden: Gegenüber 423.534 bis 2010 im DMP verbliebenen Patienten sind 33.321 Patienten bis Ende 2009 aus dem DMP ausgeschieden. Gemäß vorliegender administrativer Informationen verstarben hiervon 5.699 Personen, so dass die Aussteigergruppe 27.622 Patienten umfasste. Die Analysen erfolgten primär deskriptiv-statistisch, das Ausscheiderisiko wurde über ein logistisches Regressionsmodell ermittelt (Odds Ratio OR, 95% Konfidenzintervall CI).
Ergebnisse: In Bezug auf die zuletzt 2009 in beiden Populationen dokumentierten Werte waren die ausgeschiedenen gegenüber den verbliebenen Patienten über ein Jahr älter (67,8±14,2 vs. 66,5±11,6 Jahre) sowie länger erkrankt (10,0±7,8 vs. 8,4±7,0 Jahre). Es zeigte sich zudem ein geringfügig höherer HbA1c-Wert unter den ausgeschiedenen Patienten (7,2±1,5 vs. 7,0±1,2%). Zudem fand sich eine höhere Rate nicht wahrgenommener Schulungen unter den ausgeschiedenen Teilnehmern (15,4 vs. 12,3%). Im multivariaten Modell erwiesen sich ein hohes Alter (≥76 vs. ≤65 Jahre, OR 1,71, CI 1,62–1,81), das Auftreten schwerer Folgeerkrankungen (Erblindung, Dialyse, Amputation, OR 1,73, CI 1,49–2,01), ein HbA1c-Wert ≥8,5% (OR 1,83, CI 1,72–1,94) sowie stationäre Diabetesbehandlungen (OR 1,58, CI 1,26–1,99) als die bedeutendsten Ausscheiderisiken. Hohe Korrelationen fanden sich auch mit einer nicht wahrgenommenen Schulung (OR 1,35, CI 1,29–1,41) sowie einer nicht erfolgten augenärztlichen Untersuchung der Netzhaut (OR 1,96, CI 1,86–2,05).
Schlussfolgerungen: Aus den vorliegenden Befunden ist abzuleiten, dass es sich bei den Aussteigern um ältere, länger erkrankte, häufiger stationär behandlungsbedürftige und morbidere Typ 2-Diabetiker mit einer schlechteren Stoffwechseleinstellung handelt. Die Ergebnisse im Hinblick auf die Nichtwahrnehmung von Schulungen bzw. Nichtdurchführung von Netzhautuntersuchungen deuten zudem darauf hin, dass auch die Therapieadhärenz in dieser Gruppe geringer ausgeprägt war. Da diese Patienten eigentlich eine wichtige Zielgruppe eines koordinierten Behandlungsprogramms sind, sollte in geeigneten Begleitstudien analysiert werden, welche Gründe im Einzelnen für den Ausstieg aus dem DMP Diabetes mellitus Typ 2 Nordrhein maßgeblich waren. Die Befunde sollten in weiteren Regionen überprüft werden.