Diabetologie und Stoffwechsel 2012; 7 - P_52
DOI: 10.1055/s-0032-1314549

Definition der Adipositas bei 91251 Erwachsenen mit DM-Typ 2: Feste WHO-Kriterien oder alters- und geschlechtsspezifische BMI-Klassifizierung anhand der Nationalen Verzehrsstudie II (NVS II) zur Prädiktion des kardiovaskulären Risikos?

N Scheuing 1, E Molz 1, C Bayer 2, F Best 3, W Kerner 4, T Lenk 5, M Pfeifer 6, D Rühl 7, M Schütt 8, E Siegel 9, A Zeyfang 10, S Zimny 11 RW Holl 1, für das DPV-Register und das Kompetenznetz Diabetes mellitus, unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
  • 1Universität Ulm, Institut für Epidemiologie und medizinische Biometrie, ZIBMT, Ulm, Germany
  • 2Klinikum Rosenheim, Innere Medizin, Rosenheim, Germany
  • 3Diabetes-Praxis Dr. Best, Essen, Germany
  • 4Klinik für Stoffwechsel und Diabetes Karlsburg, Innere Medizin, Karlsburg, Germany
  • 5Curschmann Klinik Dr. Guth, Timmendorfer Strand, Germany
  • 6Klinik Tettnang, Diabeteszentrum, Tettnang, Germany
  • 7Ev. Krankenhaus Mittelhessen, Innere Medizin I und Diabetologie, Gießen, Germany
  • 8Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Medizinische Klinik I, Lübeck, Germany
  • 9St. Vincenz Krankenhaus, Innere Medizin, Limburg, Germany
  • 10Agaplesion Bethesda Krankenhaus Stuttgart, Stuttgart, Germany
  • 11Medizinisches Zentrum Schwerin, Innere Medizin, Schwerin, Germany

Fragestellung: In der Medizin wird bei der Angabe von Referenzwerten oftmals zwischen Altersgruppen und Geschlechtern differenziert. Adipositas wird jedoch weltweit für Männer und Frauen gemäß WHO-Kriterien über einen einheitlichen BMI-Grenzwert definiert. Wäre zur Prädiktion des kardiovaskulären Risikos bei Erwachsenen mit DM-Typ 2 eine alters- und geschlechtsadjustierte Beurteilung des BMI besser geeignet?

Methodik: In 170 Zentren der DPV-Initiative werden bei 91251 Erwachsenen mit DM-Typ 2, die bis 09/11 anonym registriert sind, Blutdruck, HDL, Triglyceride und BMI gemessen. Adipositas wird nach WHO definiert als BMI≥30kg/m2. Zur alters- und geschlechtsspezifischen BMI-Beurteilung werden Perzentilkurven herangezogen, welche auf Datenbasis der NVS II erstellt wurden (BMI-SDS; Hemmelmann et al., DMW 2010;135:848). Sie spiegeln die BMI-Verteilung von 13207Männern und Frauen zwischen 18 und 80 Jahren in der deutschen Normalbevölkerung wider. Die statistische Auswertung mit SAS 9.2 erfolgt über lineare Regressionsmodelle, adjustiert für Alter bei Diabetesbeginn, Geschlecht und Diabetesdauer.

Ergebnisse: Gemäß WHO sind 35,6% der DM-Typ 2 Patienten übergewichtig und 47,5% adipös. Letzteres entspricht bei Betrachtung der alters- und geschlechtsabhängigen Perzentilkurven der 71,4 Perzentile. Der größte Unterschied zwischen beiden Kriterien findet sich bei jungen Frauen im Alter von 18–39 Jahren (BMI-WHO: 72,6%; BMI-SDS: 89,4%). Nach beiden Kriterien sind junge Frauen (18–39 Jahre) mit DM-Typ 2häufiger adipös als Männer derselben Altersgruppe (BMI-WHO: 72,6% vs. 65,4%; BMI-SDS: 89,4% vs. 78,8%). Bei der größten Altersgruppe (n=54620), den 60–79-Jährigen, ist der Unterschied dagegen nur gering (BMI-WHO vs. BMI-SDS: Frauen: 50,9% vs. 48,5%; Männer: 42,1% vs. 40,4%). Entsprechend der glockenförmig verlaufenden Perzentilkurve nimmt der Unterschied zwischen beiden Kriterien in der ältesten, weiblichen Altersgruppe (≥80 Jahre) wieder zu (25,7% vs. 20,0%). Auch in dieser Altersgruppe gilt, dass nach beiden Kriterien mehr Frauen als Männer adipös sind (BMI-WHO: 25,7% vs. 19,4%; BMI-SDS: 20,0% vs. 18,0%). Die Beziehung von BMI bzw. BMI-SDS zu den kardiovaskulären Risikofaktoren HDL, Triglyceride und Blutdruck war nahezu identisch (Korrelation mit BMI vs. Korrelation mit BMI-SDS: syst. Blutdruck: 0,14 vs. 0,13; dias. Blutdruck: 0,12 vs. 0,12; HDL: 0,09 vs. 0,09; Triglyceride: 0,11 vs. 0,13).

Schlussfolgerungen: Lediglich 16,9% der DM-Typ 2 Patienten (≥18 Jahre) sind gemäß WHO-Kriterien normalgewichtig. Für die meisten Erwachsenen dieses Patientenkollektivs hat eine alters- und geschlechtsspezifische Definition der Adipositas keinen erkennbaren Zusatznutzen. Zur Prädiktion des kardiovaskulären Risikos bei DM-Typ 2 kann daher weiterhin die BMI-Klassifizierung nach WHO herangezogen werden.