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DOI: 10.1055/s-0032-1314896
Herausgeschützt – Wie der Mutterschutz Ärztinnen ausbremst
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
09. Mai 2012 (online)
Liebe Leserinnen,
Mutterschutz klingt gut. Aber hält er auch, was er verspricht? Das Mutterschutzgesetz ist, historisch gesehen, eine große soziale Errungenschaft, hat jedoch heute für Ärztinnen auch so manche Lücken und Tücken.
Das Mutterschutzgesetz soll die abhängig beschäftigte (werdende) Mutter und ihr Kind schützen, gleichzeitig schränkt es die Mutter aber auch ein. Nicht alle, aber viele Ärztinnen fühlen sich aus dem Beruf regelrecht ”herausgeschützt“. Sie wollen nicht länger hinnehmen, dass ihnen die für die Behandlung von schwangeren Patientinnen abverlangte Kompetenz in Bezug auf ihre eigene Schwangerschaft abgesprochen und über sie bestimmt wird. Sie fragen sich, wer geschützt wird. Sie oder der Arbeitgeber vor eventuellen versicherungsrechtlichen Forderungen oder vor den Kosten einer schwangerschaftsgerechten Umgestaltung des Arbeitsplatzes? Die meisten Ärztinnen wollen auch in der Schwangerschaft und Stillzeit mit individuellen Sicherheitsvorkehrungen freiwillig invasiv tätig sein, und nicht durch restriktive Auslegung der Mutterschutzregelungen in ihrer Karriere behindert werden. Wie ist das mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vereinbar, laut dem eine Benachteiligung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft unzulässig ist?
Bisher gilt das Gesetz nur für abhängig beschäftigte Frauen – obwohl laut Artikel 6 des Grundgesetzes jede Mutter Anspruch auf die Fürsorge der Gemeinschaft und den Schutz vor Gefahren, Gesundheitsschäden, finanziellen Einbußen und Verlust des Arbeitsplatzes hat. Dieser Schutz wird aber Medizinstudentinnen und selbstständigen Ärztinnen nicht zuteil. Ist es tatsächlich der Wille des Gesetzgebers, dass es schützenswerte und nicht schützenswerte Mütter gibt? Das Europäische Parlament fordert in seiner Richtlinie 2010/41/EU die Gleichstellung von selbständig Erwerbstätigen und eine Verbesserung der finanziellen Mutterschutzleistungen bis August 2012.
In einem Land wie Deutschland mit nur 1,38 Kindern pro Frau – bei Akademikerinnen sogar noch geringer – und einem zunehmenden Ärztemangel sollten Ärztinnen nicht feststellen müssen: ”Kinder und Karriere in Klinik oder Praxis – beides schaffe ich unter diesen Arbeitsbedingungen nicht“.
Nach jahrelanger Vorarbeit im Ärztinnenbund, im Hartmannbund und in der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie ist das Thema nun endlich bei der Politik angekommen. Wir haben konkrete Vorschläge zur Aktualisierung des Mutterschutzgesetzes erarbeitet: am Runden Tisch ”Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Gesundheitswesen“ des Bundesgesundheitsministeriums und in der Kommission ”Familie und Karriere“ der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Diese Vorschläge konnten wir im Bundesfamilienministerium vorbringen. Es prüft, wie das Gesetz geändert werden kann.
Lesen Sie unser Topthema ”Mutterschutz“, erfahren Sie mehr über die Hintergründe dieses Gesetzes, und nutzen Sie diese Ausgabe, um sich eine eigene Meinung zu bilden: Faktencheck in Sachen Mutterschutz, Erfahrungsberichte und Interviews mit Expertinnen.
Mit herzlichen kollegialen Grüßen
Ihre Herausgeberin Dr. Astrid Bühren
Herausgeberinnen
Dr. med. Astrid Bühren
Dr. med. Anja Haas
Prof. Dr. med. Doris Henne-Bruns
Prof. Dr. med. Marion Kiechle
Dr. med. Sandra Lipovac
Expertinnenpanel
Prof. Dr. rer. physiol. Dr. h. c. Ulrike Beisiegel
Dr. phil. Mechthild Determann
Dr. phil. Susanne Dettmer
Prof. Dr. med. Annette Hasenburg
Dr. med. Evelyn Hemper
Prof. Dr. med. Gabriela Möslein
Stefanie Pranschke-Schade
Prof. Dr. med. Vera Regitz-Zagrosek
Prof. Dr. med. Anke Rohde
Prof. Dr. med. Ingrid Schreer
Prof. Dr. med. Petra-Maria Schumm-Draeger