Ultraschall Med 2012; 33 - A1008
DOI: 10.1055/s-0032-1322751

Hirnatrophie durch Steal-Phänomen bei einem Säugling nach Herz-Operation

C Heher 1, A Gamillscheg 1, C Weitzer 1, G Zobel 1, W Müller 1
  • 1Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Medizinische Universität Graz, AT

christoph.heher@medunigraz.at

Einleitung:

Als Steal-Phänomen bezeichnet man den Entzug von Blut aus einer Arterie aufgrund einer Flussumkehr mit daraus resultierender Minderversorgung der anliegenden Strukturen. Wir präsentieren die sonographische Dokumentation einer Hirnatrophie bei einem Säugling, welche nach komplexen Herzoperationen bei einem unterbrochenen Aortenbogen durch ein Steal-Phänomen irreversibel verursacht wurde.

Kasuistik:

Es handelte sich um das erste Kind der zweiten Schwangerschaft einer 28-jährigen internistisch gesunden Mutter. Die Schwangerschaft verlief unauffällig. Nach 38 Schwangerschaftswochen erfolgte die Geburt durch Forceps aufgrund Geburtsstillstands in der Geburtshilflichen Abteilung eines peripheren Krankenhauses. Postpartal war bei schlaffem, zyanotischem Kind eine kurze Säuglings-Reanimation nötig, schließlich stabilisierte sich das Neugeborene mit guten Sauerstoffsättigungswerten um 94% bei 30% Sauerstoffbedarf. Dieser war, bei unauffälligem somatischem Status des Kindes nicht zu reduzieren, aus diesem Grund erfolgte die Transferierung an ein Zentrum. Das Kind präsentierte sich mit niedrigen MAD-Werten, einer vergrößerten Blutdruckamplitude, einer verbreiterten Herzsilhouette im Thoraxröntgen und mit Zeichen der pulmonalen Hyperperfusion. In einer echokardiographischen Untersuchung wurden ein Ventrikelseptumdefekt, ein atrialer Septumdefekt, sowie ein unterbrochener Aortenbogen dargestellt. Die periphere Versorgung erfolgte über den offenen Ductus arteriosus Botalli. Sonographisch waren verminderte Flussgeschwindigkeiten und pathologische Flusskurven in allen von der distalen Aorta abgehenden Blutgefäßen nachweisbar. In der Schädelsonografie waren Hirnparenchym, intra- und extracerebrale Liquorräume normal, die Flussgeschwindigkeit in der Arteria carotis sinistra war im Vergleich zur Gegenseite vermindert, transtemporal zeigte sich im Farbdoppler der rechte Anteil des Circulus arteriosus Wilisii besser darstellbar als der linke. Am dritten Lebenstag erfolgte eine modifizierte Operation nach Norwood I mit Damus-Kaye-Stansel Anastomose: Korrektur des unterbrochenen Aortenbogens und Atrioseptektomie. Danach wurde ein 5mm Goretex Sano Shunt vom rechten Ventrikel auf die Pulmonalarterie angelegt. Aufgrund einer Restenose mit folgendem abdominellen Organversagen erfolgte eine Second look Operation mit Augmentation des Aortenbogens mit einem Bio-Pericardpatch. In der postoperativen Schädelsonografie zeigten sich morphologisch weiter unauffällige Verhältnisse. In der Doppleruntersuchung der A. carotis interna dextra war jedoch ein pathologisches Flussprofil, links gar kein Blutfluss darstellbar. Acht Wochen nach der Korrekturoperation war erstmals auch an der A. carotis interna sinistra eine Flusskurve, mit einer im Vergleich zur rechten Seite langsameren Flussgeschwindigkeit, nachweisbar. Am darauffolgenden Tag präsentierte sich die Patientin in cardiogenem Schockzustand. In der Echokardiografie zeigte sich eine deutliche Verschlechterung der linksventrikulären Funktion bei akuter Zunahme des Gradienten über der Stenose des Aortenbogens. In den von der Aorta abdominalis abgehenden Gefäßen war eine pathologische Perfusion nachweisbar. In der Schädelsonografie war im Bereich der Arteria carotis interna sinistra wieder nur ein minimaler Fluss darzustellen. Aufgrund der Re-Stenose im Bereich des Aortenbogens wurde ein extraanatomischer Bypass mit einer 5mm Goretex-Prothese von der Arteria carotis communis sinistra zur Aorta thoracica angelegt. Diese Korrektur brachte eine Erholung der Nieren- und Darmfunktion. In einer postoperativen Sonografie zeigte sich ein annähernd normales Perfusionsbild. Nach einer Woche konnte der Säugling extubiert werden, er benötigte allerdings weiter nicht-invasive Atemunterstützung, komplizierend war eine Zwerchfellparese auf der linken Seite. Nach weiteren zwei Wochen kam es neuerlich zu einer kardiorespiratorischen Dekompensation, Beatmungspflichtigkeit und Katecholaminbedarf. In der durchgeführten Kontrollsonografie vier Wochen nach Anlage des extraanatomischen Bypass waren weite extracerebrale Liquorräume sowie eine ausgeprägte Atrophie der Hirnwindungen nachweisbar. In der Perfusion bestand in der Arteria carotis interna dextra ein pathologisches Flussprofil mit verminderter Flussgeschwindigkeit, auf der linken Seite fand sich ein antegrader und gleichzeitig auch retrograder Fluss. Eine Woche später wurde der Aortenbogen mit einem Biopericardpatch rekonstruiert, ASD und VSD im Sinne einer Rastelli-Umleitung verschlossen. Postoperativ besserte sich die respiratorische und hämodynamische Problematik. Sonographisch wurde eine fortschreitende Atrophie des Gehirns mit erweiterten inneren und äußeren Liquorräumen, verfeinerter Gyrierung und unverändertem Kopfumfang dokumentiert. 17 Tage nach Operation war eine Extubation der Patientin möglich, ein Monat später die Verlegung auf Normalstation. Obwohl Flussprofil und -geschwindigkeit sich annähernd normalisierten, nahm die Weite des Subarachnoidalraumes zu, es konnte nur mehr ein schmaler Hirnmantel von zuletzt 1,2cm Durchmesser mit einem breiten Subdural- und Subarachnoidaldraum dargestellt werden. Neurologisch auffällig waren ein globaler Entwicklungsrückstand, einem einen Monat alten Kind entsprechend, eine generelle Muskelhypotonie sowie eine Bewegungsarmut in den Beinen, im EEG waren diffuse schwere Allgemeinveränderungen nachweisbar. Die große Fontanelle war mit sechs Monaten bereits fast vollständig verknöchert.

Schlussfolgerung/Summary:

In unserem Zentrum ist dies nach Herz-Operation die erste diagnostizierte Hirnatrophie. Wir führen diese auf das Auftreten eines Steal-Phänomens nach Anlage des extraanatomischen Shunts zwischen A. carotis communis sinistra und Aorta descendens zurück. Wir konnten keine ähnlichen sonographisch dokumentierten postoperativen Verläufe nach Herzoperationen finden. Eine Ausdünnung des cerebralen Cortex im Zusammenhang mit einer Steal-Physiologie ist zwar bekannt, in der Literatur ist aber keine so massive Ausprägung beschrieben.