Diabetologie und Stoffwechsel 2012; 7(5): 390-391
DOI: 10.1055/s-0032-1325424
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POCT zur Diabetes-Diagnostik mit Blutglukose – KONTRA

W. Kerner
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Publication Date:
14 November 2012 (online)

POCT-Geräte zur Diabetesdiagnose?

Die Diagnose eines Diabetes mellitus hat für die betroffenen Patienten wichtige und folgenschwere Konsequenzen. Deshalb muss diese Diagnose mit der größter Sorgfalt gestellt werden, das heißt, die Messung der Glukose ist mit bestmöglicher Präzision und Richtigkeit durchzuführen. Was dies bedeutet, ist einem kürzlich publizierten ausführlichen systematischen Review von Autoren der amerikanischen Diabetes-Gesellschaft und der amerikanischen Gesellschaft für klinische Chemie zu entnehmen [1] [2]. Folgende wichtige Punkte zur Diagnose des Diabetes sind darin enthalten:

  1. Zur Diagnose eines Diabetes soll die Glukose im venösen Plasma gemessen werden (Empfehlungsgrad A, Qualität der Evidenz: hoch).

  2. Es muss Vorsorge getroffen werden, dass im entnommenen Blut die Glykolyse gehemmt wird. Dazu wird empfohlen, das Röhrchen nach Blutentnahme auf Eis zu lagern und das Blut innerhalb von 30 min zu zentrifugieren oder die Glykolyse im Röhrchen effektiv durch entsprechende Zusätze (Citrat plus Fluorid; Fluorid alleine reicht nicht aus) zu hemmen (Empfehlungsgrad B, Qualität der Evidenz: moderat).

  3. Die Messung soll in einem akkreditierten Labor erfolgen (Good Practice Point).

  4. Die Ungenauigkeit der Teststreifengeräte zusammen mit den unterschiedlichen Messgenauigkeiten der verschiedenen Geräte verbietet deren Einsatz zur Diabetesdiagnose (Empfehlungsgrad A, Qualität der Evidenz: moderat).

Die einzig mögliche, wissenschaftlich begründete Schlussfolgerung aus diesen Feststellungen ist, dass zur Diagnose eines Diabetes die Glukose unter Vermeidung präanalytischer Störfaktoren im Plasma in einem Labor gemessen werden soll. Die Messung mit POCT-Geräten ist zu ungenau. Hinzu kommt, dass diese Geräte im Vollblut messen und die vom Hämatokrit abhängige Umrechnung in Plasmawerte eine zusätzliche Fehlerquelle darstellt.

Im Labor liegt bei der täglichen Messung einer Plasma-Kontrollprobe mit einer Glukosekonzentration im Bereich normaler Nüchternwerte der Variationskoeffizient unter 2 %. Dies gilt für alle üblicherweise verwendeten enzymatischen Methoden. Daraus errechnet sich bei 20 Kontrollmessungen im Monat für einen Zielwert von 100 mg/dl ein 99,9 %-Konfidenzintervall von 97 – 103 mg/dl, für einen Zielwert von 125 mg/dl ein Konfidenzintervall von 122 – 128 mg/dl. Das heißt, dass bei einem Wert unter 97 mg/dl mit sehr großer Sicherheit ein Normalbefund vorliegt und bei einem Wert von mindestens 129 mg/dl mit sehr großer Sicherheit ein Diabetes diagnostiziert werden kann. Diese durch den zufälligen Messfehler bedingten Konfidenzintervalle sind aus klinisch-medizinischer Sicht noch zu tolerieren ([Tab. 1]).

Tab. 1

Der Einfluss des Messfehlers der Glukosemessung im Plasma (99,9 %-Konfidenzintervall) auf die Diabetesdiagnose.

Grenzwerte

Diagnose

Plasma/Labor (mg/dl)

normal (< 100 mg/dl)

sicher

< 98

möglich

< 103

IFG (100 – 125 mg/dl)

sicher

103 – 122

möglich

98 – 127

Diabetes (> 125 mg/dl)

sicher

> 127

möglich

> 122

Eine völlig andere Situation findet man bei den POCT-Geräten vor. Nach DIN EN ISO 15 197 (2003) dürfen für diese Geräte bei Glukose-Zielwerten ≥ 75 mg/dl 95 % der gemessenen Werte nicht mehr als ± 20 % vom Zielwert abweichen. Bei Werten ≥ 75 mg/dl liegen nach Angaben des Herstellers von HemoCue Glucose 201 RT 74,1 % der Werte innerhalb ± 5 %, 94,8 % innerhalb ± 10 %, 99,4 % innerhalb ± 15 % und 100 % innerhalb ± 20 % (Referenz YSI Glucose Analyzer). In einer unabhängigen Untersuchung, in der HemoCue-Werte mit Plasmawerten (Hexokinase) verglichen wurden, wiesen ca. 90 % der HemoCue-Werte eine Abweichung von weniger als ± 15 % vom Referenzwert auf [3]. Wenn man aufgrund dieser Befunde davon ausgeht, dass die mit einen POCT-Gerät gemessenen Werte im besten Fall um ± 15 % vom Zielwert abweichen, ergibt sich für einen Glukosewert von 100 mg/dl ein Fehlerbereich von 85 – 115 mg/dl und für einen Wert von 125 mg/dl ein Fehlerbereich von 106 – 144 mg/dl. Daraus folgt, dass man erst bei Glukosewerten unter 85 mg/dl mit sehr großer Sicherheit von einem Normalbefund sprechen kann und erst bei Werten über 144 mg/dl sehr wahrscheinlich ein Diabetes vorliegt ([Tab. 2]). Dieser große Fehlerbereich ist aus klinischer Sicht nicht zu tolerieren und führt unweigerlich zu Fehldiagnosen. Eine besonders augenfällige Situation ergibt sich für die Diagnose einer IFG (Impaired Fasting Glucose) mit POCT-Geräten: Aufgrund der großen Fehlerbreite ist eine sichere Diagnose der IFG überhaupt nicht möglich. Schließlich, um den letzten Zweifler zu überzeugen, bei Werten zwischen 106 und 115 mg/dl kann nicht einmal mit Sicherheit zwischen Normalbefund und Diabetes unterschieden werden.

Tab. 2

Der Einfluss des Messfehlers der Glukosemessung mit einem POCT-Gerät (angenommener Fehlerbereich ± 15 %) auf die Diabetesdiagnose.

Grenzwerte

Diagnose

POCT (mg/dl)

normal (< 100 mg/dl)

sicher

< 85

möglich

< 116

IFG (100 – 125 mg/dl)

sicher

nicht möglich

möglich

85 – 144

Diabetes (> 125 mg/dl)

sicher

> 144

möglich

> 105

Nach den seit 2008 geltenden Richtlinien der Bundesärztekammer gilt auch für POCT-Methoden im medizinischen Bereich die Pflicht zur Qualitätssicherung. Dies ist sicher eine sinnvolle Maßnahme, mit der grobe Fehler erkannt werden können. Man muss aber bedenken, dass eine wenig genaue Methode durch qualitätssichernde Maßnahmen nicht genauer wird. Die Ungenauigkeit wird allenfalls dokumentiert. Selbst dies ist aber nicht mit Sicherheit möglich, da für die Qualitätssicherung von POCT-Geräten zur Glukosemessung keine geeigneten Kontrollmedien zur Verfügung stehen. Idealerweise sollen zum Ausschluss von Matrixeffekten Kontrollmessungen zur Qualitätssicherung in dem Medium erfolgen, in dem die aktuelle Messung stattfindet; d. h. wenn die Messung im Plasma erfolgt, soll die Kontrollprobe eine Plasmaprobe sein und wenn die Messung, wie bei POCT-Geräten, im Vollblut erfolgt, soll die Kontrollprobe Vollblut sein. Stabile Vollblutproben stehen jedoch nicht zur Verfügung, sodass zurzeit für Kontrollmessungen mit POCT-Geräten nur von den Herstellern gelieferte Proben zur Verfügung stehen, die nur für das jeweilige Gerät eingesetzt werden dürfen. Das ganze Problem wird leicht erkennbar, wenn man sich die stark divergierenden Ergebnisse für einzelne POCT-Geräte im Rahmen von Ringversuchen betrachtet [4]. Mit anderen Worten, wir sind von einer methodisch einwandfreien Qualitätssicherung für die Glukosemessung mit POCT-Geräten noch weit entfernt.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft die Diagnose eines Diabetes nur mit Glukosewerten gestellt werden soll, die im Plasma in einem Labor gemessen wurden. Zum jetzigen Zeitpunkt eignen sich POCT-Geräte nicht zur Diagnose des Diabetes. Diese Geräte erfüllen sehr gute Dienste für das, wofür sie entwickelt wurden: für die Glukosemessung direkt am oder durch den Patienten im Rahmen der Therapie, nicht aber für die Diagnose des Diabetes.

Interessenkonflikt: W. Kerner hat keine finanziellen Verbindungen zu einer Firma, deren Produkt in dem Artikel eine wichtige Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).

 
  • Literatur

  • 1 Sacks DB, Arnold M, Bakris GL et al. Position statement executive summary: guidelines and recommendations for laboratory analysis in the diagnosis and management of diabetes mellitus. Diabetes Care 2011; 34: 1419-1423
  • 2 Sacks DB, Arnold M, Bakris GL et al. Guidelines and recommendations for laboratory analysis in the diagnosis and management of diabetes mellitus. Diabetes Care 2011; 34: e61-e99
  • 3 Torjman MC, Jahn L, Joseph JI et al. Accuracy of the hemocue portable glucose analyzer in a large nonhomogeneous population. Diabetes Technol Ther 2001; 3: 591-600
  • 4 Petersmann A, Luppa P, Michelsen A et al. Gemeinsame Stellungnahme zur Situation der Bewertung von Ringversuchen für Glucose mittels Systemen für die patientennahe Sofortdiagnostik. Laboratoriumsmedizin 2012; 36: 165-168