Gesundheitswesen 2017; 79(06): 472-483
DOI: 10.1055/s-0035-1549954
Übersichtsarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Risikofaktoren der Erwerbsminderungsberentung aufgrund psychischer Erkrankungen – Eine systematische Übersichtsarbeit

Risk Factors for Disability Pensioning Caused by Mental Disorders – A Systematic Review
C. Roski
1   Fakultät Architektur und Sozialwesen, Bereich Soziales und Gesundheit, Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, Leipzig
,
M. Romppel
2   Institut für Public Health und Pflegeforschung, Universität Bremen, Bremen
,
G. Grande
3   Fakultät Architektur und Sozialwissenschaften, Bereich Soziales und Gesundheit, Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, Leipzig
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
24. Juni 2015 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Psychische Erkrankungen sind mittlerweile der häufigste Grund für den Bezug einer Erwerbsminderungsrente. Ziel der Arbeit war es, die nationalen Befunde zum Risiko der Erwerbsminderungsberentung aufgrund psychischer Erkrankungen (EMBP) zusammenzutragen und den Stand dieses Forschungsfeldes abzubilden. Die Kenntnis dieser Befunde ist grundlegend, um dieser Entwicklung präventiv entgegensteuern zu können.

Methoden: Es wurde eine systematische Literaturrecherche im Zeitraum von 2001 bis 2014 durchgeführt. Berücksichtigt wurden Befunde zu Versicherten der Deutschen Rentenversicherung, welche nach 2001 aufgrund einer psychischen Erkrankung EM-berentet wurden. Die Publikationen mussten mindestens 2 relevante Befunde beinhalten, um berücksichtigt zu werden. Bis auf den Ausschluss von anonymisierten Befragungen wurde das Studiendesign bei der Auswahl nicht weiter eingegrenzt.

Ergebnisse: Es konnten 20 wissenschaftliche Publikationen ermittelt werden, welche die Auswahlkriterien erfüllten. Im Ergebnis sind alle ermittelten Studien sekundärdatenanalytische Untersuchungen basierend auf Daten der Deutschen Rentenversicherung. Mittels geschlechtsdifferenzierter Zusammenhangsanalysen konnte das Berentungsrisiko auf das Qualifikationsniveau und den Wohnort der Versicherten zurückgeführt werden. Der Großteil der Befunde ist hingegen deskriptiver bzw. explorativer Art. Neben einer Vielzahl von Einzelbefunden und Hinweisen auf Interaktionen der Faktoren, konnte über verschiedene Jahrgänge festgestellt werden, dass (i) Frauen häufiger als Männer aufgrund psychischer Erkrankungen berentet werden, (ii) affektive Störungen der häufigste Berentungsgrund sind, (iii) psychisch Erwerbsgeminderte im Vergleich zu somatisch Erwerbsgeminderten jünger sind und, dass (iv) Versicherte mit Schizophrenie besonders zeitig berentet werden. Die Reha-Inanspruchnahme vor Berentung liegt bei ca. 50%.

Schlussfolgerung: Die Arbeit zeigt auf, dass bislang wenige statistisch abgesicherte Erkenntnisse über die Zusammenhänge von Risikofaktoren und der EMBP in Deutschland vorliegen. Auffällig ist, dass, obwohl psychosomatische Rehabilitationsmaßnahmen als effektiv gelten, nicht mehr als die Hälfte aller psychisch EM-Berenteten im Vorfeld der Berentung diese in Anspruch nehmen. Der Fokus zukünftiger Arbeiten sollte auf der systematischen Identifikation von Risikofaktoren der EMBP und von Reha-Zugangsbarrieren für Versicherte mit Rehabilitationsbedarf liegen, um Ansatzpunkte für präventive und individuelle Maßnahmen entwickeln zu können.

Abstract

Background: Meanwhile, mental disorders are the main reason for receiving a disability pension. The present study aimed at providing an overview of the German literature on characteristics and factors related to ERMD and pointing out the current state in this field of research. Revealing parameters that are accompanied by an ERMD is a precondition to prospectively prevent this trend.

Methods: A systematic literature review was conducted from 2001 through to 2014. All results regarding German statutory pension insurants pensioned due to mental disorders after 2001 were included. Studies were considered if they reported 2 or more relevant results. Research design was not limited, except for excluding anonymous questionnaires.

Results: 20 studies were found meeting eligibility criteria. All included studies were based on secondary analyses of data derived from the German statutory pension insurance. By means of gender-specific regression analyses the level of qualification and the geographical region were unveiled to be significant predictors of the ERMD. Basically, most reported results were descriptive or explorative. Besides various single results and evidence for interactions, frequently reported results are that: (i) female insurants get pensioned more frequently due to mental disorders than male insurants, (ii) affective disorders are the most frequent diagnoses, (iii) insurants with mental disorders are younger than insurants with somatic disorders when they get pensioned and (iv) insurants with schizophrenic disorders are younger than insurants with other mental disorders when they get pensioned. The utilisation of rehabilitative services before getting pensioned is limited at 50%.

Conclusion: This work demonstrates a lack of empirical evidence of how (and what) disability risks are associated with ERMD in Germany. Furthermore, our results illustrate that a major part of the insurants do not attend rehabilitative services before their retirement, even though rehabilitation of mental illness is assumed to be effective. Future studies should hence focus on identifying disability related risk factors and barriers to using rehabilitative services in order to develop starting points for preventive and individual strategies.

 
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