Diabetologie und Stoffwechsel 2016; 11(02): 148-149
DOI: 10.1055/s-0036-1580195
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Referat – Betazell-zentriertes Klassifikationsmodell

Haiko Schlögl
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Publikationsdatum:
07. Juli 2016 (online)

Hintergrund: Mit den wachsenden pathophysiologischen Kenntnissen scheint die Abgrenzung zwischen den Diabetes-Subtypen artifiziell. Die Überschneidungen bei Ursachen, klinischem Phänotyp und Therapien erfordern ein neueres, modernes Konzept. Die Betazell-zentrierte Klassifikation soll eine individuell auf den Patienten zugeschnittene Diagnose und Behandlung ermöglichen.

Methoden: Die Erkenntnisse über distinkte autoimmunologische Prozesse beim Typ-1- und Typ-2-Diabetes (Typ-1- und Typ-2-DM) sprechen für eine spezifische Ätiologie, unterschiedliche Verläufe und Therapiekonzepte. Aber selbst bei (sub-)typischsten Patienten bestehen oft starke Überlappungen. So kann der Patient mit einem klassischen Typ-1-DM eine Adipositas-induzierte Insulinresistenz aufweisen. Eine besondere Herausforderung ist der späte Autoimmundiabetes (LADA). Dieser wird interpretiert als Variante des Typ-2-Diabetes mit rascher Betazell-Destruktion, als eigenständige Erkrankung mit einem spezifischen genetischen Profil oder als Spätmanifestation des Typ-1-DM. Problematisch sehen die Autoren auch die Beschreibung des Typ-2-Diabetes über die Insulinresistenz (IR). Da nicht alle Patienten einen manifesten Diabetes entwickelten, müssten andere Betazell-schädigende Faktoren hinzukommen.

Ergebnisse: Die Autoren stellen einen neuen Ansatz vor: die individuelle Wahl der Therapie basierend auf beeinträchtigten Stoffwechselpfaden, die zur Hyperglykämie führen. Im Zentrum des Klassifikationsschemas steht die pathologische Betazelle. Das Zusammenspiel zwischen genetischer Prädisposition, Insulinresistenz, Lebensstilfaktoren, entzündlichen und autoimmunologischen Prozessen beeinflusst die Funktion und Anzahl der Betazellen. In dieses „Universalmodell“ kann jeder Diabetes eingeordnet werden. Die Betazelle steht dabei am Ursprung und an multiplen Kreuzungen der Stoffwechselwege. Die Autoren beziehen sich zunächst auf das „Ominous Octet“ (Defronzo) für die Differenzierung Typ-1-DM und Typ-2-DM. Das neue Modell gehe darüber hinaus. 11 Signalwege der Hyperglykämie fließen ein. Genetisch prädisponierte Betazellen interagieren mit zahlreichen Faktoren (u.a. IR, Empfänglichkeit für Lebensstilfaktoren, Immunregulation). Die individuellen Prozesse münden in eine Vielzahl von Phänotypen im Diabetesspektrum, aus denen ein Betazell-Schädigung, -dysfunktion oder -verlust resultieren können.

Subtyp-unabhängig bleibt eine Lebensstilmodifikation wichtig. Eine medikamentöse Inervention wird in der Frühphase der Betazell-Schädigung empfohlen. Dabei soll laut den Autoren eine komplementäre Kombinationstherapie erfolgen. Die Wirkungsweise des Medikaments bestimmt im Abgleich mit der individuellen Störung die Auswahl.

Folgerung: In das Betazell-zentrierte Klassifikationssystem des Diabetes mellitus fließen zahlreiche Faktoren ein, die auf unterschiedlichen Wegen die Betazellen und die Entstehung einer hyperglykämischen Stoffwechsellage beeinflussen. Der therapeutische Ansatzpunkt könnte sich in Zukunft nach dem individuellen Störungsprofil richten.

Dr. Susanne Krome, Melle