Gesundheitswesen 2016; 78(S 01): e87-e88
DOI: 10.1055/s-0042-116384
Editorial
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Die Macht des Wortes

M. Wildner
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Publication Date:
22 September 2016 (online)

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Prof. Dr. med. Manfred Wildner

„Geschrieben steht: »Im Anfang war das Wort!«/Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?/[…]Bedenke wohl die erste Zeile,/Dass deine Feder sich nicht übereile!“. Die hier zitierten Nöte, die Goethes Dr. Faustus in seinem Studierzimmer erleidet [1], sind vermutlich in mannigfaltigen Variationen in vielen Studierzimmern weltweit zugegen – z. B. beim Verfassen wissenschaftlicher Publikationen oder (gesundheits-)politischer Memoranden. Faust bezieht sich in seinem eingangs zitierten Ringen in seinem Studierzimmer auf die Luther-Übersetzung des Prologs des Johannes-Evangeliums. Diesen könnte man auch vorsichtiger und wohl auch dem Urtext getreuer übersetzen mit: „Am Anfang war der Logos“. Und damit den wahrscheinlich gegebenen Bezug zu den philosophisch-religiösen Kernbegriffen „Logos“ (griechisch) bzw. „Memra“ (jüdisch-aramäisch) besser wahren, Begriffe mit großem Bedeutungsspielraum. Das vernünftig gesprochene, ordnende Wort („Logos“) fällt damit in eine andere Kategorie wie das leichterdings in lockerer, oft phantasievoller Erzählung gesprochen Wort, welches die griechische Sprache dazu differenziert mit „Mythos“ bezeichnet. Fausts Verzweiflung am „Wort“ wie am Leben in der Studierstube hat seine Auflösung allerdings durch einen Pakt mit dem Teufel gefunden – das anschließende Eintreten in die weitere Welt ist in seinen Konsequenzen und Weiterungen paradoxerweise zu dem klassischen Lesestoff deutscher Sprache schlechthin geworden und hat mit seiner Wortgewalt nicht nur das Denken von Studienräten und Philologen berührt und geprägt.