Pneumologie 2018; 72(09): 644-659
DOI: 10.1055/s-0043-118435
CME-Fortbildung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Migration und Tuberkulose

Migration and Tuberculosis
J. T. Othmer
,
N. Schönfeld
,
B. Häcker
,
R. Otto-Knapp
,
T. T. Bauer

Subject Editor: Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist J. T. Othmer.
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Publication History

Publication Date:
30 August 2018 (online)

Im Jahr 2015 erreichte die Zahl der Migranten weltweit 244 Millionen, die höchste Zahl seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Hierunter fallen auch 22 Millionen Geflüchtete. In Deutschland sind Tuberkulosefälle unter den Migranten eine entscheidende Ursache für die steigende Zahl an Erkrankten. Prävention, Diagnose und Therapie der Tuberkulose erfordern differenzierte Kenntnisse und Anstrengungen – abhängig von Herkunft und Lebensweg der Betroffenen.

Abstract

The majority of the people suffering from tuberculosis in Germany are migrants. The treatment of this demographic still presents certain challenges. Only up to a quarter to a fifth of tuberculosis cases in migrants is being diagnosed by the screening methods that were implemented by The German Protection against Infection Act (Infektionsschutzgesetz, IfSG). Reactivation of latent tuberculosis is the most common cause for tuberculosis in migrants. Easy access to health care is vital for the testing and treatment of latent tuberculosis in people with a high risk of reactivation. The level of infection risk, comorbidities and presentation of disease vary depending on the country of origin. Especially during migration people are more susceptible to somatic and mental maladies. Extrapulmonary tuberculosis is frequent in migrants and requires specific diagnostic approaches. Where risk factors for a multi-drug-resistant tuberculosis are present, this condition has to be actively excluded. To facilitate diagnosis and therapy of tuberculosis in migrants a high level of trust has to be established in the doctor-patient relationship. Therefore and despite of cultural and linguistic differences empathy and time are key. Patients need to be encouraged to complete their treatment rather than terminate it prematurely. To that end comorbidities have also to be diagnosed and treated, social and legal aspects have to be considered.

Fazit
  • Ein Großteil der in Deutschland an Tuberkulose erkrankten Menschen sind Migranten, deren Therapie in vieler Hinsicht eine Herausforderung darstellt.

  • Die in Deutschland durch das Infektionsschutzgesetz implementierten Screeningmethoden ermöglichen die Diagnosestellung einer Tuberkuloseerkrankung bei jedem fünften an Tuberkulose Erkrankten.

  • Die häufigste Ursache der Tuberkuloseerkrankung bei Migranten ist die Reaktivierung einer latenten Tuberkulose, sodass neben einer niederschwelligen Gesundheitsversorgung auch die Durchführung einer Chemoprävention bei Menschen mit einem hohen Risiko für eine Reaktivierung erwogen werden sollte.

  • Je nach Herkunft der Migranten liegen verschiedene Erkrankungsrisiken, Komorbiditäten und Erkrankungsformen der Tuberkulose vor. Besonders während der Flucht sind die Menschen somatisch wie psychisch durch unterschiedliche Erkrankungen bedroht.

  • Extrapulmonale Tuberkulosen sind häufig bei Migranten und bedürfen spezifischer diagnostischer Methoden. Eine MDR-TB sollte zumindest bei Vorliegen von Risikofaktoren diagnostisch ausgeschlossen werden.

  • Um die Diagnosestellung, Therapieeinleitung und Begleitung der Tuberkulose bei Migranten erfolgreich zu gestalten, bedarf es des Aufbaus eines vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnisses. Es erfordert Empathie und erhöhten Zeitaufwand, damit diese Beziehung trotz kultureller und sprachlicher Unterschiede etabliert werden kann. Dies gelingt häufig nur mit Unterstützung durch Sprachmittler, um die komplexen Sachverhalte erläutern zu können.

  • Wichtig ist die Nutzung aller Anstrengungen zur Verhinderung eines Abbruchs der Tuberkulosetherapie. Dies erfordert auch die Diagnose und Behandlung von Komorbiditäten und Berücksichtigung sozialer und rechtlicher Aspekte.