PiD - Psychotherapie im Dialog 2000; 1(4): 77-83
DOI: 10.1055/s-2000-16706
Aus der Praxis

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Stellenwert von Psychopharmaka in der Behandlung von Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen

Hans Peter Kapfhammer,  
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Publication Date:
28 August 2001 (online)

Abstract

Die Perspektive der multidimensionalen Genese von psychischen Störungen betont auch bei Persönlichkeitsstörungen eine enge Verwobenheit von biologischen, psychischen und sozialen Einflussfaktoren für Entstehung und Krankheitsverlauf. In einem integrativen Behandlungskonzept sind konsequent auch notwendige Kombinationen von psycho- und sozialtherapeutischen Ansätzen einerseits und psychopharmakologischen Optionen andererseits zu fordern. Im Falle der Borderline-Persönlichkeitsstörungen ist zu beachten, dass lediglich eine Untergruppe von Patientinnen entscheidend von psychologischen Behandlungen allein profitiert. Verlaufsstudien weisen auf hohe Abbruchquoten in Psychotherapien, auf häufige Krisensituationen mit notfallpsychiatrischem Charakter sowie eine hohe psychiatrische Komorbidität hin, die je für sich andere therapeutische Ansätze notwendig machen. In einer theoretischen Sicht kann der Einsatz von Psychopharmaka bei Patientinnen durch drei Aspekte legitimiert werden: durch eine Nähe zu Achse-1-Störungen wie etwa den affektiven Störungen, durch distinkte psychopathologische Dimensionen (z. B. perzeptiv-kognitive, affektive, Angst-, Impulskontrollstörungen), die auf definierte neurobiologische Dysfunktionen verweisen, durch zahlreiche komorbide psychiatrische Störungen. In einer pragmatischen Sicht erscheint ein Einsatz von Psychopharmaka vor allem bei rezidivierenden suizidalen und parasuizidalen Handlungen, psychotischen Dekompensationen, massiven Angstzuständen und schwerwiegenden affektiven Verstimmungen indiziert. Anhand der vorliegenden empirischen Studien zu Behandlungsresultaten von Neuroleptika, Antidepressiva, Benzodiazepinen, Lithium und anderen Mood-Stabilizern sowie Opiatantagonisten werden orientierende Behandlungsrichtlinien für die psychiatrische und psychotherapeutische Praxis vorgestellt. Grundlegend erscheint, dass jede Form einer spezifischen Psychopharmakotherapie nur im Kontext einer individuellen Arztpatienten-Beziehung zu verstehen ist und sinnvollerweise nur innerhalb eines integrierten Behandlungsmodells erfolgen sollte.