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DOI: 10.1055/s-2000-314
Sonographie bei akuter Beinvenenthrombose - der Unterschenkel gehört dazu!
Publication History
Publication Date:
31 December 2000 (online)
Wegen ihrer einfachen Einsetzbarkeit und hohen Aussagekraft ist heute die Sonographie unbestritten die erste Diagnosemethode der Wahl bei Patienten mit Verdacht auf Beinvenenthrombose. Diese Entwicklung hat lange gedauert, bedenkt man, dass bereits Anfang der 80er Jahre erstmals die noch heute gültigen sonographischen Thrombosezeichen beschrieben wurden [1]. Wenngleich frühzeitig erkannt, dauerte es bis 1987, bis die überragende Bedeutung des einfach fassbaren Kriteriums der fehlenden Komprimierbarkeit richtig eingeordnet wurde [2], denn es besteht ein wesentlicher Unterschied bei der sonographischen Diagnostik venöser gegenüber arterieller Verschlüsse: Während auf der arteriellen Seite das B-Bild nur eine untergeordnete Rolle spielt, ist es bei den Venen von hervorragender Bedeutung. Da offene Venen beim liegenden Patienten im Unterschenkel nur unsicher auszumachen sind, bestand lange Zeit der bis heute vielerorts noch nicht ausgeräumte Trugschluss [2], dass die Methode nur im Oberschenkel zu vernünftigen Ergebnissen führe. Bereits 1987 haben jedoch französische Autoren an einer großen Fallzahl von Patienten belegt, dass es gelingt, symptomatische auf den Unterschenkel beschränkte Thrombosen mit einer Sensitivität von 91 % und Spezifität von 96 % allein mit der B-Bild-Sonographie [3] darzustellen. Das Aufkommen der Duplex- und Farbdopplersonographie führte zu einer Flut von phlebographisch kontrollierten Studien, die die hohe Aussagekraft der Methode in der Thrombosediagnostik unter Einbeziehung des Unterschenkels bei symptomatischen Patienten zeigten. Es entstand irrigerweise der Eindruck, die Information der Farbe sei unbedingt notwendig zur Thrombosediagnose und es drohte eine künstliche Kontroverse zwischen Kompressionssonographie und Farbdopplersonographie (Literatur bei [4]). Künstlich deshalb, weil auch bei der Farbdoppleruntersuchung immer die Prüfung der Venen auf Komprimierbarkeit wesentlicher Bestandteil der Untersuchung ist und die Dopplerinformation nicht in Konkurrenz, sondern in Ergänzung zum B-Bild steht, ohne bei frischen Verschlüssen in der Regel mehr Thrombosen nachweisen zu können.
Die zunehmende Erfahrung zeigte, dass der Ultraschall bei der Diagnostik akuter Venenthrombosen der Phlebographie in konventioneller Technik an einigen Stellen des Venensystems beim Thrombosenachweis überlegen ist. Hierzu gehören vor allem die Krossenregion (Mündungsregion der Vena saphena magna und parva), die V. profunda femoris und die Muskelvenen der Waden. Zwar ist die Bedeutung der Wadenmuskelvenen, i. B. der Soleusvenen, bei der Genese von Venenthrombosen vor allem bei bettlägrigen Patienten seit langem bekannt [5] (bei horizontaler Körperlage stagniert der Blutfluss in den häufig sackförmig degenerierten Venensegmenten), wesentliche Beachtung bei der Suche nach Venenthrombosen haben sie aber nicht gefunden, da sie sich bei der konventionellen Phlebographie typischerweise nicht darstellen. Hinweise, dass mit der Ultraschalluntersuchung Muskelvenenthrombosen in höherer Zahl entdeckt werden können als bei Röntgenuntersuchung, finden sich 1994 erstmalig in der Literatur [6].
In der in diesem Heft veröffentlichten Arbeit analysiert Hollerweger [7] an einem 357 Patienten umfassenden Untersuchungsgut die Möglichkeiten der Sonographie in der Thrombosediagnostik unter besonderer Berücksichtigung der Wadenmuskelvenen als Emboliequelle. Die bemerkenswerte Arbeit zeigt, dass bei systematischer Untersuchung des Venensystems eine detaillierte anatomische Analyse der Thromboseausdehnung auch im Unterschenkel möglich ist. Der Anteil von 47 % isolierten Unterschenkelvenenthrombosen in einem Patientengut mit klinischen Symptomen einer Thrombose liegt, berücksichtigt man eine Mehrausbeute durch bessere Erkennung von Muskelvenenthrombosen, im oberen Bereich entsprechender phlebographischer Studien [8]. Sie unterstreicht einmal mehr, auch ohne phlebographische Kontrolle, die hohe Treffsicherheit der Methode im Unterschenkel in geübter Hand und belegt, dass es sich lohnt, diesen Bereich in den Untersuchungsgang miteinzubeziehen. Es bleibt festzuhalten, dass diese große Patientengruppe bei Beschränkung der Untersuchungstechnik nur auf die Oberschenkel nicht erkannt worden wäre! Die hohe Rate von Muskelvenenthrombosen erstaunt, deckt sich aber mit den Daten einer erst kürzlich erschienenen Studie, bei der 37 % isolierte Verschlüsse des Gastrocnemius und der Soleusvenen bei Patienten mit isolierten Unterschenkelvenenverschlüssen gefunden wurden [9]. Die Ergebnisse fügen sich ins Bild der Untersuchung von Guias [10], der in seinem Patientengut mit Beinvenenthrombosen in 12,5 % isolierte Verschlüsse der Muskelvenen fand. Die von Hollerweger mit 61 % ermittelte hohe Rate isolierter Unterschenkelvenenthrombosen bei Patienten mit Lungenembolie liegt im oberen Bereich der Angaben in der Literatur. Diese Bedeutung der Zahl muss jedoch relativiert werden, da in der vorliegenden Arbeit nicht bei allen Patienten nach Lungenembolien gefahndet wurde, so dass keine sichere quantitative Aussage über das Verhältnis gemacht werden kann. Auch der Befund von isolierten Muskelvenenthrombosen bei Patienten mit Lungenembolie ist aus Sektionsstatistiken bekannt [11], rückt jedoch jetzt erstmalig in das Blickfeld, da mit dem Ultraschall ein Verfahren zur Verfügung steht, mit dem dieser Venenabschnitt leicht untersucht werden kann.
Wenngleich die Frage nicht beantwortet werden kann, ob bei einem Patienten mit akuter symptomatischer Lungenembolie die gefundene Unterschenkelvenenthrombose das Quellgebiet oder der übriggebliebene Rest eines bis in den Oberschenkel reichenden Verschlusses ist, besteht kein Zweifel, dass Unterschenkelvenenthrombosen zum Wachstum neigen [8] [12] [13] und es Wert sind, beachtet zu werden. Während die Therapiebedürftigkeit symptomatischer Leitvenenverschlüsse des Unterschenkels als belegt gelten kann [14], existieren keine Daten über die Behandlung von Muskelvenenthrombosen. Die Ergebnisse der Arbeit von Hollerweger weisen darauf hin, dass sie ernst genommen werden müssen und zumindest einer kurzfristigen sonographischen Verlaufskontrolle bedürfen.
Obgleich die Sensitivität des Ultraschalls bei Patienten mit symptomatischer Unterschenkelvenenthrombose höher ist als bei anderen „nicht invasiven” Verfahren, entziehen sich ca. 10 % der phlebographisch nachweisbaren Leitvenenthrombosen dieser Gefäßregion auch dem erfahrensten Untersucher. Es stellt sich somit im klinischen Alltag bei negativem Ultraschallbefund häufig die Frage einer zusätzlichen Röntgenuntersuchung (eine Frage, die sich im Übrigen aus oben genannten Gründen umgekehrt auch bei negativer Phlebographie stellt). Wie Untersuchungen der letzten Jahre zeigen, können diese entweder durch Wiederholungsuntersuchung nach einer Woche, Risikostratefizierung nach klinischen Kriterien oder Nachweis eines positiven D-Dimer-Tests auf eine Minderzahl beschränkt werden, ohne dass klinisch relevante Entwicklungen übersehen werden (Literatur bei [15]). Wichtig erscheint mir der Appell, die Möglichkeiten der Ultraschalluntersuchung aber vorher durch Einbeziehung der Wadenregion unter Einbeziehung der Muskelvenen auszureizen und nicht, wie häufig geschehen, in einem minimalistischen Ansatz an der Kniekehle aufzuhören. Die Literatur belegt die höhere Ausbeute! Zweifellos sind hierfür eine größere Erfahrung des Untersuchers und eine ausgefeilte Untersuchungstechnik notwendig, die systematisch wesentliche Stromgebiete des Beines umfasst. Sie sollte Bestandteil gezielter Schulungsmaßnahmen der DEGUM sein.
Literatur
- 01 Talbot M L. Use of real-time imaging in identifying deep venous obstruction. A primary report. Bruit. 1982; 4 41-42
- 02 Cronan J J, Dorfman G S, Scola F H, Schepps B, Alexander J. Deep venous thrombosis: US assessment using vein compression. Radiology. 1987; 162 191-194
- 03 Elias A, Le Corff G, Bouvie J L, Benichou M, Serradignigni A. Value of real-time-B-mode ultrasound imaging in the diagnosis of deep vein thrombosis of the lower limbs. Int Angiol. 1987; 6 175-182
- 04 Habscheid W. Stellenwert der Duplexsonographie in der Beinvenendiagnostik. DMW. 1998; 123 1185-1190
- 05 Nicolaides A N, Kakkar V V, Field E S, Renney J TG. The origin of deep vein thrombosis: a venographic study. Brit J Radiol. 1971; 44 653-663
- 06 Barrellier M T, Bosson J L, Vignon C, Rousseau J F, Besnard M, Boissel M, Fauchon G, Pegoix M, Thomassin C, Trahay A. Echo-Doppler pour le diagnostic precoce des thromboses veineuses profondes en chirurgie orthopedique et traumatologique. A propos de 1647 malades explores. J Mal Vasc. 1994; 19 298-307
- 07 Hollerweg A, Macheiner P, Rettenbacher T, Gritzmann N. Sonographische Diagnose von Muskelvenenthrombosen des Unterschenkels und deren Bedeutung als Emboliequelle. Ultraschall. 2000; 21 59-65
- 08 Philbrick J T, Becker D M. Calf deep venous thrombosis. Arch Intern Med. 1988; 148 2131-2138
- 09 Labropoulos N, Webb K M, Kang S S, Mansour M A, Filling D R, Size G P, Buckman J, Baker W H. Pattern and distribution of isolated calf deep vein thrombosis. J Vasc Surg. 1999; 30 787-793
- 10 Guias B, Simoni G, Oger E, Lemire A, Leroyer A, Mottier D, Nonent M, Bressollette L. Thrombose veineuse musculaire du mollet et embolie pulmonaire. J Mal Vas. 1999; 24 123-124
- 11 Harvig O. Source of pulmonary emboly. Acta Med Scand. 1977; 478 4247
- 12 O'Shaughnessy A M, Fitzgerald D E. The value of duplex ultrasound in the follow-up of acute calf vein thrombosis. Int Angiol. 1997; 16 142-146
- 13 Lohr J M, James K V, Desmukh R M, Hasselfeld K A. Calf vein thrombi are not a benign finding. Amer J Surg. 1995; 170 86-90
- 14 Lagerstedt C I, Olsson C G, Fagher B O. Need for long term anticoagulant treatment in symptomatic calf-vein thrombosis. Lancet. 1985; 2 515-518
- 15 Lensing A WA, Prandoni P, Prins M H, Büller H R. Deep-vein thrombosis. Lancet. 1999; 535 479-485
Priv.-Doz. Dr. W Habscheid
Medizinische Klinik Paracelsus-Krankenhaus Ruit
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